Minderheit im Heiligen Land

Christen zwischen den Fronten

Der Nahe Osten kommt nicht zur Ruhe. Kaum ein Tag vergeht, an dem keine Zusammenstöße gemeldet werden. Radikale Palästinenser attackieren Israelis. Das Land reagiert mit Luftschlägen und Militäreinsätzen. Die umstrittene neue Regierung will für „Terrorismus“ nun sogar die Todesstrafe einführen. Die kleine christliche Minderheit des Heiligen Landes steht zwischen allen Fronten – und wird immer wieder selbst zur Zielscheibe des Hasses.

Die Aufzählung der UN-Agentur OCHA, mit der diese die Gewalt akribisch dokumentiert, ähnelt einer Litanei des Hasses. Und sie wird täglich länger. Erst am Montag überfielen rund 400 jüdische Siedler die palästinensische Kleinstadt Huwwara bei Nablus: Ein Mensch starb, etwa 100 wurden verletzt. An Häusern und Fahrzeugen entstand immenser Schaden. 

Friedensaktivisten sprechen von einem „Pogrom“. Eine Jüdin fühlt sich gar an die „Reichskristallnacht“ der Nazis 1938 erinnert. Dem Gewaltausbruch ging die Bluttat eines Palästinensers voraus: Er erschoss in Hawwara zwei jüdische Siedler. Siedlerfunktionäre riefen dann auf, den palästinensischen Ort von der Landkarte zu tilgen.

"Tag Mechir"-Bewegung

Immer häufiger wird im Heiligen Land aus derlei Aufwiegelung, Verachtung und Hass blutige Gewalt – auch gegen Christen. Hintergrund vieler Angriffe ist die „Tag Mechir“-Bewegung. Manchen Beobachtern gelten jene jüdischen Extremisten als religiöse Hooligans. Der bekannte israe­lische Schriftsteller und Friedensaktivist Amos Oz (1939 bis 2018) sprach dagegen von „hebräischen Neonazigruppen“. 

„Tag Mechir“ (Preisschild) bildete sich vor 15 Jahren im Umfeld der natio­nalreligiösen Siedlerbewegung. Für jeden durch Israel geräumten jüdischen Außenposten im Westjordanland, forderten die Extremisten, sei vom palästinensischen Gegner ein Preis zu bezahlen. So entstand der Name der Bewegung. Sie wolle den Palästinensern zeigen, „wer der ‚Herr‘ über das Gebiet ist“, schreibt der französische Historiker Thomas Vescovi.

Seit 2008 gehen Tausende Angriffe, Brandanschläge, Schmierereien, Plünderungen und Sachbeschädigungen auf das Konto von „Tag Mechir“. Vor allem aus der Region zwischen Dschenin und Hebron sind Übergriffe dokumentiert, jedoch auch in Ost-Jerusalem und im Kernland Israel. Allein für das vergangene Jahr verzeichnet OCHA 849 solcher Vorfälle. 

Graffiti auf Kirchen

Spuckattacken auf Ordensleute, umgestoßene Grabsteine und Graffiti-Parolen wie „Tod den Arabern“ oder „Jesus ist ein Affe“ auf Kirchenmauern gehören zur vergleichsweise harmlosen Kategorie. Dabei bleibt es nicht: Brandsätze auf Häuser und Moscheen haben bereits Tote und Verletzte gefordert. Der Brandanschlag auf das Benediktiner-Priorat Tabgha am See Genezareth 2015 verursachte einen Schaden von weit über einer Million Euro – und bei einer jungen deutschen Helferin eine Rauchvergiftung.

Seit Jahresbeginn 2023 wurden christliche Einrichtungen bereits sechsmal zum Ziel der jüdischen Radikalen. Unter anderem schändeten sie den Friedhof der anglikanischen Kirche und beschädigten eine Jesusstatue in der Geißelungskapelle an der Via Dolorosa in Jerusalem. Der Franziskaner-Kustos des Heiligen Landes, Francesco Patton, verurteilt „diese Zunahme von Hass-Attacken und Gewalt gegen die christliche Gemeinschaft“ scharf.

Zuvor hatten bereits die Patriarchen und Kirchenoberhäupter Jerusalems „alle Seiten aufgerufen, die Religion des anderen zu achten und allen heiligen Stätten und Gottesdienstorten mit Respekt zu begegnen“. Es war nicht der erste kirchliche Appell dieser Art – und es wird wohl auch nicht der letzte gewesen sein.

Christen stellen in Israel zwei Prozent der Bevölkerung, in den palästinensischen Gebieten ein Prozent. Schon lange fühlen sie sich im eigenen Land nicht willkommen, wandern nach Europa oder Nordamerika aus. Von einer „Selbstentfremdung“ sprach Nikodemus Schnabel, der kürzlich zum Abt der Jerusalemer Dormitio-Abtei gewählt wurde. „Ob wir jetzt da sind oder nicht, interessiert eigentlich gar keinen“ – dies sei ein verbreitetes Gefühl.

Durch die neue rechts-religiöse Regierung dürfte den Christen der Wind bald noch stärker ins Gesicht blasen. Im Kabinett haben der wegen Hetze und Terrorunterstützung verurteilte Itamar Ben-Gvir und der radikale Siedler Bezalel Smotrich Schlüsselpositionen inne. „Ihre Rab­biner“, schrieb einst der israelische Journalist Amnon Kapeliuk (1940 bis 2009) über die Siedlerbewegung, „vergleichen die Araber mit den Amalekitern, deren Ausrottung von Gott angeordnet wurde.“ 

Johannes Zang

28.02.2023 - Christenverfolgung , Israel , Nahost