Kommentar

Die anderen Opfer nicht vergessen

50 Tote, mehrere Dutzend Verletzte, ein Land in Schrecken: Es sind furchtbare Nachrichten, die vorige Woche vom neuseeländischen Christchurch aus um die Welt gingen. Ein Rechtsextremist schoss in zwei Moscheen auf wehrlose Gläubige, während eine Kamera sein Verbrechen filmte und live übers Internet verbreitete. 

Auch Tage danach sorgt die abscheuliche Tat, die offenbar aus blankem Hass auf den Islam begangen wurde, noch für Entsetzen. Mit nichts ist ein solches Verbrechen zu rechtfertigen – erst recht nicht mit Kritik an der Zuwanderung von Muslimen. Gerade mit ihr hatte der 28-jährige Attentäter sein Handeln zu begründen versucht.

So verständlich das Entsetzen ist, so sehr macht ein Aspekt an der weltweiten Anteilnahme nachdenklich: Kann es sein, dass das Attentat von Christchurch die richtige Täter-Opfer-Konstellation aufweist, um „politisch korrekt“ zu trauern?

Ein weißer Rechtsextremist, der wehrlose Muslime tötet – das passt hervorragend ins politische Narrativ. Ich kann mich nicht erinnern, dass Attentate islamischer – zumeist sunnitischer – Ex­tremisten auf Christen in Nigeria, Syrien und Ägypten oder auf Schiiten im Iran oder Irak in der Vergangenheit eine ähnliche politisch-mediale Betroffenheit ausgelöst hätten. Selbst bei weitaus mehr Toten sind solche Bluttaten meist nicht viel mehr als Randnotizen. 

Wenn der islamistische Terror vor der eigenen Haustür zuschlägt, betont die Politik meist zuerst, man dürfe den Islam nicht unter Generalverdacht stellen. Das ist zweifellos richtig. Den Toten aber wird es nicht gerecht. Kanzlerin Angela Merkel traf sich gar erst nach einem Jahr mit Hinterbliebenen des Anschlags vom Breitscheidplatz. Nach dem Terror von Christchurch kondolierte die Bundesregierung natürlich sofort.

Wer die Toten nach Ethnie oder Religion gewichtet, macht sie erneut zu Opfern. Vergessen wir also gerade angesichts des Terrors von Christchurch die anderen Toten nicht: jene, die es nicht in die Leitartikel schaffen. Und jene, um die die Regierung nicht trauert.

Thorsten Fels

21.03.2019 - Ausland , Politik , Terror