Erinnerung an Pogromnacht

„Passen wir auf!“

ICHENHAUSEN – Seit mehr als 20 Jahren wird mit einer Gedenkstunde in der ehemaligen Synagoge Ichenhausen an die Pogromnacht am 9. November 1933 erinnert, in der das Bauwerk geschändet und verwüstet wurde. In diesem Jahr hatten sich besonders viele Besucher angemeldet, so dass aufgrund der Coronavorschriften sogar die Empore geöffnet werden musste. 

Als Festredner wurde Bischof Bertram Meier begrüßt. Er trug sich ins Goldene Buch der Stadt ein. Veranstalter waren die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung, die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Augsburg und Schwaben, das Evangelisch-lutherische Dekanat Neu-Ulm sowie der Deutsche Gewerkschaftsbund Region Schwaben.Das Trio Kleznova umrahmte die Veranstaltung musikalisch. Es gab nach dem offiziellen Teil das Abends ein kleines Zusatzkonzert.

In seiner Ansprache unter dem Motto „Wehret den Anfängen – Zukunft braucht Erinnerung“ erklärte Bischof Bertram: „Kein Mensch und keine Partei ist befugt, ein ,jetzt ist’s genug‘ über die Erinnerungskultur zu sprechen.“ Er wies rechtsextremes Gedankengut zurück. Der Bischof, seit über 20 Jahren mit Aufgaben im interreligiösen Dialog betraut, verwies auf eine Gemeinsame Erklärung gegen die AfD, die von 60 jüdischen Organisationen und Verbänden veröffentlicht und vom Zentralkomitee der Katholiken in Deutschland unterstützt wurde. 

Allerdings, stellte der Bischof fest, zeige die Notwendigkeit solcher Stellungnahmen auch die große Verunsicherung, die im Land herrsche. „Wir stehen nicht mehr am Anfang einer Auseinandersetzung, wir sind mittendrin. Jetzt braucht es Mut, Standfestigkeit und Auskunftsfähigkeit. Passen wir auf!“

Der Bischof erinnerte an den Gewaltexzess in Ichenhausen, das 1933 noch 380 jüdische Bürger zählte, ausgeübt von SS-Leuten aus Günzburg und Ichenhausen sowie der Hitlerjugend. Rund 100 Juden wurden ins KZ Dachau gebracht. Ihr Gotteshaus wurde verwüstet. Nur die Angst der Anwohner vor eigenem Schaden führte dazu, dass die Synagoge gelöscht und vor der kompletten Zerstörung gerettet wurde. 

Mindestens 200 Ichenhausener jüdischen Glaubens wurden zwischen 1933 und 1948 ermordet, die zweitgrößte jüdische Gemeinde in Bayern ausgelöscht. Die Erinnerung daran verpflichte zu Bekenntnis und Aufklärung, zu eindeutiger Positionierung gegen Herabsetzung und Bloßstellung von Menschen anderen Glaubens, anderer Hautfarbe und Sprache, sagte Bischof Bertram. Jede Sympathie mit menschenverachtenden Haltungen, jede Grenz-
überschreitung sei nicht verhandelbar, und müsse geahndet werden.

Wie sehr sich gerade junge Menschen, die noch ungefestigt, formbar und deshalb verführbar seien, manipulieren ließen, zeigten die Hitlerjugend der NS-Zeit, aber auch die Kindersoldaten von heute. „Um resilient und resistent zu werden, brauchen sie den Rückhalt der Gemeinschaft, brauchen Bildung und Ausbildung, eine klare Wert-
orientierung und menschliche Nähe. Damit Kinder nicht zu Stimmvieh und Jasagern werden, sondern verantwortungsvolle Persönlichkeiten, brauchen sie Zivilcourage als wesentlichen Teil der Persönlichkeitsbildung“, betonte Bischof Bertram. 

Er räumte zugleich ein, dass auch die Kirche solche Werte nicht immer unterstützte. „Als Katholik weiß ich um die dunklen Seiten einer Erziehung zu unkritischem Gehorsam und Gefolgschaft, um die fatale Wirkung von Feindbildern, zu denen jahrhundertelang auch der Antijudaismus gehörte.“ Erziehung müsse dazu führen, mit Dialog die Gewalt, mit Vertrauen die Spaltung zu überwinden.

Gertrud Adlassnig

14.11.2021 - Bistum Augsburg , Holocaust