AUGSBURG – Dass die Abtreibungsgesetze in Deutschland vor 25 Jahren neu geregelt wurden, hatte erhebliche Folgen. Weil der Schein, der den Besuch einer Beratungsstelle nachweist, zugleich eine Abtreibung ermöglicht, stieg die katholische Kirche 1999 aus dem staatlichen System aus. Dies bedeutet nicht, dass Schwangere in Not von der Kirche keine Hilfe mehr bekommen – im Gegenteil. Wie die Hilfe seit 2001 funktioniert, erläuterten beim Redaktionsbesuch die Leiterinnen der sechs Katholischen Beratungsstellen für Schwangerschaftsfragen (KSB) im Bistum Augsburg. Stellvertretend beantworteten Eleonore Wolf, Gisela Starringer-Rehm und Eva-Maria Rottach die Fragen.
Warum kommen die Frauen überhaupt zu Ihnen, wenn sie keinen sogenannten Schein mehr kriegen?
Wolf: Es ist richtig, dass wir nur noch wenige Konfliktberatungen vor der zwölften Schwangerschaftswoche haben. Die Konfliktschwangeren, die trotzdem zu uns kommen, suchen häufig Parteilichkeit für ihr Baby, Klärungshilfe bei unerträglicher innerer Ambivalenz und Schutzraum vor zu viel Außendruck.
Starringer-Rehm: Auch schon vor dem Ausstieg aus dem staatlichen System kamen Schwangere und Familien mit kleinen Kindern vor allem mit anderen Fragen in die Beratung des Sozialdiensts katholischer Frauen (SkF). Die Themen und Konflikte sind sehr vielfältig: Frauen, Männer und Paare wenden sich an uns mit unterschiedlichsten Anliegen rund um Schwangerschaft und Geburt. Diese reichen von rechtlichen und finanziellen Fragestellungen und Nöten über Partnerschaftsprobleme, die in Zusammenhang mit den sich verändernden Lebensumständen stehen, bis hin zu Unsicherheiten und Ängsten in Bezug auf vorgeburtliche Untersuchungen.
Rottach: Zudem bleiben wir Ansprechpartnerinnen bis zum dritten Lebensjahr des Kindes. Viele Probleme tauchen dann erst auf oder verschlimmern sich. In dieser Phase bieten wir ergänzend entwicklungspsychologische Beratung und Elternkurse an, um die Mutter-Kind-Bindung zu fördern und unterstützen Eltern mit sogenannten „Schreibabys“.
Die Beratung zur Frage „Abtreibung oder nicht“ stellt nur einen sehr kleinen Teil Ihres Angebots dar. Es geht vor allem auch um die Zukunft, das Weiterleben mit dem Kind, oder?
Rottach: Diese Frage macht den Hauptteil unserer Beratungstätigkeit aus. Viele Schwangere haben grundsätzliche Fragen, wie es nach der Geburt weitergehen kann. Da gilt es, sehr sensibel hinzuhören und mit den Familien gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Häufig stehen finanzielle Fragen zunächst im Vordergrund. Viele Familien wissen nicht, wie sie die Babyerstausstattung bezahlen sollen und wie sie sich nach der Geburt mit einem vielleicht nur geringen Gehalt oder Hartz IV finanzieren. Hier beraten wir umfangreich zu Hilfen vom Jobcenter und anderen Leistungen für Familien und stellen Anträge bei Stiftungen. Wir sind froh, dass es die Landesstiftung Hilfe für Mutter und Kind und den Bischöflichen Hilfsfonds Pro Vita gibt, um Familien finanziell in dieser sensiblen Lebensphase unterstützen zu können.
Starringer-Rehm: In unsere Beratungsstellen kommen viele Alleinerziehende, welche einen hohen Unterstützungs- und psychosozialen Begleitungsbedarf haben. Viele sind rund um die Uhr ganz alleine zuständig, was zu grenzwertiger Belastung führen kann. Sie bringen zudem Fragen nach Vaterschaftsanerkennung und Sorgerecht mit. Bei Bedarf vermitteln wir die Frauen an andere soziale Dienste oder arbeiten mit diesen zusammen.
Wolf: Wir bieten außerdem Trauerbegleitung für Mütter und Väter an, die ihr Kind in der Schwangerschaft oder nach der Geburt verloren haben und beraten Paare, die einen schweren Weg bei unerfülltem Kinderwunsch gehen.
Die psychosoziale Beratung und Begleitung im Kontext von Pränataldiagnostik wird zunehmend wichtig, da die Schwangeren älter werden und die medizinischen Möglichkeiten sich in einem rasanten Tempo entwickeln. Werdende Eltern können hier vor die unmöglichsten Entscheidungen gestellt werden.
An welchen Orten im Bistum Augsburg können Hilfesuchende die Katholischen Beratungsstellen antreffen? Muss man katholisch sein, damit man kommen darf, oder können auch Anders- oder Nicht-Gläubige bei Ihnen um Rat fragen?
Rottach: Mit unseren vier Hauptstellen in Augsburg, Landsberg, Kempten und Neu-Ulm und unseren Außenstellen in Lindau und Neuburg sind wir flächendeckend mit 17 Beraterinnen und elf Verwaltungsfachfrauen in der Diözese aktiv. Um den Schwangeren und den Familien mit kleinen Kindern nicht so lange Wege zuzumuten, halten wir an weiteren acht Standorten regelmäßig Außensprechtage ab: in Donauwörth, Dillingen, Günzburg, Königsbrunn, Schwabmünchen, Memmingen, Kaufbeuren, Weilheim und Sonthofen. Zudem gibt es in Trägerschaft des Erzbistums München-Freising Sprechtage in Murnau und Penzberg. Am Puls der Zeit sind wir zusätzlich mit unserem Online-Beratungsangebot, das mit der Caritas durchgeführt wird.
Starringer-Rehm: Unser Beratungsangebot gilt unabhängig von Religionszugehörigkeit und Nationalität. Wir machen die Erfahrung, dass insbesondere Menschen aus anderen Kulturkreisen, denen religiöse Werte sehr wichtig sind, unsere Beratungsstellen gezielt aufsuchen.
Wie viele Frauen, vielleicht auch begleitet von ihren Freunden oder Männern, haben Sie im vergangenen Jahr beraten? Wie haben sich die Zahlen in der Vergangenheit entwickelt?
Wolf: Im Jahr 2016 haben 4261 Ratsuchende unsere Beratungsstellen aufgesucht. Diese Zahl steigt seit Jahren kontinuierlich an. Im Vergleich zu 2013 hatten wir eine Steigerung von bis zu 40 Prozent. Der Anstieg hängt mit der großen Zahl der Menschen mit Fluchthintergrund zusammen, welche sich mit einer Vielzahl von Fragen und Problemen an uns wenden. Sie haben aufgrund von Traumatisierungen im Krieg oder auf der Flucht sowie aufgrund der multiplen Anpassungsanforderungen eine erhöhte Stressbelastung zu bewältigen. Nur durch die Unterstützung der Diözese, die uns eine befristete Stellenaufstockung ermöglicht, war diese Aufgabe zu bewältigen.
Starringer-Rehm: Gerade bei Familien mit Fluchthintergrund kommen oft die Männer und häufig auch die Kinder mit in die Beratungsstelle. Aber auch bei allen anderen Familien beobachten wir, dass sich die Freunde und Männer gerne mitberaten lassen. Schließlich verändern die Schwangerschaft und die Geburt eines Kindes das ganze Familiensystem, und da ist es hilfreich, wenn sich alle Familienmitglieder auf die veränderte Situation einstellen können und ihre Sorgen und Fragen gesehen werden.