Roggenburger "Leiberfest"

Wenn Tote lebendig werden

ROGGENBURG – Noch ruhen sie still und verborgen in ihren Nischen in den Seitenaltären. Doch schon in wenigen Tagen kommt ihr großer Auftritt: An Mariä Himmelfahrt, dem Patrozinium der Klosterkirche Roggenburg, werden die Überreste von vier römischen Katakombenheiligen mit frischen Blumen und Kräutern geschmückt in einer Prozession um die Kirche getragen. Das „Leiberfest“ geht zurück auf einen alten Brauch aus dem Barock.

„Der Barock war eine sehr euphorische Zeit, weil der Tod allgegenwärtig war. Man hat versucht, ihn ästhetisch darzustellen, um ihm den Schrecken zu nehmen“, beschreibt Roggenburgs Pfarrer Pater Johannes Schmid den Hintergrund des fast makaber anmutenden Brauchtums. Und das funktioniere auch heute noch, sagt Pater Rainer Rommens, bis zu seinem Ruhestand viele Jahre Prior des Prämonstratenserklosters und Pfarrer von Roggenburg: „Die heiligen Leiber, die eigentlich den Tod darstellen, werden fast lebendig gemacht durch die frischen Blumen.“ Sie würden dadurch zu einem „Sinnbild für die eigene Auferstehung“. 

Den Weg ins bayerisch-schwäbische Roggenburg gefunden haben die Skelette 1722, erklärt Pater Rainer. Der damalige Abt, Dominikus Schwaninger, sei ein starker Förderer der Heiligenverehrung gewesen und habe die heiligen Leiber für die große 600-Jahr-Feier des Klosters 1726 nach Roggenburg geholt. 

Mit diesem Ansinnen war Abt Dominikus damals nicht allein: Als nach der Reformation und dem 30-jährigen Krieg die römischen Katakomben samt der darin bestatteten frühen Christen wieder­entdeckt wurden, waren vor allem Klöster bemüht, sich solche Heiligen zu besorgen. Damit wollten sie ihre Verbundenheit mit Rom zum Ausdruck bringen – „frei nach dem Motto: Wir haben den ‚guten‘ Glauben bewahrt“, weiß Pater Rainer.

Bis heute gibt es in vielen Klosterkirchen solche heiligen Leiber. „Die Besonderheit in Roggenburg ist, dass wir immer noch die Tradition pflegen, sie in einer feierlichen Prozession ums Kloster zu tragen“, sagt der Altprior. Während der Säkularisa­tion war das Leiberfest als „Aberglaube“ verpönt und verboten, wurde aber recht schnell zur 700-Jahr-Feier des Klosters 1827 wieder ins Leben gerufen.

Wie wichtig den Roggenburgern ihr Leiberfest auch heute noch ist, zeigt die stets volle Kirche am 15. August. Und doch nehmen Pater Johannes und Pater Rainer einen Wandel wahr: Früher sei es „eine Ehrensache“ gewesen, zu den Trägern der heiligen Leiber zu gehören. Laurentia, Severina und Valeria werden traditionell von vier jungen Frauen, der einzige männliche, Venantius, von vier jungen Männern getragen. 

Heute ist es oft schwer, genug junge Leute zu finden, die die Aufgabe übernehmen wollen. „Es ist auch schon vorgekommen, dass ein heiliger Leib stehenbleiben musste“, bedauert Pater Johannes. Deshalb helfen heutzutage immer mal wieder Eltern oder Pfarrgemeinderatsmitglieder aus. Vier Träger für den heiligen Venantius zu finden, ist auch aus einem anderen Grund nicht ganz leicht: Die jungen Männer müssen in die recht schmal geschnittenen Fracks passen, die seit Generationen an die jeweiligen Träger weitergegeben werden. 

„Edelknabe“ geht voraus

Neben den 16 Trägern der heiligen Leiber sind viele weitere Roggenburger, Ingstetter und Meßhofer – zwei kleine Dörfer, die der Pfarrei Roggenburg angehören, – gefordert: Angeführt wird die feierliche Prozession vom sogenannten Edelknaben in einem prächtigen goldenen Gewand. Was es genau mit ihm auf sich hat, ist unsicher, sagt Pater Johannes. Recht einleuchtend sei für ihn jedoch die Erklärung, dass es sich um eine Anspielung auf den im Roggenburger Weiher ertrunkenen Grafensohn derer von Bibereck handle, die nach dessen Tod 1126 das Kloster stifteten. 

Ihm folgen unter anderem der Kreuzträger, die Vereinsfahnen, die Muttergottes- und die Agatha-Fahne, der Himmel mit dem Allerheiligsten, die Kommunionkinder und die Bruderschaftstafel samt Stabträgern – je 13 Nachfahren der Gründungsmitglieder aus Ingstetten und Meßhofen. „Wenn mal einer der Stäbe stehenbleibt, ist das nicht so schlimm“, sagt der Vorsitzende des Vereins für Heimatpflege Roggenburg, Ludolf Karletshofer. „Wichtig ist bloß, dass bei uns weniger Stäbe stehenbleiben als bei den Ingstettern“, sagt der Meßhofer lachend. Begleitet wird die Prozession von der Musikkapelle Meßhofen. Den Abschluss bildet – passend zum Marienhochfest – die Muttergottestafel.

Romana Kröling 

Information

Der Patroziniumsgottesdienst mit der Heilig-Leiber-­Prozession um das Kloster beginnt am 15. August um 9 Uhr.