Das Evangelium des dritten Fastensonntags berichtet, wie Jesus und seine Jünger in eine Stadt in Samarien kamen, „die Sychar hieß“ (Joh 4,5). Der dortige Jakobsbrunnen, an dem Christus mit einer Samariterin ins Gespräch kam, wird noch heute in Ehren gehalten. Ein alter griechisch-orthodoxer Priester kümmert sich aufopferungsvoll um den Ort.
Für Juden, Christen und Muslime liegt die Bedeutung des Jakobsbrunnens in seiner alten Verbindung zum Patriarchen Jakob, dem Sohn Isaaks und Enkel Abrahams. Nach einer Auseinandersetzung mit seinem Bruder Esau verbrachte Jakob 20 Jahre mit seinem Verwandten Laban. Vor der Stadt Sichem in Kanaan schlug er sein Lager auf. Das Land, auf dem er sein Zelt aufgeschlagen hatte, kaufte er. Er errichtete einen Altar und nannte ihn El-Elohe-Israel (Gen 33,18-20).
Das Lukasevangelium erzählt von einem samaritanischen Dorf, das sich weigert, Jesus auf seinem Weg nach Jerusalem zu empfangen (Lk 9,51-55). Zwei seiner Jünger wollen gleich Feuer vom Himmel auf das Dorf bringen. Jesus weist sie schroff zurück und lässt sich auf seinem Weg durch Samarien in Richtung Jerusalem nicht abhalten.
Ein kulturelles Tabu
Da er müde ist, setzt er sich an den Brunnen. Eine Frau, die um die Mittagszeit zum Wasserschöpfen kommt, bittet er um einen Trunk. Verwundert fragt sie ihn, warum ein Jude mit einer Samariterin überhaupt sprechen will. Damit bricht Jesus ein kulturelles Tabu, sowohl im Hinblick auf die Religion als auch auf das Geschlecht. Er bietet der Frau sogar „lebendiges Wasser“ an.
Das verwirrt die Frau und sie fragt: „Woher kannst du dieses lebendige Wasser bekommen? Bist du größer als unser Vater Jakob, der uns den Brunnen gab und selbst davon trank, wie auch seine Söhne und seine Herden?“ Jesu Antwort ist ein klares Ja: Jakob hat seine Kinder mit physischem Wasser in einem trockenen Land versorgt. Jesus aber versorgt mit „lebendigem Wasser“ in einem spirituellen Ödland.
Jesu Botschaft gilt für alle, einschließlich der „Ausgestoßenen“, zu denen die Frau mit ihrer unmoralischen Vergangenheit zählt. Ohne Umschweife gibt sich Jesus ihr als der lebensspendende Messias zu erkennen. Die Frau glaubt an ihn. Sie eilt in ihre Stadt zurück und erzählt den anderen, wie dieser Fremde sie durchschaut hat. Die Menschen kommen zum Brunnen, um sich selbst davon zu überzeugen.
„Und noch viel mehr Leute kamen zum Glauben an ihn aufgrund seiner eigenen Worte“, schließt das Evangelium des dritten Fastensonntags. „Und zu der Frau sagten sie: Nicht mehr aufgrund deiner Rede glauben wir, denn wir haben selbst gehört und wissen: Er ist wirklich der Retter der Welt“ (Joh 4,41-42). Die Tradition der orthodoxen Kirchen bezeichnet jene namenlose Frau als Photina (die Erleuchtete). Sie wird als Heilige verehrt und soll im Jahr 66 unter Kaiser Nero in Rom das Martyrium erlitten haben.
Schon frühe Pilgerberichte sprechen von der christlichen Verehrung des Jakobsbrunnens. Der Palästinaforscher Edward Robinson besuchte die Stätte Mitte des 19. Jahrhunderts und beschrieb die „Überreste der alten Kirche“, die sich südwestlich über dem Brunnen befand, als eine „formlose Masse von Ruinen, unter denen sich noch Fragmente grauer Granitsäulen befinden“.
Die örtlichen Christen verehren die Stätte jedoch auch ohne Kirche. 1860 wurde das Gelände vom griechisch-orthodoxen Patriarchat gekauft. Die ersten Ausgrabungen begannen 1893 mit dem Ziel, die Kirche wieder aufzubauen. Das Unternehmen wurde durch die kommunistische Oktoberrevolution von 1917 vereitelt: Die russische Finanzierung endete.
Heute liegt der Jakobsbrunnen in der palästinensischen Stadt Nablus. Wer ihn sucht, findet sich vor einer hochgeschlossenen und mit Graffiti versehenen Mauer wieder. Drückt man auf die Klingel, öffnet sich eine schwere Tür, und der Besucher betritt eine farbenfrohe griechisch-orthodoxe Kirche mit reich verzierten Gemälden und Ikonen, Skulpturen, Glasmalereien und Mosaiken an den Wänden und im Deckengewölbe.
Der weißbärtige Archimandrit, Abuna Ioustinos, ist seit 1980 treibende Kraft hinter all dem. In der Tat hat er fast alles selbst geschaffen. Dank seines Wiederaufbauprojekts steht heute ein 2007 fertiggestelltes Gotteshaus über dem Jakobusbrunnen. Als Basilika ist sie der Zeit der Kreuzfahrer nachempfunden. Der Brunnen befindet sich in der Krypta, einige Meter unter dem Bodenniveau.
Ein Mauerwerk umgibt seine Öffnung. Darauf steht eine Metallrolle mit einer Seilspule, um das Wasser zu erreichen. Ein Schacht, der durch den Fels gehauen wurde, führt hinab zur Quelle. Die Tiefe des Brunnens beträgt einer Messung aus dem Jahr 1935 zufolge 41 Meter. Aus einem Metallbecher nehmen die Pilger einen Schluck von dem köstlichen Nass, das ihnen als heilig gilt. Es ist das gleiche, kristallklare Wasser, von dem Jesus und die Samariterin getrunken haben.
Von Deutschen besetzt
Vater Ioustinos ist nicht nur Erbauer der Kirche, sondern auch Wächter des Brunnens. Er wurde 1941 auf der griechischen Insel Ikaria geboren. „Als ich jung war, war mein Zuhause von den Deutschen und den Italienern besetzt. Es gab nicht viele gute Momente, an die ich mich aus meiner Kindheit erinnere“, erzählt er. „Mein Vater war ein angesehener Ingenieur auf unserer Insel.“ Die Familie träumte davon, dass er in seine Fußstapfen treten würde.
Es kam anders: „Ich studierte Gold- und Silberschmiedekunst. Dann entschloss ich mich, Priester zu werden.“ Als seine Familie davon erfuhr, sprach sie sechs Jahre lang nicht mehr mit ihm. „Was sollte ich tun? Ich konnte nur meinem Herzen folgen. Und das schlug für das Heilige Land.“ 1960 kam Ioustinos nach Palästina. „Damals kontrollierte Jordanien noch das Westjordanland.“