Die Heilige Länge Mariens wurde auf Papierstreifen festgehalten

Maße der Himmelskönigin

INGOLSTADT – Wie viele Meter misst die „Heilige Länge Mariens“? Woher weiß der Künstler, wie groß die Gottesmutter war? Spannende Fragen, denen Marion Ruisinger, Leiterin des Deutschen Medizinhistorischen Museums Ingolstadt, nachgegangen ist, nachdem sie auf einer Auktion eine „Heilige Länge Mariens“ für das Museum erworben hatte. 

Mit 1,60 Meter, wie die Körpergröße einer Frau, die vor mehr als 2000 Jahren lebte, schon großzügig geschätzt wäre, gibt sich der eng bedruckte Papierstreifen, den der Sammler Hans Herramhof auf eine Holzspule gerollt aufbewahrte, nicht zufrieden. Ausgerollt gut zwei Meter lang, bringt die Heilige Länge Mariens die Medizinhistorikerin ins Grübeln. „Ganz schön lang“, meint sie und sucht nach einer Erklärung in der aufgedruckten Schrift. 

Die versichert gleich dreimal, die Länge sei die „gewisse wahrhafte rechte Läng und Dicke unserer lieben Frauen, der übergebenedeiten Himmelskönigin“, gemessen am seidenen Band der „Santa Casa“ von Loreto. „Pilger bekamen dort ein seidenes Band, und das Papier machte das für diejenigen nach, die nicht dorthin fahren konnten“, erklärt Marion Ruisinger, die den Volksbrauch der Längenverehrung bis ins sechste Jahrhundert zurückverfolgt hat. 

So weit reichen die ältesten Berichte zurück, wonach nicht nur das Bild eines Menschen, sondern auch die physikalische Kennung der Körpergröße als dessen Präsenz gilt. „Für uns klingt das abstrakt“, meint die Museumsleiterin, doch für die Menschen des Mittelalters vergegenwärtigte sich Maria in ihrer Länge beziehungsweise Länge und „Dicke“, wie es die Aufschrift verrät. Rom verwahrte sich dagegen. Die Amtskirche unterstützte den Volksbrauch schon seit dem Mittelalter nicht mehr und verwies ihn ins Reich des Aberglaubens. Trotzdem hielt er sich in bestimmten Familien und Gegenden bis ins 20. Jahrhundert. Derselbe Gedanke liegt Votivgaben zugrunde: Auch hier steht ein Körperteil für den Menschen. Statt der Länge wurde beispielsweise das Gewicht eines Kindes oder Körperteils in Wachs gespendet.

Die Heilige Länge Mariens, die das Medizinhistorische Museum für seine Sammlung erworben hat, stammt wohl aus dem 18. oder 19. Jahrhundert. Der Papierstreifen wurde im Hochdruckverfahren bedruckt, die Ornamente sind teilweise aus Blei gegossen, auch ein kleiner Holzschnitt ist dabei. 

Helfen sollte die Heilige Länge Mariens gegen allerlei Krankheiten, Zauberei, Schrecken, schlechte Nachrede und weitere Übel. Das alles findet sich aufgelistet im Text. Schwangeren Frauen wurde die Heilige Länge anbefohlen, ganz besonders wenn sie „in Kindsnöthen“ waren. Aus den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gibt es Berichte, dass der Papierstreifen Gebärenden über den Leib gelegt wurde, um die Geburt zu beschleunigen. 

Originalquellen dazu hat Marion Ruisinger jedoch nicht gefunden, weshalb sie vermutet, dass es sich dabei um Interpretationen des 20. Jahrhunderts handelt. Eher hätten wohl die auf der Heiligen Länge Mariens notierten Gebete Anwendung gefunden, um der Gebärenden zu helfen.

Ein Chronist der Mariä Läng-
Kapelle in Regensburg, wo eine angeblich lebensgroße Statue Mariä steht, schrieb um 1830, dass die Gottesmutter angebetet wurde, wenn eine Sache zu kurz war und man sie gerne länger haben wollte, also das Kind oder Vieh nicht recht wuchs, die Ernte oder Geldeinnahmen hinter den Erwartungen zurückblieb. Ein anderer Grund war, wenn etwas zu lang zu werden drohte – ein Gerichtsverfahren oder Schlechtwetterperioden zum Beispiel. „Es ging also darum, das rechte Maß zu erbitten“, erklärt Marion Ruisinger. 

 Andrea Hammerl

05.09.2021 - Bistum Augsburg