Frömmigkeit im Urlaubsparadies

Die Madonna heißt alle willkommen

Katholizismus gehört auf Sardinien zum Leben. Das ist Tradition. Fast jeder der rund eineinhalb Millionen Einwohner bezeichnet sich als gläubig. Doch immer weniger Menschen gehen an Feiertagen in die Heilige Messe. So wie Renzo Muzzu, der zwar an Gott glaubt, aber wenig Interesse an der Liturgie hatte. Zumindest war das früher so. Doch seit drei Jahren ist Muzzu die Bass-Stimme im zwölfköpfigen Kirchenchor der Gemeinde Santa María di Stella Maris in Porto Cervo. 

„Als Sänger bin ich in den Gottesdiensten aktiv dabei. Das war es, was ich immer vermisst habe, egal ob ich nun auf Sardisch, Lateinisch oder Italienisch singe.“ Er zeigt auf die kleine katholische Kirche vor dem Hintergrund des blauen Meeres, eines der schönsten Wahrzeichen des Küstenabschnitts der Costa Smeralda. 

Muslimischer Milliardär

Das 1968 fertig gestellte Gotteshaus ist wirklich etwas ganz Besonderes: Erstens wurde sein Bau von einem Moslem in Auftrag gegeben, nämlich Karim Aga Khan IV., mit bürgerlichem Namen Karim al-Husseini. Er ist der religiöse Führer von 20 Millionen ismailitischen Nizariten in 25 Ländern. Sein Vermögen wird auf mindestens zehn Milliarden Euro geschätzt. Außerdem ist das Kirchlein das Paradebeispiel für den vom Oberhaupt der Ismailiten kreierten „neosardischen Baustil“. 

Renzo Muzzu hat derzeit öfter Probe mit dem Kirchenchor. „Bis Montag, 18 Uhr“, ruft er einem Kollegen zu. Anlass der Vorbereitungen ist das jährliche Patronatsfest von Santa María di Stella Maris am 28. August. Einheimische und Gäste aus aller Welt werden kommen, egal, welcher Religionsgemeinschaft oder Nationalität sie angehören. Denn eines ist allen gemein: die Schönheit der Landschaft und die Toleranz, die das Zusammensein prägen, zu feiern. 

„Nach der Predigt werden wir traditionelle kirchliche Lieder singen“, sagt Muzzu. Anschließend wird die Statue der Gottesmutter auf ein Schiff getragen und hinaus aufs Meer gefahren, gefolgt von unzähligen weiteren Booten. Dabei ertönen Schiffshörner und Glockensignale. 

„Eine sehr schöne Stimmung“, beschreibt es der in der nahen Kleinstadt Arzachena geborene Muzzu. Nach ein paar Stunden wird die Heiligenfigur wieder in das Kirchlein zurückgebracht. Dann wird gegrillt, Pasta gegessen und lokaler sardischer Wein getrunken. „Alles ist kostenlos, Spenden zugunsten der Kirche und des Chors sind erwünscht“, sagt der Sarde. 

Küste einst menschenleer

Man kennt sich in den kleinen Orten an der Costa Smeralda im Nordosten Sardiniens. Wenige Meter unterhalb der Kirche liegt die weiße Villa des Karim Aga Khan, der Anfang der 1960er Jahre das noch unberührte Fleckchen Erde mit seinen traumhaften Buchten, den schneeweißen Stränden und dem türkisfarbenen Wasser entdeckte. 

Die Küste war damals fast menschenleer, weil die Sarden als Hirten und Bauern im Binnenland der Insel lebten. Der reiche Fürst erwarb rund 30 Quadratkilometer Land mit 55 Kilometern Küste und erschuf die „Costa Smeralda“ als geschützte Marke. Sein Ziel war es, eine touristische Entwicklung aus einem Guss zu planen und zugleich die Schönheit der Landschaft zu erhalten.

Kultur vor Kommerz

Das ist ihm gelungen. Noch heute wird das Prinzip der Nachhaltigkeit hier par excellence gefeiert und verwirklicht: Obwohl die Hotels und Grundstücke des Aga Khan inzwischen längst verkauft wurden, traut sich niemand, die Küste und ihre Kultur, wie an anderen Urlaubs­orten üblich, rücksichtslos zu kommerzialisieren. 

Bis in die Gegenwart hinein dürfen alle Bauten die Hügel der Gegend nicht überragen. Neue Anlagen nahe am Meer sind verboten. Schutz bietet vor allem die eingetragene Marke „Consorzio Costa Smeralda“, der sich jeder Immobiliar zu beugen hat. Ein unkontrollierter Bauboom ist somit ausgeschlossen.

Auch in diesem Sommer werden sie wieder hier logieren. Auf ihren Yachten oder in den versteckt gelegenen Villen: der russische Milliar­där Roman Abramowitsch, Tom Cruise vielleicht, Hauseigentümer Wladimir Putin, Mitglieder des englischen Königshauses, der frühere Formel 1-Teamchef Flavio Briatore sowie Stars und Sternchen aus aller Welt. 

Einige von ihnen werden wohl kommen zum Kirchenfest nach Porto Cervo. Doch wollen sie unerkannt bleiben, einfach ganz normale Teilnehmer sein. Ihr Wunsch wird respektiert. 

Denn der Gottesmutter sind alle Gäste willkommen, egal ob sie arm, reich oder berühmt sind. Die Sarden sind an Prominente gewöhnt. Man redet nicht über sie. Denn viel wichtiger ist, dass die Madonna einen schönen Ausflug aufs Meer hat und wieder heil ins Kirchlein zurückgebracht wird.

Sabine Ludwig

26.08.2019 - Ausland , Kirchen