Warnung und Abwehr

Wetterglocken läuten Sturm

DIEßEN – Unwetter mit Starkregen und orkanartigen Böen haben im Juli im südlichen Oberbayern Dächer abgedeckt, Gebäude beschädigt, Straßen überflutet und Schneisen in Wälder geschlagen. In der Gemeinde Halfing (Rosenheim) ist sogar der Kirchturm ins Wanken geraten. 

Bedrohliche Wetterfronten haben wiederholt auch die Ammersee-
Westufer-Gemeinde Dießen im Visier gehabt – sind aber jedes Mal rechtzeitig abgedreht. Pfarrer Josef Kirchensteiner vom Marienmünster hat bei Gefahr im Verzug sofort die Mechtildis-Glocke geläutet und bei extremen Wetterlagen heuer erstmals die starke Richard-Glocke zusätzlich eingesetzt. 

Hat die Region Glück gehabt, oder hat der Glaube Wolkenberge versetzt? „Unser Marienmünster thront hoch über dem Ammersee“, erklärt der Geistliche. Möglicherweise treibe die Schallwirkung die Wolken auseinander. Er erinnert an zahlreiche Unwetter der vergangenen Jahre, zum Beispiel als sich der Ammersee zu Pfingsten 2019 binnen weniger Minuten in ein reißendes, aufgewühltes Gewässer verwandelte – woran sich die Schiffsführer und Matrosen mit Schrecken erinnern. „Aber Dießen ist gut weggekommen im Vergleich zu den Verwüstungen der Nachbarorte.“ 

Der Pfarrer berichtet, dass die Kraft der Glocken in der Marktgemeinde am Ammersee seit Jahrhunderten wegen ihrer Warn- und Signalwirkung geschätzt wird. Um den zunehmenden Einsatz der Glocken zu optimieren, hat die Pfarrei Dießen jüngst auch ihre Läute-Ordnung zeitgenössisch geregelt. „Das war notwendig für die Zukunft“, ist Pfarrer Kirchensteiner sicher.

Auch der Bayerische Landesverein für Heimatpflege in München begrüßt es, wenn das Sirenennetz wieder ertüchtigt und ausgebaut wird. Akustische Warnsignale hätten sich über Jahrhunderte bewährt, um die Menschen bei nahenden Wetterunbilden zu alarmieren. Michael Ritter, Referent für Bräuche beim Landesverein, erinnert an das Wetterläuten: „Nahte ein schwerer Sturm, läuteten der Pfarrer oder der Mesner die Wetterglocken und verständigten damit die Menschen bei der Feld-, Wald- oder Hausarbeit, damit sie sich und ihr Hab und Gut rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten.“

Bis ins 19. Jahrhundert – in Dießen möglicherweise noch viel früher, nämlich in der Zeit der Heimatheiligen, der seligen Mechthild (um 1125 bis 1160) – hätten die Menschen sogar an eine physikalische Auswirkung des Glockenläutens auf die Meteorologie geglaubt. „Sie gingen davon aus, dass die Schallwellen des Geläuts Gewitterwolken abwehren können“, betont Ritter. Mancherorts seien sogar Kanonen zum Einsatz gekommen, denn mit den Schüssen in die Luft meinte man die Bildung von Hagelkörnern zu verhindern. 

„Darüber hinaus hatte das Wetterläuten einen religiösen Hintergrund“, erklärt Rudolf Neumaier, Geschäftsführer beim Bayerischen Landesverein für Heimatpflege. Im Schwengel der Mechtildis-Glocke, die nach der Brotmutter von Dießen benannt ist, sollen Haare der Heiligen eingeschmolzen sein. Mechthild wirkte zu Lebzeiten segensreich in der Region. 

Acker verschont

Pfarrer Kirchensteiner erzählt, dass Graf Bertold II. aus dem Geschlecht derer von Andechs, Dießen und Meranien seine Tochter im Kindesalter in die Obhut des Frauenklosters St. Stephan zur Erziehung übergab. Als Mitgift habe sie einen Acker aus gräflichem Besitze bekommen. Die Legende erzählt von ihrer Zeit als Äbtissin: Sie habe stets Weizen für Hostien und Brot gehabt, weil Regen und Sturm dieses Ackerland verschonten. 

Die Verehrung als Patronin gegen das Unwetter dürfte um 1150 begonnen haben, als Mechthildens Getreide nach einer zerstörerischen Naturgewalt immer noch aufrecht stand. Obwohl die Heimatpfleger einen physikalischen Effekt des Wetterläutens auf Wolken in Frage stellen, erfüllt es in ihren Augen einen Zweck: „Wetter-
glocken haben meist einen markanten, eindringlichen Klang und sind weithin hörbar“, sagt Neumaier. „Damit kann der penetranteste Handy-Alarm kaum mithalten.“

Das Dießener Marienmünster besitzt mit acht Glocken im Kirchturm einen reichen Schatz. In der Erzabtei St. Ottilien befinden sich neun Glocken im Glockenstuhl, gegenüber von Dießen auf dem Heiligen Berg Andechs sind es fünf. 

Bei so vielen Glocken ist es schwierig, die Geläute zu unterscheiden. Deshalb hat Florian Jettenberger aus Augsburg, der viel Zeit im Marienmünster verbringt und mit Fotos deren Ausstattung festhält, mit Gerhard Schober eine CD produziert, auf der die Glocken und ihre Geschichten in Wort und Ton festgehalten sind.

Beate Bentele

Information: 

Die CD „Marienmünster Dießen – Die Glocken im Kirchenjahr“ stellt Pfarrer Kirchensteiner am Patrozinium, 15. August, um 10 Uhr beim Festgottesdienst vor. Sie ist für zehn Euro erhältlich. Um 15.30 Uhr erklingt ein halbstündiges Glockenkonzert. Kirchensteiner führt um 11.15 Uhr, 14 Uhr und 16 Uhr durch die Kirche.

08.08.2021 - Bistum Augsburg , Klimawandel