Carl Orffs Weihnachtsspiel „Ludus de nato Infante mirificus“

Vom Himmel durch die Welt zur Hölle

ERESING – Die Hexen im Altarraum sind kein Hirngespinst. Sie sind real. Sie fegen im Gewölbe der Unterkirche von St. Ottilien herum und beschwören in Zaubersprüchen, dass es nicht zur Geburt des Jesuskindes kommen möge. Dazu bläst um die Erzabtei ein grausiger Wind, wie auf Bestellung zur Illustrierung von Carl Orffs Spiel „Ludus de nato Infante mirificus“ (Wundersames Spiel von der Geburt des Kindes), das in der Unterkirche am Sonntag aufgeführt und vom Publikum begeistert aufgenommen wurde.

Die äußeren Bedingungen bei Eis und Schnee, machten es dem Besucher leicht, sich noch einmal auf das Weihnachtsgeschehen zurückzubesinnen, obwohl viele sich sicherlich bereits von Christbaum und Lichterketten verabschiedet und sich im Vorfeld gefragt haben mochten, ob das Stück nicht besser in den Advent passt. Solche Überlegungen wurden mit dem packenden Auftritt der schaurig-schönen Hexen augenblicklich gegenstandslos. Der Sog des rhythmischen Sprachduktus, der die lateinischen Beschwörungsformeln durchtaktet, dieser mitreißende Orffsche Chorus hob den Zuhörer aus der Banalität schnöder Kalendertage in eine überzeitliche Dimension.

Von dieser kosmischen, weltumspannenden Idee im Werk Carl Orffs erzählte eingangs der Theaterwissenschaftler Johannes Schindl­beck vom Orff-Zentrum München. Carl Orffs Bestreben war es demnach, das herkömmliche Krippenspiel mit dem altvertrauten Personal und der eingefahrenen Dramaturgie gründlich zu entstauben. Schon als Kind bastelte Orff aus Moos, Kies und Wacholder seine eigene phantasievolle Krippe, möblierte den Zug der Könige mit Bergen, wilden Tieren und Aufbauten aller Art und bereitete so spielerisch den Boden für sein späteres künstlerisches Schaffen. 

Den überstrapazierten Stoff der Weihnachtsgeschichte goss er 1959 in ein Weihnachtsspiel, das gänzlich ohne Maria, Josef, Kind, Ochs und Esel auskommt. Seine Bühne bevölkern dagegen als Hauptdarsteller eine Schar Hexen (Ensemble von ottiliAcappella), fünf Hirten (Alex Dorow als Sprecher) und Blumenkinder (vom Kinderheim St. Alban Dießen). Carl Orff, so Schindlbeck, „macht aus dem weltbewegenden Ereignis der Christnacht wahrlich ein Welttheater, das vom Himmel durch die Welt zur Hölle alle musikalisch-dramatischen Register zieht“.

In St. Ottilien hatten fünf Musiker der „DOrffwerkstatt Andechs“ unter der Leitung von Barbara Kling alle Hände voll zu tun, den Ludus de nato Infante auch wirklich mirifice, also ungewöhnlich und wundersam erblühen zu lassen. Unter Klings exaktem Dirigat entfaltete sich das Schlagwerk aus Bongos, Xylophonen, Glockenspiel, Konga, Becken, Schlitztrommel, Gläserspiel, Gong, Klavier, Guiro und Donnerbüchse, dass einen das Hören und Sehen so recht erfreute. Tontechnik (Dieter Hess) und Lichtregie (Christl Karpati) versahen die antagonistischen Handlungsträger Hexen versus Engel mit den entsprechenden Farben ihres natürlichen Habitats. Als CD-Aufnahme wurde der himmlische Gesang des Tölzer Knabenchores und Chor des Bayerischen Rundfunks unter Kurt Eichhorn eingeblendet. Bühnenbild und Kostüme verantwortete Christel Gebhardt, deren zipfelgewandete, reisig- und laubbekränzte, diabolisch geschminkte Hexen im Bühnennebel nachwirken.

„Do schliaf mer nei“

Alex Dorow hingegen schaffte es in seinem normalen Winteroutfit, im wärmsten und hinterkünftigsten Bayerisch, von fünf Hirten zu berichten, die durch den Schnee stapfen und in einem Wetterloch Unterkunft und Schlaf finden: „Do schliaf mer nei“, ließ er sie Platz nehmen und ihre Träume träumen, indessen Schwester Martha Metzger OSB von St. Alban Kerzen für ihre lieben, engelgleichen Blumenkinder entzündete. Das Licht, das man hören kann, hätte ums Haar Viola, Krokus, Enzian und Küchenschelle aufgeweckt: „Eia, eia, o res miranda“! Doch bremst die Erdmutter: „Warts es ab.“ Wer das nicht will, muss nach Dießen fahren. Dort wird der Ludus am Sonntag (siehe S. 13) noch einmal aufgeführt. Mirificus!

Evi Baumeister

16.01.2019 - Bistum Augsburg , Unterhaltung