Als im April das Feuer in der Kathedrale von Notre-Dame wütete, wurde Feuerwehrkaplan Jean-Marc Fournier zum Helden: Der Geistliche, Mitglied im Ritterorden vom Heiligen Grab zu Jerusalem, stürmte in die Sakristei und rettete die Dornenkrone Christi. Auch in Deutschland und im Bistum Augsburg sind die Ritter aktiv. Schwerpunkte ihres Wirkens erläuterten beim Besuch der Redaktion Leitender Komtur Professor Christoph Becker, Prior Pfarrer Thomas Schwartz und Stefanie Mayer als Vertreterin der Ritterdamen.
Herr Professor Becker, warum hat die Dornenkrone für einen Ritter vom Heiligen Grab besondere Bedeutung?
Ich kann nur vermuten, welche Gedanken dem Confrater (Mitbruder) durch den Kopf schossen. Die Ritter vom Heiligen Grab verpflichten sich der Pflege des Andenkens Christi im Heiligen Land. Grundlage ist der allen Christen gemeinsame Glaube an den erlösenden Opfertod Christi. Dieses Opfer hat eine geistliche Bedeutung und ist zugleich ein historisches Geschehnis. Das leere Grab, genauer gesagt: die Leere des Grabes, also eigentlich ein Nicht-Gegenstand, sozusagen eine Nicht-Reliquie, bezeugt die den Menschen geschenkte Überwindung des Todes, die erst durch das Opfer möglich war. Hilfestellung für den um Verstehen ringenden Glauben können neben der Grabesleere die Reliquien bieten, die auf die Tötung Christi verweisen. Dabei ist die Frage nach einer Echtheit der Reliquie im Sinne physischer Identität mit einem Objekt, das Jesus Christus körperlich verletzte, nicht von Belang. Vielmehr entscheidet, dass das Objekt das Leiden Christi so zu veranschaulichen vermag, dass der erlösende Opfertod mitsamt der Auferstehung zur Glaubensgewissheit wird. Diese Vorstellung auch kommenden Generationen zu ermöglichen, dürfte nach meiner Einschätzung der Antrieb für die Rettungstat gewesen sein.
Wie viele Mitglieder sind Ihnen als Leitender Komtur unterstellt und worin bestehen die ritterlichen Hauptaktivitäten im Bistum?
Der Komturei Sankt Ulrich und Afra Augsburg gehören 47 Mitglieder an. Die Zugehörigkeit richtet sich nach dem Wohnsitz. Der Einzugsbereich der Augsburger Komturei entspricht dem Gebiet des Bistums. Die Deutsche Statthalterei umfasst 38 Komtureien und deckt das Gebiet der Deutschen Bischofskonferenz ab. Darin sind rund 1500 Mitglieder vereinigt. Weltweit beträgt die Mitgliederzahl etwa 30 000.
Die Damen und Ritter treffen sich monatlich zum Gottesdienst mit Vortragsveranstaltung, Diskussion oder Ausstellungsbesuch. Öffentlich sichtbare Aktivitäten sind die Teilnahme an der Karfreitagsliturgie und am Fronleichnamsfest im Augsburger Dom, am Ulrichsfest in der Basilika Sankt Ulrich und Afra (sie ist die Heimatkirche der Komturei) und Wallfahrten nach Maria Vesperbild oder Herrgottsruh.
Dass es einen geistlichen Prior gibt, deutet darauf hin, dass Glaube und Spiritualität einen hohen Stellenwert haben. Was, Herr Pfarrer Schwartz, sind die Säulen des geistlichen Ordenslebens?
Zunächst einmal ist eine der Säulen, dass der Ritterorden vom Heiligen Grab zu Jerusalem von Anfang an eine Laiengemeinschaft war und keine klerikale Gemeinschaft. Dementsprechend hat nicht der Prior leitende Aufgaben, sondern der Leitende Komtur. Der Prior ist Seelsorger im besten Sinne des Wortes.
Die Spiritualität der Damen und Ritter hat einige Hauptpunkte: zunächst das Heilige Grab von Jerusalem, das für uns ein österliches Zeichen darstellt – das Grab ist leer, der Heiland lebt, so heißt es ja auch im Lied. Wir sind österliche Christen, geprägt von der Botschaft der Auferstehung. Diese Botschaft steht auf gegen jegliche Art von Bedrohung und Gewaltherrschaft, aus dem Bewusstsein heraus, dass der auferstandene Herr ein Friedenskönig ist.
Deswegen hat die Spiritualität auch eine politische Aufgabe: Wir wollen dazu beitragen, dass im Heiligen Land friedlich miteinander umgegangen werden kann zwischen Juden und Arabern, seien es christliche oder muslimische Araber. Der Einsatz für den religionsübergreifenden Frieden zeigt sich in der Unterstützung vielfältiger Werke durch den Orden, aber auch im Leben der einzelnen Mitglieder in den jeweiligen Komtureien. Wir haben hierfür nicht nur die Messe, sondern zum Beispiel auch ein Ordensgebetbuch. Im Ordensgebet wird einmal am Tag für den Frieden in der Welt gebetet. Die Geschichte der Spiritualität des Grabritterordens ist anders als die Geschichte anderer Ritterorden von vornherein eine wallfahrende, nicht eine militärische Geschichte.
Damit sind wir beim dritten Punkt unserer Spiritualität, die Wallfahrt. Die Adeligen, die sich im Mittelalter in Jerusalem den Ritterschlag holten, fanden sich zusammen zum Ritterorden. Das irdische Jerusalem als Pilgerziel verweist zugleich auf das himmlische Jerusalem. Das heißt, wir haben als Christen eine klare Zielvorgabe: Wir wollen in den Himmel kommen! Leider trauen sich die Menschen heute nur noch selten, das zuzugeben.