Corona-Pandemie stoppt die Tradition

Die Sorben, ein österliches Volk

Jahr für Jahr verkünden sie am Ostersonntag die Auferstehung Christi – und das seit Jahrhunderten. In neun Prozessio-nen in der Oberlausitz ziehen Oster-reiter singend und betend durch Orte und Flure. Dieses Jahr ist alles anders: Wegen der Corona-Pandemie findet das Osterreiten nicht statt. Für Peter Bresan aus Sollschwitz wäre es der 75. Ritt gewesen. Im Interview spricht der 87-jährige Sorbe über die besondere Situation, seine Erinnerungen und Hoffnungen.

Herr Bresan, das Osterreiten darf laut Verfügung des sächsischen Gesundheitsministeriums in diesem Jahr nicht stattfinden. Wie nahmen Sie diese Nachricht auf?

Mit Bedauern, jedoch auch mit Einsicht. Die Gesundheit des Einzelnen steht jetzt an erster Stelle. Die weltweite Corona-Pandemie hat bereits viele Opfer gefordert.

Sie haben bereits eine Alternative für den Osterritt entwickelt.

In Sollschwitz gibt es in meinem direkten Umfeld sieben Osterreiter, die Bresan heißen. Wir werden einzeln – in Gehrock und Zylinder – vor unsere Häuser treten. Wir werden zu einem vereinbarten Zeitpunkt am Oster-morgen gemeinsam singend und betend die frohe Botschaft der Auferstehung Jesu Christi verkünden. Im Abstand werden sich auch die Familienangehörigen nach draußen begeben.

Wie kamen Sie zum Osterreiten?

Ich bin in der Sollschwitzer Mühle aufgewachsen. Wir waren eine große Familie. Meine Mutter brachte zwölf Kinder zur Welt. Jedes Kind sah sie als Gottes-segen an. Die Großväter, die Onkel, mein Vater – sie alle waren Osterreiter. Sie pflegten den Brauch mit Inbrunst und Überzeugung. Sie gaben mir viel Liebe zu den Tieren mit. Frühzeitig durfte ich in der elterlichen Landwirtschaft die Pferde füttern, putzen, ausmisten und ausreiten. Die Pferde waren damals lebenswichtig. Sie waren unsere einzigen Zugtiere.

Wie erlebten Sie Ihre erste Prozession zu Pferd mit?

Das war 1946. In Sollschwitz war der junge Reiter Jurij Mros erkrankt. Ich war damals erst 13 Jahre alt. Spontan durfte ich an seiner Stelle mitreiten. Damals gab es kaum Ostergeschirr. Ich selbst hatte nur einen Sattel und einen Halfter. 

In Wittichenau meinte eine Frau zu ihrer Tochter: „Schau mal, so ein armer Osterreiter. Der hat ja nicht einmal eine Blume ...“ Spontan lief die Frau ins Haus. Sie brachte eine Kunstblume für mein Pferd mit. Das war eine unerwartete, berührende Geste. Die Lieder und Gebete hatte ich zuvor fleißig geübt. Erschöpft, doch glücklich im Herzen kehrte ich von der ersten Prozession zurück. Seitdem ritt ich Jahr für Jahr mit – bei jedem Wetter.

An welche prägenden Ereignisse erinnern Sie sich?

Ostern 1957 kam ein heftiger Sturm auf. Der wehte uns die Zylinder vom Kopf. Fahnen und Osterkreuze waren kaum zu halten. Da hieß es: Ruhe bewahren und durchhalten. Am Ostersonntag 1963 regnete es den ganzen Tag lang in Strömen. Wir hatten Wasser in den Stiefeln und waren völlig durchnässt. Schützende Regenmäntel wie heute gab es nicht. 

1977 kam Kardinal Alfred Bengsch in die Lausitz und segnete uns Osterreiter aus. Das war eine hohe Ehre und Wertschätzung für uns. Ostern 1985 segnete uns Kardinal Joachim Meisner aus. Er war damals Vorsitzender der Berliner Bischofskonferenz (der DDR, Anm. d. Red). Ihnen folgte 2015 Bischof Wolfgang Ipolt aus Görlitz.

Ein besonderes Jahr war 2005.

Damals nahmen 1701 Osterreiter an den neun Prozessio-nen in der Oberlausitz teil. Das war Rekord. Wittichenau als zweisprachige sorbisch-deutsche und älteste Prozes-sion stellte mit 472 Teilnehmern die meisten Reiter.

Gab es auch brenzlige Zwischenfälle?

Ja. Gefährlich wird es, wenn das Pferd dem Reiter den Gehorsam verweigert. Mir selbst passierte das zwei Mal. Beim Aufsteigen bäumte sich das Pferd plötzlich auf und überschlug sich. Gott sei Dank blieben Pferd und Reiter unverletzt.

Was bedeutet Ihnen die Osterbotschaft?

Ostern ist das höchste Fest der Christenheit. Ostern feiern wir die Auferstehung des Herrn. Der Tod hat nicht das letzte Wort! Das Leben siegt über den Tod. Ostern nimmt uns die Angst vor dem Tod. Er gehört mit zum Leben, ist nur die Pforte zum ewigen Leben. Daran glauben wir Christen. Diese Tiefe jedes Jahr neu zu erleben, das ist eine wunderbare Gnade.

Warum ist das Osterreiten in der zweisprachigen Lausitz so tief verwurzelt?

Die Sorben sind ein tiefgläubiges, österliches Volk. Der feste Glaube gibt mir die Zuversicht, dass unser Volk weiterbesteht und lebendig bleibt. Der evangelische Pfarrer Jan Kilian – er stand 1854 an der Spitze sorbischer Auswanderer nach Texas – unterstrich einst: „Sorben, bewahrt euch treu eurer Vorfahren Sprache und Glauben.“ Solange wir uns daran halten, wird auch das Osterreiten weiterbestehen.

In diesem Jahr wären Sie zum 75. Mal mitgeritten. Was bewegt Sie dabei?

So ein Jubiläum hat bisher in der Geschichte der Osterreiter-Prozessionen in der Oberlausitz noch niemand erreicht. Ich hoffe, dass ich das Jubiläum im nächsten Jahr einlösen kann. Dazu erbitte ich vom Herrgott die nötige Gesundheit. Ich spüre: Je älter ich werde, umso jünger fühle ich mich.

Interview: Andreas Kirschke