Kirche im Sozialismus?

Diplomatie gegen die Diktatur

Als im November 1989 in Berlin die Mauer fiel, bereitete sich Matthias Wanitschke in Erfurt auf seine Weihe vor. Priester wollte er werden. Daraus wurde nichts. Heute arbeitet der Diplom-Theologe bei der thüringischen Landesbeauftragten für die Unterlagen des früheren DDR-Staatssicherheitsdiensts und gilt als Experte für das Verhältnis zwischen katholischer Kirche und SED.

„Das Verhältnis der Kirche zum Staatssozialismus war in der DDR ein besonderes, und vor allem war es nicht frei von Widersprüchen“, sagt Wanitschke. Während die Kirchenoberen etwa den Slogan „Kirche im Sozialismus“ ablehnten, hätten sie mit dem Fahneneid der Nationalen Volksarmee kaum Probleme gehabt, da der Militärdienst im Kirchenverständnis zu den staatsbürgerlichen Pflichten zählte. 

„Soweit bekannt, verlor kein Priester oder Laie wegen kirchlicher Funktion oder religiöser Überzeugung sein Leben“, sagt Wanitschke. Allerdings waren zwischen 1945 und 1961 15 katholische Priester infolge politischer Strafjustiz inhaftiert worden. Bis zum Ende der DDR gehörten in Ostdeutschland noch rund fünf Prozent der Bürger zur katholischen Kirche.

Im Gegensatz zur evangelischen Kirche war der Umgang der katholischen Amtsbrüder mit der SED-Diktatur weitaus sachlicher. Der Staat wusste, dass Konflikte mit Kirchenvertretern auch das Verhältnis zum Vatikan tangierten, was mittelbar zu Problemen auf internationaler Ebene geführt hätte. Hinzu kam: Nach einem Erlass Kardinal Konrad Graf von Preysings von 1947 war der Handlungsspielraum ostdeutscher Kleriker im Umgang mit staatlichen Stellen stark reglementiert. Nur Bischöfe waren befugt, Erklärungen abzugeben und mit dem SED-Staat zu verhandeln. 

Diese vermeintliche Restriktion brachte der Kirchenbasis immense Vorteile. „Dadurch waren Priester, Ordensleute und Gemeindemitarbeiter aus der Schusslinie“, sagt Wanitschke. Sie standen unter dem Schutz ihres Bischofs. Die Folge war ein unausgesprochener „Burgfrieden“ zwischen Führungskadern der SED und der katholischen Obrigkeit. 

Große Prozessionen

Katholiken genossen in der DDR einen nie offiziell definierten Son-derstatus mit bestimmten Freiheiten, etwa im Medienbereich. Die Wochenzeitung „Tag des Herrn“ durfte bereits zu DDR-Zeiten ohne Zensur erscheinen, und im thüringischen Eichsfeld fanden mit Behördenbilligung alljährlich große Fronleichnamsprozessionen statt. Andernorts wäre das undenkbar gewesen.

Die Verfassung der DDR von 1949 stellte in Paragraf 1 des Artikels 41 die „volle Glaubens- und Gewissensfreiheit“ und „ungestörte Religionsausübung“ unter den „Schutz der Republik“. Gemäß Paragraf 2 war das Recht der Religionsgemeinschaften, zu den „Lebensfragen des Volkes von ihrem Standpunkt aus Stellung zu nehmen, unbestritten“. Jedoch durften „Religionsgemeinschaften, religiöse Handlungen und der Religionsunterricht nicht für verfassungswidrige oder parteipolitische Zwecke missbraucht werden“. 

Diese widersprüchlich klingende Regelung schuf Freiräume, die später zu Keimzellen einer breiten Oppositionsbewegung gegen die SED-Diktatur wurden. „Keine andere Gruppierung in der DDR hatte, auch durch ihre Westkontakte, mehr Möglichkeiten als die Kirchen“, sagt die Potsdamer Historikerin Jenny Krämer. 

Der Kirche kam es zu pass, dass sie sich offiziell aus allem Politischen heraushielt. Als 1987 in Heiligenstadt drei junge Männer in Schnellverfahren zu zwei Jahren Haft wegen „Zusammenrottung“ verurteilt wurden, nachdem sie sich am 17. Juni auf dem Marktplatz schweigend um eine brennende Kerze versammelt hatten, betreute ein örtlicher Redemptoristenpater die Verurteilten und deren Familien. Mehr geschah von katholischer Seite aus nicht.

In der DDR pflegte die katholische Kirche eine politische Abstinenz mit dem Ziel, sich auf keinen Fall vom SED-Staat vereinnahmen zu lassen. Katholiken sollten sich aus allen gesellschaftlich relevanten Problemen heraushalten, sodass auch die Stasi kaum Anlass sah, deren Führungsgremien mit inoffiziellen Zuträgern zu durchsetzen, wie es bei der evangelischen Kirche fast systematisch betrieben wurde. 

Die Bischöfe lehnten die Teilung Deutschlands schweigend ab und trachteten danach, sich der ideologischen Vereinnahmung durch die Kommunisten zu entziehen. Die evangelische Idee einer „Kirche im Sozialismus“ war von katholischer Seite undenkbar. „Wir haben immer ‚Nein‘ zum Sozialismus gesagt, und wir haben ‚Nein‘ gesagt zu Bemühungen um eine Verbesserung des Sozialismus“, sagte später der 2011 verstorbene Berliner Kardinal Georg Sterzinsky. 

Nach Angaben des Historikers Karsten Krampitz überwies die SED den Kirchen jährlich 200 Millionen Ostmark aus dem Staatshaushalt. Das könne, meint Krampitz, der sich politisch bei der Linkspartei engagiert, als „Sinnbild für das oft entkrampfte Verhältnis“ zwischen Christen und Kommunisten in der DDR gesehen werden – eine umstrittene Schlussfolgerung.

Altenheime betrieben

Der Historiker verschweigt nämlich etwas: Mit diesem Geld betrieb vor allem die katholische Kirche zahlreiche Alten- und Pflegeheime. Dadurch entledigte sich der SED-Staat einer lästigen Pflicht. Geradezu eine Ironie der Geschichte dürfte sein, dass der ehemalige DDR-Verteidigungsminister Heinz Kessler 2017 mit 97 Jahren ausgerechnet in einem katholischen Pflegeheim in Berlin-Karlshorst verstorben ist.

Trotz selbstverordneter Zurückhaltung der Kirche bei politischen Konflikten gab es auch bei katholischen Kirchenmitgliedern opposi-tionelles Verhalten. Gemeinsam mit Protestanten engagierten sie sich in Umwelt- und Friedensbewegungen und organisierten Montagsdemonstrationen. Nach dem Sieg der friedlichen Revolution übernahmen Katholiken, Laien und Geistliche, politische Verantwortung an Runden Tischen und bei der Neugestaltung nach den ersten freien Wahlen im März 1990.

Benedikt Vallendar

16.03.2020 - DDR , Deutschland , Glaube