Amisch-Romane

Der Kick der Keuschheit

Vor 20 Jahren begann auf dem Buchmarkt der USA die Erfolgswelle der „Christian Fiction“, des christlichen Frauen­romans. Auch auf Deutschland schwappte sie in der Folgezeit über. Hierzulande ist die Welle wieder abgeflacht – in Amerika noch keineswegs.

Sie sind bescheiden, gottesfürchtig, haben ein Herz aus Gold und glauben an die große Liebe: Sarah, Hanna, Martha, Miriam und Ruth. Die Bücher, die ihr Schicksal schildern, stehen in Regalen nahe der Kasse in Supermärkten der USA. Seit nunmehr zwei Jahrzehnten sind die Bücher, die in den strenggläubigen Amisch-Gemeinden spielen, ein Verkaufserfolg. 

Christliche Verlage wie Bethany House, Harvest House und Livingston Hall haben in den USA die Sehnsucht einer großen Leserschaft nach einer heilen Welt gewinnbringend aufgegriffen. Es sind vor allem Frauen, die nach den Büchern greifen – Frauen jeglichen Alters. „Bonnet Rippers“ (Häubchen-Reißer) nennt der Buchhandel die Sparte etwas abschätzig. Aber weil sie Geld einbringt, sorgen die Verlage dafür, dass die Regale mit den Fortsetzungen immer prall gefüllt sind. 

Beverly Lewis, Pionierin und mit 18 Millionen verkauften Büchern Top-Autorin des Genres, schafft zwei neue Romane pro Jahr. Jerry Eicher – einer der wenigen männlichen Autoren im christlichen Buchgeschäft – veröffentlicht sogar drei Fortsetzungen per annum. Er sagt, er werde von seinem Verlag regelrecht bekniet, rechtzeitig die nächste Geschichte zu liefern.

Lewis entdeckte die Marktlücke „amischer Liebesroman“ eher zufällig. Als sich die einstmalige Kinderbuchautorin 1997 mit „The Shunning“ erstmals an erwachsene Leser wandte, landete sie unerwartet einen Millionen­erfolg. In dem Buch, das im Jahr darauf unter dem Titel „Was auch geschehen mag“ in deutscher Übersetzung erschien, erzählt Lewis die Lebensgeschichte ihrer strenggläubigen Großmutter in einer Amisch-Gemeinde in Lancaster in Pennsylvania. 

„Es ist wie Zauberei“

Nach dem Erfolg von „The Shunning“ rief der Markt buchstäblich nach mehr: Autorinnen wie Cindy Woodsmall, Wanda Brunstetter und Mindy Starns Clark, Linda Byler und Mary Ellis eilten heran, um die schnell wachsende, hungrige Leserschaft mit neuem Lesestoff zu versorgen. Über die Jahre entstand ein einträgliches Geschäftsmodell. „Es ist wie Zauberei: Setz der jungen Frau auf dem Taschenbuch-Titel ein Häubchen auf, und wir verkaufen das Doppelte!“, erklärt Steve Oates, stellvertretender Marketing-Direktor des Verlags Bethany House.

Die „Amish Fiction“ ist ein lohnender Sektor im schrumpfenden Büchermarkt der Vereinigten Staaten. Die USA gelten als eher lesefaul und mehr Kino- und Fernseh-orientiert. Und dann das: Ausgerechnet die Trivialnovellen aus der frommen und technikfeindlichen Amisch-Welt näherten sich in den Taschenbuch-Bestsellerlisten der „New York Times“ und von „USA Today“ den Spitzenplätzen an. Experten standen dem Phänomen ziemlich ratlos gegenüber. 

Mittlerweile mussten die Verlage einsehen: Die Erotik-Reihe „Fifty Shades of Grey“, einer der großen Erfolge am Buchmarkt, ist nicht alles. Frauen, die von der großen Liebe träumen, fühlen sich offenbar im zweispännigen Buggy des bodenständigen Amisch Abraham mindestens genauso aufgehoben wie im schwarzen Audi R8 Spyder des Milliardärs Christian Grey. 

„Amish Fiction“ setzt auf keusche erste Küsse statt auf Handschellen und Sadomaso, auf lebenslange Treue und romantische Träume von der Geborgenheit in einer intakten Familie. Solche Ideale entsprechen den Wünschen der US-amerikanischen Leserinnen offenbar mehr als das Bild einer Frau, die am Stachelhalsband auf Fessel-Partys vorgeführt wird. Einen farbenprächtigen Quilt nähen, sich um Bienen kümmern, Kuchen backen und Buggy-Fahrt in den Sonnenuntergang sind attraktivere Optionen.

Von Gott reden

„Mutter, Vater und Kinder sitzen einträchtig um den Tisch zum Abendessen“, erklärt Marketing-Mann Steve Oates die Szenerie der Amisch-Romane. „Das Leben ist in erster Linie familienorientiert. Die Umgebung ist eine, in der es ganz natürlich ist, von Gott zu reden und zusammen zu beten. Die Kinder sind hier gehorsam. Sie laufen nicht weg, um mit ihren Freunden abzuhängen.“

Natürlich ist das nicht die Realität in echten Amisch-Gemeinschaften, gesteht Oates – die haben wie alle ihre Probleme. „Aber in den Büchern gehören alle zu dieser engen, eingeschworenen Gemeinschaft, die für viele Frauen ansprechend ist. Die Bücher zeigen eine Richtung auf – und dass Frauen sich eben oftmals genau eine solche Geborgenheit wünschen.“

Die Amischen sind eine protestantische Glaubensgemeinschaft, die ihre Wurzeln in der reformatorischen Täuferbewegung Mitteleuropas hat. Die Bezeichnung leitet sich vom Namen ihres Begründers Jakob Ammann (1644 bis 1730) aus dem schweizerischen Simmental ab. Weil die Täufer in jener Zeit an Leib und Leben bedroht waren, suchten sie sich eine neue Heimat auf der anderen Seite des Atlantiks. 

Sie sprechen Deutsch

Die strenggläubigsten unter ihnen leben auch heute noch freiwillig so, wie ihre Vorfahren vor 300 Jahren – fernab aller modernen Technik. In Pennsylvania, Indiana, Ohio, Iowa und im angrenzenden Kanada gibt es etwa eine Viertelmillion von ihnen. Sie sprechen teilweise noch ein altmodisches, mit englischen Ausdrücken versetztes Deutsch und leben zumeist von der Landwirtschaft. Noch heute bewegen sie sich ausschließlich mit ihren Buggys, von Pferden gezogenen Wagen, fort. 

Während die Amisch-Frauen Häubchen und schlichte, einfarbige Kleider tragen, setzen die Männer breitkrempige Hüte auf und lassen ihre Bärte wachsen. Die Kinder werden in Ein-Raum-Schulzimmern unterrichtet, ihre Ausbildung endet in der achten Klasse. Statt Bar oder Disco war das „Sonntagabend-Singen“ für lange Zeit die einzige Gelegenheit, bei der sich Jungen und Mädchen treffen konnten.

Beth Graybill meint, viele der Romane präsentierten ein verzerrtes Bild vom Leben der Amischen. Graybill ist Direktorin der „Lancaster Mennonite Historical Society“, die die Geschichte und Kultur der Pennsylvania-Deutschen erforscht. Zu ihnen gehören die Amischen. Die Autoren, die der Gemeinschaft nicht angehören, übertreiben nach Graybills Ansicht etwa die wilden Aktivitäten während der Jugend.

In der „Rumspringa“ genannten Zeit dürfen die Amisch-Teenager ab etwa 15 Jahren für eine Weile mit moderner Technik experimentieren und andere Lebensformen kennenlernen, bevor sie sich entscheiden, der Täufer-Gemeinschaft beizutreten oder sie zu verlassen. Auch all die Verkehrsunfälle mit Buggys und die Romanzen zwischen jungen Amischen und außenstehenden „Englischen“, passierten weit seltener, als in den Büchern kolportiert.

In Deutschland wurden die Bücher von Beverly Lewis insbesondere zwischen 2005 und 2013 mit großem Erfolg verkauft. Titel von Cindy Woodsmall zogen im Sog dieses Erfolgs nach. Das Genre war in diesem Zeitraum so populär, dass neben dem Francke-Verlag in Marburg auch andere Verlage Amisch-Romane publizierten. 

Nachfrage geht zurück

Nach nicht allzu langer Zeit nahmen sie diese jedoch wieder aus der Preisbindung. Seither ist die Nachfrage weiter zurückgegangen. Zwar brachte der Francke-Verlag kürzlich noch ein neues Buch von Beverly Lewis heraus. Die Amischen und ihre urige Kultur spielen in ihm aber keine Hauptrolle mehr. 

Christian Heinritz, Marketingleiter des Francke-Verlags, meint: „Den gegenwärtig so unterschiedlichen Erfolg dieser Art von Literatur in Deutschland und in den USA können wir uns nur damit erklären, dass das Thema in Deutschland einfach erstmal ‚durch‘ ist, die Leserinnen ein bisschen übersättigt sind, während die Amischen in einigen Gebieten der USA nach wie vor präsent sind und mit ihrem ungewöhnlichen Lebensstil die Fantasie ihrer Mitbürger beflügeln.“

Karl Horat

16.03.2018 - Ausland , Minderheiten