Die 28 Stufen der Heiligen Treppe führen zum wichtigsten Raum des ehemaligen Patriarchio: zur Privatkapelle des Papstes, der Sancta Sanctorum. Hier wurden früher die bedeutendsten Reliquien der Christenheit aufbewahrt. Dazu zählten die Häupter der Apostel Petrus und Paulus, die 1370 in dem heute noch sichtbaren Baldachin über dem Hauptaltar zur Lateranbasilika überführt wurden. Papst Sixtus V. (1585 bis 1590) ließ den Patriarchio abreißen, um ein neues, deutlich kleineres Gebäude zu errichten. Dieser Bau ist das heutige römische Vikariat. Die Heilige Stiege und die Papstkapelle ließ er aber stehen.
In der Kapelle Sancta Sanctorum sind noch heute Mosaiken aus der Zeit von Papst Nikolaus III. (1277 bis 1280) zu bestaunen. Hier ist unter anderem die Stadt Rom im 13. Jahrhundert dargestellt. Auch Reliquien sind in der Papstkapelle noch enthalten, unter anderem eine Holztafel des Heilands, die „acheropita“. „Dieser Name verweist darauf, dass die Tafel nicht von Menschenhand gemacht wurde. Die Holztafel wurde im Mittelalter sehr verehrt und deshalb in einer Silbertheke aufbewahrt, die Anfang des 13. Jahrhunderts errichtet wurde“, sagt Kunsthistorikerin Gigliozzi.
Um diese heiligen Räume zu bewahren, ließ der Schweizer Architekt Domenico Fontana (1543 bis 1607) im Auftrag von Papst Sixtus V. ein Gebäude um die Heilige Stiege und die Sancta Sanctorum bauen, eine Art Schutzkastenbau. Seitlich der Heiligen Stiege wurden zwei weitere Stiegen angebaut sowie zwei Kapellen, die den Heiligen Laurentius und Silvester gewidmet sind.
Der Bau um die Scala Santa hat im Laufe der Jahrhunderte etliche Neubauten erlebt. Aber auch Restaurierungsarbeiten fehlten nicht, erläutert Gigliozzi. 1724 erhielten die Stiegenstufen eine Hülle aus Nussbaumholz. So findet man sie heute noch vor. Während des Pontifikats von Pius IX. im Jahre 1853 gelangte das Gebäude in die Obhut des Ordens der Passionisten. Diese kümmerten sich um weitere Restaurierungsarbeiten und ließen ein Passionistenkloster anbauen.
Mehrere Restaurierungen
„In den vergangenen 30 Jahren gab es sechs wichtige Restaurierungsarbeiten“, sagt Gigliozzi. Dabei sei es nicht um die Stiege an sich gegangen, sondern vor allem um die Fresken. 1990 hatte ein bedeutender Schinkenhersteller aus Parma die Restaurierung der Fresken in der Sancta Sanctorum finanziert, zehn Jahre später wurden dank einer US-amerikanischen Stiftung die Fresken an der Heiligen Stiege genauer untersucht sowie die Sankt-Silvester-Kapelle restauriert. 2013 haben die Vatikanischen Museen die zweite Kapelle, jene des heiligen Laurentius, wieder in Stand gebracht. „Der Passionistenorden hat 2014 den Kreuzweg und die Fensterverglasungen aus dem 19. Jahrhundert restaurieren lassen“, sagt Gigliozzi.
Die beiden Seiten-Treppen wurden im Jahr 2015 restauriert. Nun folgt die Heilige Stiege. „Was sie braucht, sind Reinigungen, also die Beseitigung von Staub und Schmutz, sowie die Füllung fehlender Farbe und eine neue Beleuchtung“, erläutert die Expertin. Die neue Beleuchtung soll vor allem im Eingangsbereich, der bisher sehr dunkel war, eingesetzt werden. So können die drei Skulpturen, die sich am Fuße der Stiegen befinden, besser in Szene gesetzt werden: Sie stellen Stationen aus der Passion Christi mit Pontius Pilatus und Judas dar.
„Die Heilige Stiege ist ein außergewöhnliches Zeugnis für alle Christen“, sagt Gigliozzi. Es bedürfe noch vieler Untersuchungsarbeiten und Instandsetzungen, damit dieser wichtige Bau der Christenheit weiterhin seine Verkündigungsfunktion erfüllen kann. „Die ideale Restaurierungsarbeit besteht nämlich nicht darin, radikal und sporadisch einzugreifen, sondern die Objekte durch permanente Sorgfalt zu schützen“, fügt sie an.
Wer früher die Heilige Stiege aufsuchte, wollte vor allem „auf den Spuren Jesu“ gehen. Deshalb zählte die Scala Santa zusammen mit Jerusalem und den sieben Pilgerkirchen in Rom zu den obligaten Etappen eines jeden Wallfahrers. „Darunter verstand man nicht nur Fremde. Auch Römer zählten dazu. So gehörte die Heilige Stiege auch zu den örtlichen Wallfahrtsorten“, sagt Gigliozzi.
Die Heilige Stiege zu besuchen, war früher Teil des Pflichtprogramms für Bischöfe anlässlich ihrer Ad-Limina-Besuche in Rom. „Erst seit wenigen Jahren gelten christliche Kultstätten auch einem nicht-religiösen Publikum als kultureller Reichtum“, erklärt Gigliozzi. Die Heilige Stiege habe somit heutzutage verschiedene „Verehrer“ und sei einem breiten Publikum bekannt.
Nicht mit Füßen treten
Die Kirche gewährt jedem Pilger, der die Stufen auf Knien erklimmt und auf jeder Stufe ein Vaterunser betet, einmal pro Jahr beziehungsweise zu bestimmten Feiertagen einen Generalablass. Ein Teilablass ist täglich möglich. Wieso kniend? „Aus Respekt und Frömmigkeit, da man nicht mit Füßen eine so heilige Reliquie treten will“, erklärt die Professorin. „Man sagt, dass die Arbeiter, die im Mittelalter die Stiege aus Jerusalem in Rom wieder zusammenbauten, von oben anfingen, damit sie nicht die Stufen berühren mussten“, erzählt Gigliozzi.
Mountain Butorac, ein US-amerikanischer Touristenführer, begleitet seit vier Jahren englischsprachige Gäste zur Scala Santa, seinem Lieblingsort in Rom. Allein im vergangenen Jahr hat er rund 500 Touristen, sowohl Christen als auch Nicht-Christen, zur Heiligen Stiege gebracht. Die Stufen kniend empor zu steigen, sei „ziemlich anstrengend“. Aber wenn man an die Passion Christi denke und an dessen Tod, „so lässt dies die Schmerzen erträglicher machen“.
Was ihn am meisten an der Heiligen Stiege fasziniere, sei, ihre Wirkung auf die Leute zu beobachten. So habe er erlebt, wie Menschen, die von der Kirche ausgetreten seien, dank der Stiege wieder zum Glauben gefunden und den Wunsch geäußert hätten, zur Beichte zu gehen und die heilige Kommunion zu empfangen. „Ich lade alle ein, auch jene, die nicht katholisch sind, die Stiege zu besuchen“, fügt er an. Bis zur Wiedereröffnung können Gäste die Neben-Stiegen erklimmen und auf diese Weise einen Teilablass erhalten.
Mario Galgano