Keine XXL-Pfarreien im Bistum

Wie sich Seelsorgeamtsleiter Bertram Meier die Zukunft der Pastoral vorstellt

AUGSBURG – Am vergangenen Samstag sind zwei Diakone geweiht worden. Ende Juni werden drei Priester geweiht. Angesichts dieser Zahlen drängt sich die Frage auf: Wie sieht denn die Seelsorge der Zukunft in der Diözese aus? Aus Anlass des zehnjährigen Bestehens der Kemptener Cityseelsorge brachte der Seelsorgeamtsleiter Domdekan Bertram Meier Vorschläge ins Spiel, zu denen wir ihn im Interview befragten.

Herr Prälat, Sie haben diagnostiziert, dass die Kirche in Bezug auf die Seelsorge mit dem Rücken an der Wand steht. Ist die Lage wirklich so schlimm?

Die Lage ist ernst. Da gibt es nichts zu beschönigen. Nach innen kämpfen wir mit Skandalen und mangelnder Glaubwürdigkeit. Von außen her macht uns Gegenwind zu schaffen, der mit der nicht mehr unbestrittenen Rolle der Kirche in einer Gesellschaft zu tun hat, die zunehmend säkular und multireligiös wird. Doch auch wenn die Lage ernst ist, ich halte sie trotzdem nicht für schlimm. Mit dem „Rücken zur Wand“ bedeutet ja auch, „mit dem Gesicht zur Welt“ zu stehen. 

Was heißt das?

Wir können, ja wir müssen die Welt nehmen, wie sie ist. Das heißt nicht, als Kirche sich der Welt anzupassen, sondern sie mit dem Evangelium in Berührung zu bringen. Es geht um die Wahrnehmung der Wirklichkeit und um Schärfung des Profils. Papst Franziskus gibt uns hierfür in seinem Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium eine nützliche Regel an die Hand: „Die Wirklichkeit ist etwas, das einfach existiert, die Idee wird erarbeitet. Zwischen den beiden muss ein ständiger Dialog hergestellt und so vermieden werden, dass die Idee sich schließlich von der Wirklichkeit löst. Die Wirklichkeit steht über der Idee.“

Sie sagen, Leitung und Führung einer Pfarrei müssen nicht unbedingt beim Priester vereint sein. Können Sie das näher ausführen?

Hier muss ich zunächst die Begriffe klären. Ich unterscheide zwischen Leitung und Führung. Lassen Sie es mich mit einem Vergleich aus der Politik verdeutlichen: Die Richtlinienkompetenz in der Bundesregierung kommt der Kanzlerin zu, die Leitung des Bundeskanzleramtes und erst recht einzelner Ministerien kann sie getrost anderen überlassen. Wenn auch bei uns im Bistum Augsburg zunehmend Verwaltungsleiter und -leiterinnen den Pfarrern zur Seite stehen, ist eine solche Entwicklung nur zu begrüßen. Und ich hoffe, dass die ausschließlich guten Erfahrungen, von denen ich mich während der Pastoralvisitationen überzeugen konnte, eine Weiterentwicklung in dieser Hinsicht anstoßen. Was für die Administration gilt, könnte auch in der Seelsorge Schule machen: Letztverantwortung heißt nicht Alleinverantwortung! Es geht um geistliche Leitung. Gerade Gremien wie das Seelsorgeteam und der Pastoralrat müssen hier noch stärker gefordert werden, ohne den Pfarrer in seiner Leitungskompetenz zu einem „Frühstücksdirektor“ zu degradieren.

Wird das klassische Territorialprinzip in der Seelsorge auch in der Zukunft Bestand haben? 

Die Raumplanung 2025 ist und bleibt der Rahmen, in dem sich die Seelsorge in unserem Bistum mittelfristig bewegt. Demnach wird es nach derzeitigem Stand in unserer Diözese keine XXL-Pfarreien geben. Die Größe der Seelsorgeeinheiten soll überschaubar bleiben. Wenn wir die Priester und hauptberuflichen Frauen und Männer immer mehr „dehnen und strecken“, leisten wir der Überforderung unserer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ebenso Vorschub wie der Gefahr einer Anonymisierung unseres kirchlichen Lebens. Das will niemand. Kirche ist für mich ein Netz, das möglichst engmaschig geknüpft wird. Da sind alle Getauften und Gefirmten mit gefordert. Kurz: Im Bistum Augsburg wird nicht daran gedacht, dass sich die Kirche aus der Fläche zurückzieht. Wie das gehen kann? Mal sehen, welche Überraschungen der Heilige Geist für uns hat! Vielleicht gibt es ja wieder mehr Berufungen.

In Abwandlung des Satzes von Karl Rahner „Der Christ der Zukunft wird ein Mystiker sein“ formulieren Sie „Der Seelsorger der Zukunft wird ein Mystiker sein“. Was meinen Sie damit?

Für Karl Rahner ist Mystiker einer, „der etwas erfahren hat“. Anders gesagt: Mystiker sind Menschen, die nicht in einem außerordentlichen emotionalen Event abheben, sondern im Mysterium, im Geheimnis, zu Hause sind. Wenn es höchstes Ziel der Seelsorge ist zu helfen, dass Schöpfer und Geschöpf miteinander in Kontakt kommen wie es Ignatius von Loyola betont, dann braucht es Menschen, die sich selbst in diesem geistlichen Raum bewegen. Seit der Menschwerdung Gottes in Jesus von Nazareth gilt: Gottes Medium ist der Mensch. Soll Seelsorge gelingen, dann muss die Kirche weg von einer narzisstisch in sich verkrümmten Selbstbeschäftigung hin zu einer Kehrtwende, zur Hinkehr auf Jesus Christus und sein Evangelium. Denn die Kirche ist niemals Selbstzweck, sie ist eine Art „Fahrzeug“ zum Himmel.

Interview: bc, jm