Predigt vom ernannten Bischof Bertram Meier am 4. Fastensonntag in der Kapelle des Bischofshauses

Glauben leben in den Hauskirchen

Liebe Schwestern und Brüder!

Der heutige Tag hat für mich eine besondere Bedeutung. Denn es war vor 36 Jahren, am 4. Fastensonntag LAETARE, als ich zum ersten Mal als Diakon am Tag nach meiner Weihe gepredigt habe. Es war sozusagen meine Diakonenprimiz. Wir waren ein nur kleiner Kreis: meine Eltern, meine Schwester, mein Heimatpfarrer, einige Freundinnen und Freunde aus Rom, sonst niemand. Und der Rahmen der Feier: die Domitilla-Katakombe. In einer Katakombe habe ich zum ersten Mal gepredigt, durfte ich „Stimme des Wortes“ sein. Und der Predigttext war genau das Evangelium, das ich Ihnen eben vorgelesen habe: die Heilung des Blindgeborenen. „Ich glaube, Herr! Und er warf sich vor ihm nieder.“

Die Grundgedanken meiner ersten Predigt hatte ich mir damals aufgeschrieben – hier in diesem Buch, meinem geistlichen Tagebuch, sind die Punkte vermerkt. Damals waren die Katakomben Touristenattraktionen, heute fühlen wir uns tatsächlich wie in einer Katakombenkirche. Viele von Ihnen, die Sie zuschauen oder zuhören, werden diese Gefühle mit mir teilen: in den Pfarr- und Klosterkirchen, in den Filialkirchen und Gebetsräumen, nicht zuletzt in den Wohnungen und Häusern. Wir führen keinen Krieg mit einem militärischen Feind, unser Gegner heißt Corona – unsichtbar und doch nicht weniger gefährlich. Dieses Virus zwingt uns zur Katakombenkirche. Deshalb meine Bitte: Entdecken Sie Ihre Häuser und Wohnungen als Kirchen, als Räume, wo sie mit Gott ins Gespräch kommen können. Die ersten Christen hatten keine eigenen Immobilien für Gott, sie stellten Ihre Häuser ihm und ihren Schwestern und Brüdern zur Verfügung. Die ersten Gemeinden bauten keine Häuser aus Stein, sie selbst haben gelebt, was wir jetzt wieder brauchen: Kirche in den Häusern, Hauskirchen. Gerade im Hinblick auf die Heilige Woche wird dies wichtig werden. Die Heilige Woche fällt nicht aus, aber sie wird anders sein. Und dennoch nicht weniger intensiv.

„Ich glaube, Herr! Und er warf sich vor ihm nieder.“ Das Thema meiner Predigt zur Diakonenprimiz war ganz einfach, elementar: Was ist Glaube? Glaube beginnt nicht mit dem Bleiben, sondern mit dem Gehen. Glaube ist nicht zuerst Finden, sondern zuallererst suchen. Das spüren wir jetzt Tag um Tag. Gegen Corona ist bislang kein Kraut gewachsen. Die Suche nach einem Impfstoff läuft auf Hochtouren. Hoffentlich finden unsere Wissenschaftler bald eine Lösung. Auch der Glaube muss immer neu gesucht und errungen werden. Wir haben Gott nicht in der Hand, selbst wenn er uns in der hl. Kommunion in die Hand oder auf die Zunge gelegt wird. Doch wir können Gott nicht in die Tasche stecken – selbst als Hostie nicht. Wir haben Jesus nicht in der Hand. Er ist kein Objekt, das wir hüten und schützen müssten – Jesus hat das nicht nötig. Im Gegenteil: Gott ist immer wieder für Überraschungen gut. Das merken wir in dieser schweren Zeit auf Schritt und Tritt. Aber auch diese Zeit ist Gottes Zeit. Er will uns damit etwas sagen – selbst wenn wir noch nicht genau wissen, was.

Glauben heißt suchen. Pater Josef Grotz, ein Jesuit aus Schwabmühlhausen - ein Sohn unserer Diözese, viele Jahre Rektor der Marienkirche in Würzburg und erfahrener Priesterausbilder - hat uns vor der Diakonenweihe in Rom die Exerzitien gehalten und dabei gesagt: „Wenn einer ganz zu Gott gekommen ist, dann geht die Suche erst an.“ Das kann ich nur dick unterstreichen – gerade jetzt. Die Corona-Krise schickt uns auf eine Suchexpedition nach dem Willen Gottes. Da bin ich mir sicher – für mich persönlich, aber auch für die Kirche. Spüren wir nach, welche Konsequenzen diese Erschütterung für das kirchliche Leben in den Gemeinden und Klöstern haben könnte!

Und fragen wir uns auch: Welche Folgen hat das für unser aller Anliegen, das Evangelium unter die Leute zu bringen? Es kann nicht nur um Glaubenssätze und Moralvorschriften gehen. Evangelisierung ist mehr als Katechese. Unser persönliches Zeugnis ist gefragt. Gerade in der Zeit der Krise werden uns die Menschen mit der Gretchenfrage konfrontieren: „Wie hältst Du’s wirklich mit der Religion?“ Hast Du tatsächlich Gottvertrauen – oder betest Du nur Formeln nach? Was bedeutet Dir Anbetung wirklich? Ist das nur ein liturgischer Ritus oder aber ein Habitus, eine Lebensform, die sich letztlich im Dienst am Nächsten bewähren muss?

Schauen wir auf eine Frau, die sich bewusst den Glauben abgewöhnt hat und erst nach und nach zur katholischen Kirche findet. Nach dem Abschluss ihres Studiums der Philosophie, Geschichte und Deutsch geht sie für fünf Monate in ein Seuchenlazarett nach Mährisch-Weißkirchen, wo Tausende Soldaten von der Karpatenfront behandelt werden: Sie leiden an Cholera, Flecktyphus und Ruhr, viele mit amputierten Gliedmaßen. Die junge Frau heißt Edith Stein. Die Absolventin mit glanzvollem Abschluss erlebt hautnah, wie Männer ihres Alters wegsterben. Die selbst ernannte Atheistin wird nachdenklich. Und so beginnt für sie ein Weg des Sich-Hineintastens in das Geheimnis des Christentums – vom Ereignis der Menschwerdung Gottes in die Kreuzeswissenschaft, von der Taufe in den Karmel bis zur Fahrt „ad orientem“, in den Osten nach Auschwitz, doch auch in die Richtung, „ad orientem“, wo die Ostersonne aufgeht.

Lassen sie mich schließen mit einem Wort aus ihrer Feder, das treffend in unsere heutige Zeit hineinspricht: „Ein Mensch kann dogmenfest sein, ohne gläubig zu sein, d.h. ohne die religiöse Grundakt einmal vollzogen zu haben, geschweige denn, darin zu leben. Er kann im Sinne der Dogmen sein Leben führen, ohne aus dem Glauben zu leben. Seine Werke können durchaus korrekt sein, aber sie sind nicht wahrhaft in Gottes Willen getan und können auch nicht vor Gott wohlgefällig sein.“ (Welt und Person, ESW VI, S. 194f.) Jetzt geht es nicht so sehr um Rechtgläubigkeit; was zählt ist Glaubwürdigkeit um Gottes und der Menschen willen. 

„Ich glaube, Herr! Und er warf sich vor ihm nieder.“ Wenn wir jetzt miteinander unseren gemeinsamen Glauben bekennen, dann sollten wir daran denken, was jeder Weihekandidat oder Ordenschrist vor dem Altar tut: Er wirft sich nieder vor dem Herrn. Er wird klein, damit der Herr seinen Glauben, sein Gottvertrauen groß machen kann. Das werden wir brauchen – nicht nur in den nächsten Wochen.

Amen.

Bertram Meier, designierter Bischof von Augsburg

Info: Die privaten Gottesdienste des designierten Bischofs Bertram Meier in der Kapelle des Bischofshauses werden täglich live von a.tv sowie Allgäu-TV übertragen, außerdem auf dem YouTube-Kanal von katholisch1.tv. Am Sonntag beginnen die Eucharistiefeiern um 10 Uhr. Von Montag bis Samstag gibt es immer um 19 Uhr eine Heilige Messe. 

23.03.2020 - Bistum Augsburg