Menschen werden immer älter, Pflegekräfte immer rarer, die Technik immer ausgefeilter. Im unterfränkischen Erlenbach soll Roboter „Pepper“ das Personal einer Tagespflege in einem Modellversuch entlasten und auch andernorts laufen Pilotprojekte. Doch darf man die Alten- und Krankenpflege wirklich bedenkenlos in vollautomatisierte Hände legen? Darüber und über die ethische Herausforderung künstlicher Intelligenz spricht im Exklusivinterview der Augsburger Weihbischof Anton Losinger, ein vielgefragter Ethikexperte.
Herr Weihbischof, bei einer Umfrage sagten vier von zehn Menschen, sie können sich vorstellen, dass sie zeitweise ein Roboter pflegt.
Der Ursprung dieser Einschätzung liegt darin, dass sehr viele Menschen den Mangel von Pflegekräften wahrnehmen. Besonders das Krankenhaussystem, Alten- und Pflegeheime suchen intensiv nach pflegenden Menschen und können keine finden. Dieser Mangel ist ein Angsttreiber. Gerade bei der Betreuung dementer Menschen wird erkennbar: Wie soll das gehen, wenn ein Pfleger nachts auf 17 Menschen aufpassen soll?
Hier hat die Bayerische Bioethikkommission den Gedanken aufgegriffen, ob es nicht möglich wäre, mit maschineller Hilfe Entlastung zu schaffen. So wurde der Begriff des Pflegeroboters in die Welt gesetzt. Für Reinigungsarbeiten, als Transportsysteme oder Mobilitätshilfen, vor allem als Entlastung bei schweren körperlichen Pflegetätigkeiten kann man sich seine Unterstützung gut vorstellen.
Interessant wird es, wenn mit dem Einsatz künstlicher Intelligenz und spracherkennenden Systemen ein weiterer Bereich eröffnet wird: Können Roboter die Kommunikation mit Patienten übernehmen – mit ihnen sprechen? In einem Bericht aus Japan, einer stark überalternden Gesellschaft, wurde festgestellt, dass Menschen zum Teil das künstlich intelligente Sprachsystem von menschenähnlichen Pflegerobotern mehr schätzen als den gestressten Pfleger.
Hier stellt sich nun die ethische Wertung und Frage: Wie weit können Pflegeroboter tatsächlich einen pflegenden Menschen ersetzen? Es geht um eine qualitativ ganz andere Art der Kommunikation, wenn Menschen mit Maschinen sprechen: Der Kranke oder Alte ist nicht nur ein Patient oder Pflegefall, sondern ein Mensch mit tiefgreifenden existentiellen und kommunikativen, auch spirituellen Bedürfnissen.
Deswegen sind menschliche Kommunikation, menschliche Zuwendung und Dialog wichtig. Auch im Sinne der Menschenwürde muss ein Mensch mit Empathie dem anderen mit seinen Fragen und Bedürfnissen gegenüberstehen.
Also ist die Menschenwürde entscheidend? Man könnte ja sagen, wenn die Leute mit der Betreuung zufrieden sind, ist der Einsatz von Robotern in Ordnung …
Das Personsein unterscheidet ein künstlich-intelligentes Sprachsystem vom sprechenden Menschen. Es macht den Menschen in seiner Einzigartigkeit und Würde aus. Der Mensch ist ein bewusst denkendes, fühlendes und sprechendes „Ich“ und kein Programm, kein Algorithmus. Der Algorithmus kann manches vielleicht perfekter machen, auf sprachlicher Ebene viel lernen und so kreativ auf jemanden eingehen. Es ist aber nötig, dass ein Mensch mit dem Bewusstsein seiner menschlichen Eigenart einem anderen Menschen mit seinen existenziellen Fragen zur Verfügung steht.
Als zentrales Problem für Pflegebedürftige gilt ja häufig nicht die physische Hilflosigkeit, sondern Einsamkeit. Hier muss klar sein: Roboter in der Pflege ersetzen keine menschliche Zuneigung und sind auch kein Ersatz für einen Freund. Wir haben es schließlich nicht mit intelligenten Wesen zu tun, sondern mit technischen Systemen. Der Pflegebedürftige und Kranke hat Anspruch, als Mensch in seinen existenziellen Sorgen und Ängsten ernst genommen zu werden. Er hat Anspruch auf menschliches Verständnis und Fürsorge und ein Gespräch von Mensch zu Mensch.
Warum kann der Einsatz neuer Technik problematisch sein?
Ich glaube, dass jede technische Anwendung dieser Welt immer differenziert betrachtet werden muss. Es liegt in der Natur der Dinge, dass ein Instrument, das der Mensch in die Hand nimmt, unterschiedliche Folgen bewirkt: Es kann heilen und helfen, aber auch zerstören.
Beispielsweise hat die friedliche Nutzung der Kernenergie in den 1960ern grandiose Hoffnungen erzeugt: Die Menschheit dachte, das Energieproblem sei gelöst – es kamen aber auch die brutalsten Kriege mit atomarer Bewaffnung. Deswegen stellt sich die ethische Frage: Wie wird ein Instrument, das die Menschheit in die Hand nimmt, zum Guten und zum Schlechten wirken?
Albert Einstein hat es im 20. Jahrhundert auf einen prägnanten Nenner gebracht, als er sagte: „Die Menschen leben heute technisch im Atomzeitalter, ethisch in der Steinzeit.“ Ich sehe das Problem, dass Menschen und politische Systeme nicht willens oder nicht in der Lage sind, für ihr Handeln Verantwortung zu übernehmen, wenn sie sie nur am technisch möglichen Können und nicht am ethischen Sollen orientieren.