Nahost-Christen in Gefahr

Ägyptischer Jesuit: Diskriminierung gehört zum Islam

Kaum ein Christ kennt den Islam so gut wie der ägyptische Jesuitenpater Samir Khalil Samir. "Religiöse Diskriminierung ist Teil des islamischen Konzepts", sagt der renommierte Islamwissenschaftler im Exklusiv-Interview. Für seinen Einsatz gegen religiöse Unterdrückung im Nahen Osten hat der 80-Jährige kürzlich den Sonderpreis der Stephanus-Stiftung für verfolgte Christen erhalten.

Professor Samir, ist der Islam eine Religion des Friedens?

Ja und Nein! Sowohl im Koran als auch in Mohammeds Verhalten finden wir sowohl eine friedliche Haltung als auch eine gewaltsame. Als er machtlos war, trat er in Mekka für den Frieden ein. In der zweiten Phase seines Lebens, in Medina, führte er Krieg. Dies entsprach den damaligen Sitten in Arabien.

Nach seinem Tod folgten die Muslime seiner Methode und eroberten erfolgreich andere Länder, obwohl sie zahlenmäßig unterlegen waren. Da der Islam ein globales Projekt ist – und zwar sowohl ein religiöses als auch ein gesellschaftliches und ein politisches – sind Muslime bestrebt, in den neuen Gesellschaften ungefragt allen ihre islamischen Standards aufzuzwingen, die stark von Beduinentraditionen geprägt sind.

Kritiker sagen, der Islam sei nicht nur Religion, sondern auch politische Ideologie. Auch Sie sprachen die politische Komponente an. Kann es überhaupt einen unpolitischen Islam geben?

Der Islam ist ein globales Gesellschaftsprojekt. Es war anfangs ein religiöses Projekt, bei dem Mohammed seinen Zeitgenossen vorschlug, die Verehrung verschiedener Götter aufzugeben und einen einzigen Gott, Allah, anzuerkennen. Damals spielten Juden und Christen auf der arabischen Halbinsel eine maßgebliche Rolle.

Der Islam ist gleichzeitig ein gesellschaftliches und ein politisches Projekt, es umfasst sowohl religiöse als auch politische Dimensionen: Gesellschaftlich will der Islam die Menschen an die beduinischen Gebräuche gewöhnen, politisch will er eine vereinigte Gemeinschaft. Das ist das große Problem!

Heute gibt es Staaten mit muslimischer Mehrheit, die zwischen Religion und Politik unterscheiden. So hat etwa Syrien, ein Staat, dessen Bevölkerung zu 90 Prozent Muslime stellen, eine säkulare Verfassung. Sie wurde 1973 auf Antrag von Präsident Hafez al-Assad von einem orthodoxen Christen, Michel Aflaq, erarbeitet. Der Präsident muss Muslim sein, aber der Islam ist nicht Staatsreligion. Die zugrundeliegende Weltanschauung ist gekennzeichnet durch Panarabismus, Säkularismus und Sozialismus und bemüht, zwischen Religion und Politik zu unterscheiden.

Wir könnten auch Tunesien unter Habib Bourguiba erwähnen, der, obwohl Muslim, 1956 einen gewissen Säkularismus und vor allem die absolute Gleichstellung von Männern und Frauen einführte. In beiden Fällen spielte der Einfluss der französischen Präsenz in diesen Ländern eine entscheidende Rolle.

Wie müssen Politik und Kirche in Europa der muslimischen Welt gegenübertreten? Wie kann der Dialog funktionieren?

In den Beziehungen zu allen Staaten, einschließlich der muslimischen Länder, sollten immer zwei wesentliche Grundsätze gelten: Gleichheit zwischen allen Bürgern und Gleichstellung von Männern und Frauen. Dies ist die Grundlage der menschlichen Würde.

Folglich kann man bei der Schaffung von Rechten nicht zwischen einem Muslim, einem Christen oder einem Konfessionslosen unterscheiden. Alle haben die gleichen Rechte und Pflichten gegenüber dem Staat. Gleiches gilt für Männer und Frauen, die nach dem Gesetz dieselben Rechte und Pflichten haben müssen.

Es wäre sehr wichtig, dass die europäischen Staaten auf diesen beiden Prinzipien bestehen, auch gegenüber Saudi-Arabien. Es versteht sich von selbst, dass die Länder, die dies verlangen, das Risiko eingehen, im Vergleich zu anderen Ländern benachteiligt zu werden. Deshalb ist es wichtig, dass eine solche Entscheidung von allen europäischen Staaten gemeinsam getroffen wird.

Dies setzt überdies voraus, dass die Europäische Union einen gemeinsamen Ausschuss zur Durchsetzung dieser Entscheidung einrichtet. Er muss verhindern, dass die rechtliche Gleichstellung auf dem Schleichweg ausgehöhlt wird.

Gilt das auch für den Umgang mit jenen, die Gewalt und Terror gegen Christen fördern: mit Islamisten?

Islamisten sind definitionsgemäß ex­tremistische Muslime, die sich durch Fanatismus und stumpfsinnige Interpretation bestimmter Traditionen deutlich von anderen Muslimen unterscheiden. Dies führt zu einer eklatanten Ungerechtigkeit gegenüber Christen.

Auf der Grundlage dessen, was ich vorhin erläutert habe, muss Europa systematisch auf der absoluten Gleichbehandlung von Muslimen, Christen und anderen bestehen. Weder bei der Religion noch beim Geschlecht darf es rechtliche Unterschiede geben. Auch hier müssen alle europäische Staaten eine gemeinsame Position einnehmen.

Wie erleben die Christen in einem Land wie Ägypten, Ihrer Heimat, die alltägliche Diskriminierung? Was tut die Regierung – abseits von Lippenbekenntnissen – für die christliche Minderheit?

Angesichts ihrer anhaltenden Diskriminierung auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens sind Christen oft hilflos. Die freundschaftlichen Beziehungen zwischen christlichen Autoritäten und dem Präsidenten oder den regionalen Behörden bleiben meist auf sichtbare Bereiche, insbesondere auf den Kirchenbau, beschränkt.

Präsident Abdel Fattah al-Sisi regte den Bau der größten Kirche des Nahen Ostens in der zukünftigen Hauptstadt Ägyptens südöstlich von Kairo an und nahm an deren Einweihung zu Weihnachten teil. Trotz seiner tatkräftigen Bemühungen bleibt es dabei, dass von den 6000 Kirchen in Ägypten mehr als 1000 theoretisch illegal sind, weil sie ohne die erforderlichen Genehmigungen gebaut wurden, und deshalb ständig Zielscheibe von Angriffen muslimischer Extremisten sind.

Was die Diskriminierung im Alltag betrifft: Es ist fast unmöglich für einen Christen, eine Führungsposition innerhalb der Verwaltung zu erlangen, mag er noch so hohe Verdienste haben. Die Situation verschlechtert sich immer weiter, weil die Zahl extremistischer fanatischer Elemente zunimmt. Auf dieser Ebene ist der Staat absolut machtlos.

In Syrien ist das Zusammenleben der Religionen, das zuvor friedlich war, durch den jahrelangen Bürgerkrieg nachhaltig erschüttert. Wird sich das Land jemals davon erholen können?

In Syrien ist die Situation ganz anders als in Ägypten. Im Prinzip wird die wirkliche Säkularität des Staats durch einen internen Konflikt in der muslimischen Welt in Frage gestellt. Seit 1973 liegt der Staat in den Händen der Assad-Familie. Sie ist alawitisch – ein Zweig des schiitischen Islams. Schiiten machen etwa 15 Prozent der muslimischen Bevölkerung aus. 

Der Krieg in Syrien ist letztlich ein inner-islamischer Krieg zwischen Schiiten und Sunniten. Sunnitische Muslime haben den Krieg ausgelöst. Finanziert wird er weitgehend vom reichsten sunnitischen Staat: Saudi-Arabien. Syrien und der Irak sind die einzigen arabischen Staaten, in denen Schiiten an der Macht sind. 

Die USA und teilweise einige europäische Länder unterstützen blind Saudi-Arabien. So erklärt sich die amerikanische und europäische Koa­lition gegen Syrien und damit die Unterstützung Syriens durch Russland. Die Toten sind immer Syrer – egal, ob Sunniten, Schiiten oder andere.

Die Bombardierung von Städten, einschließlich Damaskus, Homs und Aleppo, traf verhältnismäßig viele Christen. Viele mussten fliehen und Zuflucht suchen, wo immer sie konnten. Europa hat eine kolossale Anstrengung unternommen, um sie zu begrüßen, besonders Deutschland. Oft waren die Flüchtlinge Muslime. Die syrischen Christen waren ein wenig in Vergessenheit geraten.

Derzeit erholt sich das Land sehr langsam. Die Probleme sind weit davon entfernt, gelöst zu werden, und die Zahl der Auswanderer beträgt einige Millionen, von denen niemand weiß, ob sie jemals in ihr Land zurückkehren können. Der religiöse Fanatismus – diesmal zwischen muslimischen Konfessionen – hat das Land völlig zerstört.

Was muss getan werden, damit die Abwanderung von Christen aus Syrien und anderen Ländern des Nahen Ostens gestoppt werden kann?

Da die Christen ihr Problem nicht verursacht haben, sondern die Ursache vielmehr in einer Auslegung des Islams liegt, die religiöse Diskriminierung begründet, ist es an den Muslimen, etwas zu tun. Es geht darum, die eigene Denkweise zu ändern. Auch das Christentum kannte diese ausschließende Denkweise, musste sich langsam davon befreien und wurde befreit. 

Das ist für unsere muslimischen Brüder schwieriger, weil die Einheit von Religion und Politik umfassend ist. Europa könnte der muslimischen Welt kulturell helfen, weil sie weitgehend von Europa abhängt. Europa sollte aber klare Bedingungen für seine Hilfe festlegen.

Außerdem ist das Problem beim Staat Israel zu finden, der Staat und Religion ebenfalls gleichsetzt. Diese Tatsache verstärkt die muslimische Position. Diese Dimension des Problems wird von Europa nicht ernst genommen, weil man dort davon ausgeht, dass dies akzeptiert werden muss, wie es ist.

Auch in Deutschland klagen Christen über Diskriminierung durch Muslime, vor allem in Flüchtlingsunterkünften ...

Das überrascht mich nicht. Diese religiöse Diskriminierung ist Teil des islamischen Konzepts. Sie fühlen es jetzt, weil es Sie näher berührt. Aber wir in den Ländern des Nahen Ostens erleben es seit 14 Jahrhunderten, ohne viel ändern zu können, weil wir in der Minderheit sind.

Aber Sie, die Sie in der Mehrheit sind, haben das Recht, Ihre Vorstellung von der Gesellschaft durchzusetzen – zum Wohle aller. Ich würde in diesem Fall sogar sagen, Sie haben die Pflicht dazu. Das könnte uns helfen, unsere Situation im Orient zu ändern.

Wie kann die Integration von Muslimen in die deutsche Gesellschaft gelingen? Welche Forderungen an die Politik haben Sie?

Ich würde sagen, dass es durch Bildung und Praxis geschehen kann, zuerst an der Schule. Hier bereiten wir die Zukunft vor, indem wir Jungen und Mädchen mit dem gleichen Respekt behandeln, Deutsche und Migranten, Christen und Nichtchristen gleichermaßen. Auch im täglichen Leben müssen alle gleich behandelt werden. Jenen, die neu angekommen sind, muss mit mehr Verständnis begegnet werden, aber auch mit allen Anforderungen des Landes: nicht nur in der Öffentlichkeit, auch im Privatleben, im Verhalten zwischen Mann und Frau, zwischen Jungen und Mädchen.

Kurz gesagt: Es geht darum, die Mentalität der Einwanderer zu ändern, zu ihrem Besten – auch in der Hoffnung, dass sie es selbst denen beibringen, die in ihren Heimatländern geblieben sind, oder denen, die eines Tages zurückkehren werden. Materielle Hilfe für Migranten – Brot oder das Dach über dem Kopf – genügt nicht. Es ist schon viel, aber es ist nicht genug.

Die Menschen brauchen auch kulturelle Hilfe. Das europäische und christliche Ideal muss ihnen vermittelt werden. Insbesondere müssen wir den Menschen, wer immer sie auch sein mögen, das Beste vermitteln, das wir haben: die wahre, absolute und universale Brüderlichkeit, wie sie uns das Evangelium gelehrt hat!

Interview: Thorsten Fels