Am 23. Mai 1618 spielten sich auf der Prager Burg dramatische Szenen ab: Fenster wurden geöffnet, lautes Geschrei, Hilferufe und Beschimpfungen waren zu hören. Kurz zuvor hatten sich 200 Repräsentanten der protestantischen Stände Böhmens unter ihrem Wortführer Heinrich Matthias von Thurn Zugang zur Hofkanzlei verschafft und die beiden katholischen Statthalter Jaroslav Borsita Graf von Martinitz und seinen Schwager Wilhelm Slavata sowie deren jungen Kanzleisekretär Philipp Fabricius in Gewahrsam genommen.
Nach einem kurzen Schauprozess packte man sie und warf sie zum Fenster hinaus in den Burggraben. Doch zum Erstaunen der Putschisten überlebten ihre drei Opfer. Philipp Fabricius erhielt 1623 den Adelstitel „von Hohenfall“.
Spontan war jene „Defenestration“ nicht, sondern eine Inszenierung als Reminiszenz an den „Ersten Prager Fenstersturz“ von 1419 am Beginn der Hussitenkriege. Sie wurde letztlich zum Auslöser des bis dahin blutigsten Krieges der Menschheitsgeschichte, der unbeschreibbares Leid brachte. Auf allen Seiten wirkten religiöser Fanatismus und die Propagierung eines „Heiligen Krieges“ wie ein geistiger Brandbeschleuniger. Doch es würde zu kurz greifen, den 30-jährigen Krieg primär als Religionskrieg zu verstehen.
Gerade in jener Zeit waren Religion und Machtpolitik untrennbar miteinander verflochten: Die Konfession diente den jeweiligen Kriegsparteien dazu, ihre Politik um Einfluss, Territorialbesitz und Privilegien zu legitimieren, Feindbilder zu zementieren und neue staatliche Herrschaftsstrukturen aufzubauen.
Neuer militanter Eifer
Nach der konfessionellen Spaltung im Zuge der Reformation hatte zunächst der Augsburger Religionsfriede von 1555 die Grundlage für einen Modus vivendi geschaffen. Doch auf jene Fürsten, die gelernt hatten, den Religionsfrieden zu respektieren, folgte in allen Lagern eine neue Generation an Mächtigen, die leichtsinnig einem neuen militanten Eifer huldigten.
Zum Pulverfass entwickelte sich Böhmen, wo der katholische Kaiser zugleich als böhmischer König mit harter Hand eine zu 90 Prozent protestantische Bevölkerung regierte. Zwar gewährte 1609 Kaiser Rudolf II. im „Majestätsbrief“ den Böhmen Religionsfreiheit, doch ab 1611/12 kehrten Kaiser Matthias ebenso wie der ihm 1617 als böhmischer König nachfolgende Erzherzog Ferdinand von Steiermark zu einer verschärften Politik der Rekatholisierung zurück.
Als die Grundrechte der böhmischen Stände beschnitten wurden, war das Maß voll: Am 21. Mai 1618 ging es auf der Ständeversammlung im Prager Karolinum hoch her. Zwei Tage später wurde der „Prager Fenstersturz“ von den Anführern jener protestantischen Adelsrebellion inszeniert. Ihr Vorbild waren die Niederlande, die im Freiheitskampf gegen Spanien ihre Eigenstaatlichkeit erkämpften. In ähnlicher Manier erklärte die „böhmische Konföderation“ Ferdinand für abgesetzt und wählte den protestantischen Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz zum neuen König.
Am Wiener Hof reagierte man überrascht und ratlos auf den Prager Fenstersturz. Immerhin konnte sich Ferdinand noch rechtzeitig zum Kaiser wählen lassen. Sollte der Seitenwechsel der böhmischen Stimme im Kurfürstenkollegium Bestand haben, wäre in Zukunft erstmals ein protestantisches Reichsoberhaupt möglich! Ferdinand war finanziell weit davon entfernt, ein ernstzunehmendes Heer ausrüsten zu können. Militärhilfe kam aus Spanien und insbesondere vom ehrgeizigen Bayernherzog Maximilian I.
Im November 1620 besiegte ein bayerisch-spanisches Heer unter dem aus Brabant stammenden Johann T’Serclaes Graf von Tilly in der „Schlacht am Weißen Berg“ bei Prag Friedrichs Söldnertruppe und beendete damit dessen kurze Regentschaft. Maximilian ließ sich seine Waffenhilfe kaiserlich entlohnen, Bayern stieg 1623 auf Kosten der Pfalz zum Kurfürstentum auf. Bereits hier hätte der Konflikt enden können, doch Ferdinand II. hielt über Böhmen ein alles andere als mildes Strafgericht ab. 1621 ließen die Spanier auch in den Niederlanden den Krieg wieder aufleben.
Frankreich greift ein
Dieser Machtgewinn für die Habsburger rief deren Erzrivalen Frankreich auf den Plan. Der katholische französische König verbündete sich mit Dänemark, der protestantischen Hegemonialmacht im Ostseeraum: König Christian IV. hatte soeben den Rivalen Schweden in die Schranken gewiesen und hielt sich nun für einen unbesiegbaren Feldherrn. Auf der anderen Seite betrat ein böhmischer Adeliger namens Albrecht von Wallenstein die Bühne. Er machte Ferdinand II. das Angebot, auf eigene Rechnung eine Armee auszurüsten und zusammen mit Tilly die dänische Bedrohung abzuwehren – was 1626/27 auch gelang: Wallenstein eroberte sogar Jütland und zwang 1629 Dänemark zum Frieden.
Um seine Schulden zu begleichen, ernannte der Kaiser Wallenstein zum Herzog von Mecklenburg, ließ ihn aber 1630 wieder von seinem Oberbefehl entbinden. Wallenstein wurde nicht mehr gebraucht, denn die Kaiserlichen schienen auf ganzer Linie triumphiert zu haben. Abermals ließ sich Ferdinand II. dazu verleiten, überzogene Rache zu üben: Sein Restitutionsedikt von 1629 bedeutete die Enteignung und Entmachtung vieler protestantischer Fürsten.
Ferdinands Hybris rief einen neuen Schutzherrn der protestantischen Sache auf den Plan: Der ehrgeizige Schwedenkönig Gustav II. Adolf begriff die Schwächung des dänischen Erzrivalen als seine Chance. Die protestantische Empörung steigerte sich noch, als Nachrichten über eines der entsetzlichsten Massaker des 30-jährigen Krieges die Runde machten: Nach der Eroberung des protestantischen Magdeburgs durch ein kaiserliches Heer unter Tilly und Pappenheim am 20. Mai 1631 wandelte sich der Siegestaumel in einen gnadenlosen Blutrausch. Am Ende wurde Magdeburg durch Brände dem Erdboden gleichgemacht. Von den einst 35 000 Einwohnern überlebten wohl nur wenige Hunderte!