Wohltäter im Wilden Westen

„Ein Engel mit Cowboyhut“

­„Make­ America great again“: Mit diesem Spruch hat Donald Trump die Wahl zum US-Präsidenten gewonnen. Doch „great“, also großartig, ist in Trumps Amerika längst nicht alles. Armut bis hin zur Obdachlosigkeit sind weit verbreitet. John Calderon kämpft dagegen an: Als „Cowboy John“ setzt der gläubige Katholik ein Zeichen.

Die Berufung geschah bei ihm ganz sachte. Nicht so dramatisch wie beim Apostel Paulus, der – von göttlichem Licht geblendet – gleich vom Pferd geschleudert wurde. John stieg nur aus seinem Pick-Up. Die Wandlung des Handwerkers aus Colorado begann ganz einfach damit, dass er sich auf dem Parkplatz neben einem Schnellrestaurant in Glenwood Springs zu einigen Leuten setzte, um sein Mittagessen zu sich zu nehmen.

Kaum wahrgenommen

Üblicherweise hatte John bis dahin seinen Burger in seinem Pick-Up-Truck gegessen. Aber es war ein prächtig schöner Herbsttag in dem Ort hoch in den Bergen. So setzte er sich zu den „Homeless People“, den Obdachlosen. Er hatte sie zwar schon zuvor gesehen – aber kaum wahrgenommen. „Es ist so lange leicht, an Obdachlosen vorbeizugehen, bis du ihnen in die Augen geblickt hast“, sagt John heute. Beim Mittagessen hörte er sich ihre Geschichten an.

Obdachlos: Das ist in der Erfolgs- und Karriere-Welt der USA üblicherweise ein Tabu – aber gesellschaftliche Realität. Überall im Land schlafen Leute draußen in kleinen Zelten – auch im idyllischen Glenwood Springs in Colorado. Es sind meist alte, aber immer öfter auch junge Menschen, Suchtkranke, Arbeitslose. Sie alle landen auf der Straße. Die Behörden scheinen überfordert. Getan wird wenig. Das wollte John Calderon ändern.

Eigentlich wollte der bescheidene Mann seine Geschichte gar nicht erzählen. Aber der Priester der örtlichen Kirchengemeinde, Bert Chilson, fand, dass die vom „Cowboy“ gegründete Hilfsorganisation „Red Canyon“ Unterstützung verdiene. Apropos „Cowboy“: John arbeitete tatsächlich viele Jahre als Rinderhirte. Und auch heute, als Inhaber eines Naturstein- und Fliesenlegerbetriebs, hat er das gewohnte Outfit nicht abgelegt. 

So lässt er sich nun intervie­wen und fotografieren. Er plant, in seiner gemeinnützigen Organisation Obdachlose zu beherbergen, ihnen handwerkliche Kenntnisse zu vermitteln und sie damit für einen Berufseinstieg zu rüsten. Kontakte mit Firmen im ganzen Land sind bereits hergestellt. Sie wären bereit, Menschen eine Anstellung anzubieten, die Calderons Programm durchlaufen haben.

Städtchen in den Bergen

Glenwood Springs, auf rund 1700 Metern am Zusammenfluss von Roaring Fork River und Colorado River gelegen, ist ein junges Pionierstädtchen in wunderschöner Berglandschaft. In der Nähe liegen heiße Quellen. Ursprünglich hieß der Ort Defiance, also Trotz. Wie andere Orte des Wilden Westens entstand er um 1883 aus einer Ansammlung von Zelten, Saloons, Bordellen und Unterkünften aller Art. Und wie andere Städte der „Frontier“, des US-Grenzgebiets im Westen, zog er Spieler, Revolverhelden und Prostituierte an. 

In Glenwood Springs findet sich das Grab des legendären Westernhelden Doc Holliday. Er erlag dort am 8. November 1887 mit nur 35 Jahren der Tuberkulose. Anders, als es bei seinem Lebensweg zu vermuten gewesen wäre, starb er nicht bei einer Schießerei, sondern im Krankenbett. Die letzten Jahre pflegte er ein ruhiges und zurückgezogenes Leben. Durch den Einfluss seiner Cousine Martha Anne „Mattie“ Holliday, einer Nonne, konvertierte er zum Katholizismus.

Katholik ist auch John Calderon. Und er ist nicht nur das: „John ist ein Engel des Himmels – ein Engel mit Cowboyhut“, schwärmt Diane Whitlock. Sie und ihr Mann Davis waren viele Jahre obdachlos, reisten ziellos durch die USA und landeten doch immer wieder in den Bergen von Colorado. Diane glaubt, es sei Gottes Vorsehung gewesen, dass sie John Calderon trafen. Das Paar, das schon seit 28 Jahren zusammen ist, hatte harte Zeiten hinter sich, immer bemüht Arbeit zu finden. 

Sie hofften, etwas zusammen machen zu können. Calderon war wie eine Antwort auf dieses Gebet. „Alle anderen wendeten sich von uns ab. John ist der einzige, der wirklich geholfen hat“, sagt Davis. „Er lud uns erst zu sich nach Hause ein, wo wir unsere Wäsche waschen und heiß duschen konnten.“

Verwahrlostes Aussehen

Calderon meint: „Es gibt eine Menge Leute, die aus ihrer Situation herauskommen wollen. Aber mit ihrem oft etwas verwahrlosten Aussehen ist es schwer, einen Job zu bekommen.“ Der „Cowboy“ möchte Betroffene befähigen, wieder auf eigenen Füßen zu stehen. Er weiß, wie es auf den Straßen der USA zugeht, weiß, dass die „Homeless“ angespuckt und mit Beschimpfungen bedacht werden. 

Viele Leute, die vorbeifahren oder vorübergehen, behandeln sie, als seien sie keine Menschen. „Dabei sind sie genauso Kinder Gottes.“ Die Motivation für Calderons Tun? „Ich habe das Gefühl, dass ich Belohnungen bekomme, von denen ich nicht einmal sprechen kann“, sagt der „Cowboy“. „Sie kommen von Gott.“

Karl Horat

01.11.2018 - Ausland , Hilfswerke