Heilige Stiege in Rom wird restauriert

28 Stufen zum Himmel

ROM – Die Scala Santa – die Heilige Stiege – gehört seit Jahrhunderten zu den beliebtesten sakralen Sehenswürdigkeiten in der Ewigen Stadt. Die Gläubigen steigen die Stufen auf Knien empor, um der Passion Christi zu gedenken. Nun wird die Stätte dem Publikum für mindestens ein halbes Jahr nicht mehr zugänglich sein: Sie wird restauriert.

Etwa 1700 Quadratmeter Freskenmalereien, die Erzählungen aus dem Alten und Neuen Testament zeigen, umgeben die Stufen. Die Bilder wurden um 1589 auf Wunsch von Papst Sixtus V. gemalt. Er wollte den Pilgern damit den Glauben vermitteln. Durch den großen Andrang in den vergangenen Jahren haben die Fresken sichtbare Schäden erlitten, die nun ausgebessert werden müssen.

„Da die Gläubigen früher meist Analphabeten waren, wurden die biblischen Erzählungen mit Bildern dargestellt“, erläutert Mary Angela Schroth, Kunstkuratorin in Rom. Während der Restaurierungsarbeiten, die möglicherweise bis zu einem Jahr andauern, werden die Fresken nicht mehr dem breiten Publikum sichtbar sein. 

„Wer heute die Scala Santa besucht, ignoriert meist diese wunderschönen Freskenbilder“, sagt Paul Encinias, Direktor von „Eternal City Tours“, einer Agentur für Stadtführungen in Rom. Viele wüssten gar nicht, was die Heilige Stiege sei, oder könnten mit den kunsthistorischen Bildern nichts anfangen. „Die Pilger des 21. Jahrhunderts haben meist Mühe mit künstlerischen Darstellungen“, fügt Encianias an. Es sei vielen unverständlich, was Freskenbilder für den Glauben bringen könnten. Vielleicht trage die Restaurierungspause dazu bei, dass sich die Pilger wieder bewusst werden, was die Bilder aus dem 16. Jahrhundert heute noch zu sagen haben.

„Im Mittelalter war der päpstliche Palast beim Lateran, der sogenannte Patriarchio, mit der Lateranbasilika verbunden“, erläutert die italienische Kunsthistorikerin Maria Teresa Gigliozzi von der päpstlichen Universität Gregoriana. Der Haupteingang zum Patriarchio bestand aus einer Marmor-Treppe, die Christus emporgestiegen sein soll, als er kurz vor seiner Kreuzigung zu Pontius Pilatus geführt wurde. „Man sagt, dass die Mutter von Kaiser Konstantin, die heilige Helena, diese Stiege aus Jerusalem nach Rom habe bringen lassen“, erläutert Gigliozzi.

Vorläufer des Vatikan

Der Patriarchio war ein großer Komplex mit vielen Sälen und Hallen. Auch die Privatgemächer des Papstes sowie die Diensträume der Kurie und etliche Kapellen waren dort untergebracht. Die Anlage war sozusagen der Vorläufer des Vatikan, nur in einem anderen Stadtteil Roms gelegen. Wer heute die Scala Santa beim Lateran besucht, wird nur die Stiege sowie ein einfaches Gebäude vorfinden. Nichts lässt erahnen, dass dieser Bau einst mit der benachbarten Lateranbasilika verbunden war – zumal eine mehrspurige Straße die beiden Sehenswürdigkeiten vonei­nander trennt.

Die 28 Stufen der Heiligen Treppe führen zum wichtigsten Raum des ehemaligen Patriarchio: zur Privatkapelle des Papstes, der Sancta Sanctorum. Hier wurden früher die bedeutendsten Reliquien der Christenheit aufbewahrt. Dazu zählten die Häupter der Apostel Petrus und Paulus, die 1370 in dem heute noch sichtbaren Baldachin über dem Hauptaltar zur Late­ranbasilika überführt wurden. Papst Sixtus V. (1585 bis 1590) ließ den Patriarchio abreißen, um ein neues, deutlich kleineres Gebäude zu errichten. Dieser Bau ist das heutige römische Vikariat. Die Heilige Stiege und die Papstkapelle ließ er aber stehen.

In der Kapelle Sancta Sanc­torum sind noch heute Mosaiken aus der Zeit von Papst Nikolaus III. (1277 bis 1280) zu bestaunen. Hier ist unter anderem die Stadt Rom im 13. Jahrhundert dargestellt. Auch Reliquien sind in der Papstkapelle noch enthalten, unter anderem eine Holztafel des Heilands, die „acheropita“. „Dieser Name verweist darauf, dass die Tafel nicht von Menschenhand gemacht wurde. Die Holztafel wurde im Mittelalter sehr verehrt und deshalb in einer Silbertheke aufbewahrt, die Anfang des 13. Jahrhunderts errichtet wurde“, sagt Kunsthistorikerin Gigliozzi.

Um diese heiligen Räume zu bewahren, ließ der Schweizer Architekt Domenico Fontana (1543 bis 1607) im Auftrag von Papst Sixtus V. ein Gebäude um die Heilige Stiege und die Sancta Sanctorum bauen, eine Art Schutzkastenbau. Seitlich der Heiligen Stiege wurden zwei weitere Stiegen angebaut sowie zwei Kapellen, die den Heiligen Laurentius und Silvester gewidmet sind.

Der Bau um die Scala Santa hat im Laufe der Jahrhunderte etliche Neubauten erlebt. Aber auch Restaurierungsarbeiten fehlten nicht, erläutert Gigliozzi. 1724 erhielten die Stiegenstufen eine Hülle aus Nussbaumholz. So findet man sie heute noch vor. Während des Pontifikats von Pius IX. im Jahre 1853 gelangte das Gebäude in die Obhut des Ordens der Passionisten. Diese kümmerten sich um weitere Restaurierungsarbeiten und ließen ein Passionistenkloster anbauen.

Mehrere Restaurierungen

„In den vergangenen 30 Jahren gab es sechs wichtige Restaurierungsarbeiten“, sagt Gigliozzi. Dabei sei es nicht um die Stiege an sich gegangen, sondern vor allem um die Fresken. 1990 hatte ein bedeutender Schinkenhersteller aus Parma die Restaurierung der Fresken in der Sancta Sanctorum finanziert, zehn Jahre später wurden dank einer US-amerikanischen Stiftung die Fresken an der Heiligen Stiege genauer untersucht sowie die Sankt-Silvester-Kapelle restauriert. 2013 haben die Vatikanischen Museen die zweite Kapelle, jene des heiligen Lauren­tius, wieder in Stand gebracht. „Der Passionistenorden hat 2014 den Kreuzweg und die Fensterverglasungen aus dem 19. Jahrhundert restaurieren lassen“, sagt Gigliozzi. 

Die beiden Seiten-Treppen wurden im Jahr 2015 restauriert. Nun folgt die Heilige Stiege. „Was sie braucht, sind Reinigungen, also die Beseitigung von Staub und Schmutz, sowie die Füllung fehlender Farbe und eine neue Beleuchtung“, erläutert die Expertin. Die neue Beleuchtung soll vor allem im Eingangsbereich, der bisher sehr dunkel war, eingesetzt werden. So können die drei Skulpturen, die sich am Fuße der Stiegen befinden, besser in Szene gesetzt werden: Sie stellen Stationen aus der Passion Christi mit Pontius Pilatus und Judas dar.

„Die Heilige Stiege ist ein außergewöhnliches Zeugnis für alle Christen“, sagt Gigliozzi. Es bedürfe noch vieler Untersuchungsarbeiten und Instandsetzungen, damit dieser wichtige Bau der Christenheit weiterhin seine Verkündigungsfunktion erfüllen kann. „Die ideale Restaurierungsarbeit besteht nämlich nicht darin, radikal und sporadisch einzugreifen, sondern die Objekte durch permanente Sorgfalt zu schützen“, fügt sie an.

Wer früher die Heilige Stiege aufsuchte, wollte vor allem „auf den Spuren Jesu“ gehen. Deshalb zählte die Scala Santa zusammen mit Jerusalem und den sieben Pilgerkirchen in Rom zu den obligaten Etappen eines jeden Wallfahrers. „Darunter verstand man nicht nur Fremde. Auch Römer zählten dazu. So gehörte die Heilige Stiege auch zu den örtlichen Wallfahrtsorten“, sagt Gigliozzi. 

Die Heilige Stiege zu besuchen, war früher Teil des Pflichtprogramms für Bischöfe anlässlich ihrer Ad-Limina-Besuche in Rom. „Erst seit wenigen Jahren gelten christliche Kultstätten auch einem nicht-religiö­sen Publikum als kultureller Reichtum“, erklärt Gigliozzi. Die Heilige Stiege habe somit heutzutage verschiedene „Verehrer“ und sei einem breiten Publikum bekannt.

Nicht mit Füßen treten

Die Kirche gewährt jedem Pilger, der die Stufen auf Knien erklimmt und auf jeder Stufe ein Vaterunser betet, einmal pro Jahr beziehungsweise zu bestimmten Feiertagen einen Generalablass. Ein Teilablass ist täglich möglich. Wieso kniend? „Aus Respekt und Frömmigkeit, da man nicht mit Füßen eine so heilige Reliquie treten will“, erklärt die Professorin. „Man sagt, dass die Arbeiter, die im Mittelalter die Stiege aus Jerusalem in Rom wieder zusammenbauten, von oben anfingen, damit sie nicht die Stufen berühren mussten“, erzählt Gigliozzi.

Mountain Butorac, ein US-amerikanischer Touristenführer, begleitet seit vier Jahren englischsprachige Gäste zur Scala Santa, seinem Lieblingsort in Rom. Allein im vergangenen Jahr hat er rund 500 Touristen, sowohl Christen als auch Nicht-Christen, zur Heiligen Stiege gebracht. Die Stufen kniend empor zu steigen, sei „ziemlich anstrengend“. Aber wenn man an die Pas­sion Christi denke und an dessen Tod, „so lässt dies die Schmerzen erträglicher machen“. 

Was ihn am meisten an der Heiligen Stiege fasziniere, sei, ihre Wirkung auf die Leute zu beobachten. So habe er erlebt, wie Menschen, die von der Kirche ausgetreten seien, dank der Stiege wieder zum Glauben gefunden und den Wunsch geäußert hätten, zur Beichte zu gehen und die heilige Kommunion zu empfangen. „Ich lade alle ein, auch jene, die nicht katholisch sind, die Stiege zu besuchen“, fügt er an. Bis zur Wiedereröffnung  können Gäste die Neben-Stiegen erklimmen und auf diese Weise einen Teilablass erhalten.

Mario Galgano

22.08.2018 - Kunst , Vatikan , Wallfahrt