Taufbücher als Grundlage

Pfarrer führten Impfregister

Aktuell wird über die Notwendigkeit von systematischen Impfungen gegen Corona diskutiert. Das Phänomen, dass Impfungen staatlicherseits nicht nur gewünscht, sondern verpflichtend waren, ist nicht neu. Schon seit dem 18. Jahrhundert gibt es Impfungen gegen schwere Infektionskrankheiten. Damals ging es um die Eindämmung der Pocken, verursacht durch den Varioliden-Virus. Der britische Arzt Edward Jenner (1749 bis 1823) verabreichte 1796 einem achtjährigen Buben die erste Impfung gegen die Krankheit. 

Ein Blick zurück macht deutlich, dass der Klerus eine entscheidende Rolle bei den Bemühungen um systematische Impfungen spielte. Seit dem Tridentinischen Konzil in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts waren die katholischen Pfarrer angehalten, Aufzeichnungen über die korrekte Spendung der Sakramente wie Taufen, Heiraten und der letzten Ölung zu führen. Speziell die Aufzeichnungen über die Taufen wurden bald ein sehr wichtiges Instrument für verschiedene Verwaltungsangelegenheiten, da die Taufe in unmittelbarem Zusammenhang mit der Geburt stand. 

Einst wurden die Kinder nicht erst nach Wochen oder Monaten zum Taufbecken getragen, sondern unmittelbar nach der Geburt. Ursache für diese Praxis war das Risiko des frühen Kindstods. Denn für einen Ungetauften hätte der Tod keine reine Seele bedeutet. 

Probates Mittel

Wegen der den Pfarrern verordneten Genauigkeit boten die Taufbücher ein sehr probates Mittel für andere Zwecke. So hatten die Pfarrämter die notwendigen Erfassungen für die Durchsetzung der allgemeinen Schulpflicht. Formal wussten nur die Pfarrer Bescheid, welche Kinder im Ort die notwendige Altersstufe hatten, um zur Einschulung zu kommen.

Damit wurden die Geistlichen zum Vollzug von staatlichen Maßnahmen herangezogen. Nach der Kontrolle zur Schulpflicht dienten die Taufbücher auch zur Durchsetzung der Wehrpflicht. Ein Blick ins Taufregister genügte, um sicherzustellen, welche männlichen Jugendlichen das Alter zur Wehrpflicht im Königreich erlangt hatten. Die Taufeinträge wurden noch für eine dritte Verwaltungsaufgabe herangezogen: Die Aufzeichnungen dienten zur Kontrolle der Impfung der Bevölkerung gegen die Pocken, die auch als „Blattern“ bezeichnet wurde. Aus diesem Grund wurden die Pfarr-
ämter schon im jungen Königreich Bayern aufgefordert, sogenannte Impflisten anzufertigen. 

Dabei handelt es sich zum Einen um die Erfassung der impfpflichtigen Bevölkerung und zum Anderen um die Sicherung der Namen der Geimpften. Nach der Impfung wurden schriftliche Bestätigungen über die erfolgte Impfung ausgestellt. In den Dokumenten aus zahlreichen Pfarrarchiven befinden sich diese „Impflisten“ aus dem frühen 19. Jahrhundert, etwa in Weißenhorn (Kreis Neu-Ulm).

Da der Impfstoff von Kühen – die lateinisch als „vacca“ bezeichnet werden – gewonnen wurde, bezeichnete man die Impfung auch in Bayern als „Vaccination“. 

Das Königreich Bayern machte die Impfungen gegen den Pockenerreger im August 1807 zur gesetzlichen Pflicht. In ihrer Anordnung betonte die königliche Regierung die „rühmliche Bereitwilligkeit eines großen Theiles der Unterthanen“ zur Impfung. Dennoch erkannte man die Skepsis innerhalb der Bevölkerung und der Impfzwang wurde betont. In einer weiteren königlichen Anordnung von 1832 an die Kreisregierungen wurde festgehalten, dass „die ehemalige Abneigung gegen das Impfen einer besseren Ueberzeugung vollkommen gewichen ist“.

Das Königreich schrieb den Pfarrämtern nicht nur vor, welches Formular für die Anfertigung der Kirchenbücher zu verwenden war. Verbindlich geregelt wurde im frühen Königreich Bayern auch die Anordnung, dass die Pfarrer regelmäßig Abschriften ihrer Matrikeln zu den Taufen, Hochzeiten und Sterbefällen anzufertigen hatten. Diese mussten dann der unteren Ebene der Staatsverwaltung vorgelegt werden. 

Damit nahmen nicht mehr die Geistlichen selbst die Auswertung der Datenerhebung vor. Mit den Abschriften aus den Kirchenbüchern wurde auch eine Grundlage für die immer größer werdenden Bereiche der im späten 18. Jahrhundert aufkommenden Statistik geschaffen. Aufgrund dieser staatlichen Verwaltungsaufgaben hatte der Verwaltungssitz des Pfarrers die Bezeichnung „Königlich Bayerisches Pfarramt“.

Gefängnisstrafe

Im deutschen Kaiserreich wurde am 8. April 1874 das Reichsimpfgesetz erlassen, in dem Impfgegnern drei Tage Gefängnis oder 50 Mark Strafe im Verhinderungsfall angedroht wurden.

Mit der Einführung der Standesämter in Bayern 1876 hatten die königlichen Staatsorgane ein von den Kirchen unabhängiges Mittel zur Erfassung von Geburts-, Heirats- und Sterbefällen und damit ein Instrument für Maßnahmen beim Verwaltungsvollzug. Die Kirchenbücher wurden wieder auf rein kirchliche Funktionen beschränkt. Über rund weitere 70 Jahre dienten die Taufbücher aber zur Kontrolle von Impfungen. 

Im Zuge der Impfkampagnen nach dem 2. Weltkrieg musste der Staat nicht mehr auf die Inhalte der Kirchenbücher zurückgreifen. Die Polio-Impfung zur Eindämmung des Erregers, der die Kinderlähmung verursachte, erfolgte ohne kirchliches Zutun. Noch 1976 erließ die Bundesregierung abermals ein Gesetz über die „Pockenschutz­impfung“.

Georg Feuerer