Papst em. Benedikt XVI. besucht Bruder

"Reise der Menschlichkeit"

REGENSBURG (red) – Als eine „Reise der Menschlichkeit“ hat Bischof Rudolf Voderholzer den fünftägigen Besuch von Papst em. Benedikt XVI. in Regensburg bezeichnet. In einem Pressestatement am vergangenen Montag zog er eine erste Bilanz dieses Elebnisses, das auch ihn „sehr bewegt“ habe.

Der Bischof berichtete zunächst über den letzten Tag des Kurzbesuches von Papa em. Benedikt XVI., der noch einmal überraschend begann. Benedikt hatte entschieden, vor dem Abflug noch einmal in der Luzengasse vorbeizufahren und ein allerletztes Mal den Bruder zu treffen. So habe sich der Kreis geschlossen. Die erste und letzte Begegnung habe dem altersschwach im Krankenbett liegenden Bruder gegolten.

Am Flughafen sei man bereits von Ministerpräsident Markus Söder und Staatsminister Florian Hermann, der auch schon bei der Begrüßung gekommen war, erwartet worden. Der Ministerpräsident habe von einer großen Ehre für Bayern und einer großen Freude gesprochen. Benedikt XVI. habe sich ganz herzlich bedankt für den Empfang und die große Wertschätzung, die durch die Anwesenheit des Ministerpräsidenten zum Ausdruck komme.

„Ich habe ihm dann zum Schluss noch einmal Gottes Segen für einen guten Flug gewünscht und ihm versprochen, dass wir gut auf seinen Bruder schauen werden“, berichtete der Bischof von seinem Abschied. Damit sei ein unvorhergesehener, auf die Schnelle von jetzt auf gleich zu planender, für alle Beteiligten herausfordernder, aber letztlich hervorragend verlaufener, hoch emotionaler Besuch zu Ende gegangen.

Aufbauend und stärkend

„Ich darf Ihnen sagen, dass ich natürlich sehr erleichtert bin, und dass es mich freut, dass die Begegnung, ein Herzenswunsch der beiden Brüder, für beide sehr aufbauend und ganz offenkundig auch stärkend war“, gestand der Bischof und listete nochmals die Stationen des Besuchs auf: Benedikt XVI., der seit 2013 emeritierte Papst, besuchte seinen schwerkranken und hochbetagten Bruder, bewegt von der Sorge, ihn nicht mehr lebend auf dieser Welt anzutreffen. Er besuchte seine Heimat, die Grabstätte seiner Eltern, sein Haus, mit dem ihn eine Lebenssehnsucht verbindet und wo er eigentlich seinen Lebensabend hatte verbringen wollen. Er besuchte das Institut Papst Benedikt XVI., in dem sein theologisches Werk umfassend dokumentiert und die Gesamtausgabe vorbereitet wird. „Und wir haben am Wolfgangsschrein im Regensburger Dom gebetet“, ergänzte Bischof Rudolf die glückliche Fügung, dass der spontane Besuch mit dem Beginn der Wolfgangswoche, der diözesanen Festwoche in der Vorbereitung auf die Priesterweihe, zusammenfiel.

Es sollte ein rein privater Besuch werden ohne offizielles oder diplomatisches Protokoll, was natürlich bei einem Mann der Öffentlichkeit nur schwer zu realisieren sei. So sei es immerhin zu einer Begegnung mit dem Apostolischen Nuntius, dem Vertreter von Papst Franziskus in Deutschland, gekommen. „Dieser Besuch, der nicht von extern, sondern von intern sozusagen kam, war ein Zeichen des Wohlwollens und der Unterstützung von Papst Franziskus“, unterstrich Bischof Voderholzer und hob dann die Bedeutung von Benedikt XVI. nochmals deutlich hervor:

Die Bedeutung Benedikts

„Ich habe Benedikt in meiner Predigt vom gestrigen Sonntag einen Jahrhunderttheologen und den größten Prediger auf dem Stuhl Petri seit Leo und Gregor, den beiden ‚Großen‘, genannt. Unzählige Menschen haben sich ergreifen lassen von seinem Wort und finden nach wie vor in seinen Werken Ermutigung und Stärkung im Glauben. Aus der Feder Joseph Ratzingers/Papst Benedikts stammen internationale Bestseller mit Millionenauflagen. Ich nenne nur seine 1968 erstmals erschienene ,Einführung in das Christentum‘ und seine ,Jesus-Trilogie‘. Er hat Millionen junger Menschen bewegt, etliche Hunderttausende allein zum Beispiel auf dem Kölner Weltjugendtag. Er sprach gerade die Zweifler an, die Menschen, die auf der Suche sind nach einer sinnerfüllten Existenz, die sich gleichzeitig den Herausforderungen der Vernunft und des Glaubens stellt. Er beeinflusste maßgeblich die zentralen Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils, die der Kirche von heute und morgen den Weg weisen. Sein theologisches Werk ist in vieler Hinsicht prophetisch und in seiner Tiefe ein epochales Zeugnis menschlicher Größe, Würde und Glaubenskraft. Er war Oberhaupt von 1,3 Milliarden Katholiken aller Völker und Nationen. Immer aber war er ein Brückenbauer, ein Pontifex, der in seiner stillen, ja demütigen Art Menschen gewinnen konnte, die Begegnung mit Christus zu suchen.“

In den vergangenen fünf Tagen, so der Bischof weiter, habe man nun diesen Mann in seiner Gebrechlichkeit, in seiner Altersschwäche und seiner Endlichkeit erlebt. Benedikt spreche mit leiser, ja fast flüsternder Stimme; und die Artikulation bereite ihm sichtlich Mühe. Seine Gedanken aber seien völlig klar; sein Gedächtnis, seine Kombinationsgabe phänomenal. Für praktisch alle alltäglichen Lebensvollzüge sei er auf die Hilfe anderer angewiesen. 

„Es gehört viel Mut, aber auch Demut dazu, sich so in die Hände anderer Menschen zu begeben; und sich auch in der Öffentlichkeit zu zeigen. Dabei war ihm klar, dass man ihn nicht würde ganz verbergen können. Unser Anliegen war es, Sie alle zu bitten, die Privatsphäre zu achten“, sagte der Bischof.

Was wirklich wichtig ist

„Benedikt XVI. begegnete uns in all seiner gealterten Schwäche, und wir durften dabei erfahren und miterleben, was bei aller menschlichen Größe und Schaffenskraft am Ende aller Tage wirklich wichtig ist.“

Da sei zunächst die Liebe, die ein Mensch von seinen Eltern erfährt. Sie baue ihn auf, sie ermutige seinen Weg, sie entfalte die Kraft, einem Lebensweg die Richtung zu schenken. Sie trage ihn auch noch, wenn das Ende in Sicht ist. „Ich habe gestern in der Predigt anlässlich der Feier der Ehejubiläen und im Blick auf die Priesterweihe nächsten Samstag gesagt: ,Die Liebe der Eltern ist das erste Sakrament im Leben eines Menschen, auch und gerade eines Priesters, sogar eines Papstes. Diese Liebe ist ein Abbild der Liebe Gottes, von der sie sich empfängt und die sie den Kindern überliefert‘“, verwies der Bischof.

Es sei die dankbare Erinnerung an diese grundlegende Erfahrung, die Benedikt XVI. an das Grab von Mutter und Vater in Ziegetsdorf geführt habe. Zur Erinnerung: Die Geschwister Ratzinger hatten 1974 beschlossen, ihre Eltern vom Friedhof in Traunstein, wo sie ja zunächst begraben wurden – der Vater starb 1959, die Mutter 1963 –, nach Ziegetsdorf überführen zu lassen, damit die Familie sozusagen beisammen ist. 1991 wurde in diesem Grab dann auch die ältere Schwester begraben, zu deren Tod der damalige Kardinal Ratzinger, zu seinem großen Schmerz, nicht rechtzeitig gekommen war.

All das zeige aber, so Bischof Rudolf weiter, wie sehr für Benedikt Regensburg irdische Heimat darstelle. Heimat werde konstituiert vor allem durch Beziehung. Die Liebe zur Heimat stehe dabei nicht im Widerspruch zur Hoffnung, Mutter und Vater in der Ewigkeit Gottes wiederzusehen.

Bischof Voderholzer: „Es ist diese Zuneigung, die Benedikt zu dieser Reise bewogen und die ihn an das Krankenbett seines Bruders geführt hat. Man kann nur jedem eine solche Zuneigung wünschen, ein so brüderliches Miteinander, wie sie sich in der Beziehung der Geschwister Ratzinger bezeugt. Sie lebt von Treue, Vertrauen, Selbstlosigkeit und einem tragfähigen Fundament: Im Falle der Brüder Ratzinger ist das der gemeinsame lebendige Glaube an Christus, den Gottessohn. 

Neunmal seien die beiden Brüder zusammengetroffen. Jede dieser Begegnungen habe ihnen ganz offenkundig Lebenskraft, frischen Mut und Freude vermittelt. Neunmal hätten sie zueinandergefunden mit wenigen Worten, mit den vertrauten Gesten und vor allem im Gebet. An jedem Tag sei am Krankenbett – im kleinsten Kreis – die Eucharistie gefeiert worden. „Am Freitag, zum Herz-Jesu-Fest, durfte ich der Messe vorstehen. Man spürt: Das ist die Quelle, von woher die beiden leben“, gestand Bischof Rudolf.

Benedikts Reise sei vielleicht auch ein Abschied von seiner bayerischen Heimat gewesen. „Heimat ist der Horizont der ersten Erinnerungen und der Ort, mit dem sich die tragenden Beziehungen eines Menschen verbinden. Es war zu spüren, wie sehr Benedikt aufblühte, wenn er die vertraute Landschaft, die vertrauten Gassen und Wege und vor allem die Menschen durch die Scheiben seines Transportautos sah.“

Benedikts Reise, so der Bischof, sei auch ein geistlicher Weg gewesen: „In meinem Erleben schloss sich ein Kreis, als wir am Sonntag zusammen am Schrein des heiligen Wolfgang im Regensburger Dom beteten. Wir beteten eine Fürbitt­litanei zum heiligen Wolfgang, dann das Vaterunser, ein ‚Ave Maria‘, sangen das ‚Te Deum‘ und das ‚Salve Regina‘. Ich bat Benedikt um seinen Segen für die Gläubigen und die Kirche in Regensburg, den er bereitwillig spendete. Getragen war das gemeinsame Beten von der Hoffnung und dem Glauben, geborgen zu sein in Gott. Einem Gott, der uns die Türen des Himmels offen hält, der uns einen Platz in der ewigen Heimat bereithält, in dem unser Leben seinen Sinn und seine Fülle gewinnt, und der uns mit Gnade und Barmherzigkeit betrachtet.“

Manche hätten in Benedikts Besuch ein historisches Ereignis gesehen. Andere hätten vielleicht mit den Schultern gezuckt, weil sie Christus und seiner Kirche wenig Bedeutung beimessen würden. „In meinen Augen war der Besuch vor allem eine Reise der Menschlichkeit. Ein Mann, mit dem man Großes verbinden kann, begegnete uns als gebrechlicher, ja hilfloser Mensch, dessen verbliebene Lebenskraft gerade mal ausreicht, das Wesentliche auf dieser Welt im Blick zu halten. Mich hat dieses Erlebnis sehr bewegt – ich brauche selber jetzt erst einmal ein wenig Abstand. Es hat mich ja ganz unvermittelt und unvorbereitet getroffen“, gestand der Bischof.

Dank des Bischofs

Seine erste Reaktion auf die Ankündigung von Erzbischof Georg Gänswein sei gewesen: „Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um dem Papa emerito diesen Wunsch zu ermöglichen, und es war mir und allen meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine Ehre, dem emeritierten Papst zu Diensten zu stehen.“ Daher dankte Bischof Voderholzer allen Mitarbeitern in der Ordinariatskonferenz, im Domkapitel und im Priesterseminar unter Leitung von Regens Martin Priller, die in kürzester Zeit die Beherbergung organisierten – nicht nur für Benedikt selbst, sondern auch für die Menschen, die ihn begleiteten, und für die Polizisten, die die Verantwortung für die unmittelbare Sicherheit trugen. Namentlich dankte der Bischof auch dem Caritas­direktor Diakon Michael Weißmann, der ja nicht nur Theologe, sondern auch ausgebildeter Krankenpfleger ist, für die hervorragende Arbeit im Hintergrund. Den großen und weitgehend ehrenamtlich geleisteten Dienst der Malteser, die den Fahrdienst bewerkstelligten, habe er ebenso bewundert wie die so flexible, freundliche und zutiefst professionelle Arbeit der Polizei. Daher bat der Bischof die Journalisten, seinen Dank, auch im Namen von Benedikt XVI. und von Erzbischof Gänswein, unbedingt öffentlich zum Ausdruck zu bringen.

Nicht zuletzt dankte der Bischof den Journalisten selbst, die zurückhaltend berichtet und damit wesentlich dazu beigetragen hätten, dass diese im Kern private Reise auch eine private habe bleiben können und doch ein bewegendes Ereignis geworden sei für viele Regensburgerinnen und Regensburger, für die ganze Region und, wie er von verschiedenen Seiten mitgeteilt bekommen habe, sogar für die Christenheit weltweit.

24.06.2020 - Bistum Regensburg