Martin Riedlinger

Ein Journalist mit Geschichte

Ein halbes Jahrhundert leitete Martin Riedlinger katholische Medien im deutschsprachigen Raum, fast 30 Jahre als Chefredakteur der Neuen Bildpost. Dabei sammelte er viele Millionen Euro für die Mission.

Wie ein geübter Langläufer kommt Riedlinger dem Besucher entgegen. „Grüß Gott, ich hoffe, Sie hatten eine gute Anreise“, begrüßt der 97-Jährige seinen Gast mit Wiener Charme. Riedlinger hat deutsch-ungarische Wurzeln. Im Wohnzimmer seiner Stadtwohnung unweit der Hofburg, in der der Chefredakteur außer Diensten und seine Frau seit vielen Jahren leben, stehen Obst, Gebäck und ein guter Kaffee bereit. 

„Wo sollen wir anfangen, wo aufhören?“, fragt Riedlinger. Wenn das so einfach wäre! Schließlich geht es um ein langes Leben: sein Leben, die Arbeit als stellvertretender Redaktionsleiter der Wiener Kirchenzeitung, als Chefredakteur der Neuen Bildpost (1966 bis 1994), als diese noch im westfälischen Lippstadt erschien, und vor allem Riedlingers Engagement für die Missionsarbeit der Kirche rund um den Globus. 

Rund 35 Millionen Euro hat er dafür zusammengetragen und vielen, vor allem jungen Menschen, eine Ausbildung, ein Studium oder einfach nur den Start in ein besseres Leben ermöglicht. Bis heute ist Riedlingers „Neue Bildpost Hilfswerk“ Sachwalter für in Not geratene Katholiken in Afrika, Lateinamerika oder auf den Philippinen, wo das Leben nicht selten einer Gratwanderung zwischen wenig, noch weniger und gar nichts gleicht.

Student statt Soldat

Sein eigenes Leben war mit Stolpersteinen gepflastert, sagt Riedlinger, und doch habe er auch „großes Glück“ gehabt. Zwei Kinder und mehrere Enkelkinder haben er und seine Frau, und gemeinsam genießen sie nun ihren wohlverdienten Ruhestand. Nach der Matura an einem katholischen Internatsgymnasium im ungarischen Nagyvejke ging Riedlinger kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs nach Berlin, um dort Geschichte zu studieren.

Riedlingers Glück: Sein ungarischer Pass bewahrte den damals 19-Jährigen vor der Einberufung in die Wehrmacht, derweil die ungarischen Behörden ebenfalls keinen Zugriff auf ihn hatten. Während seine deutschen Kommilitonen an der Front kämpfen und nicht selten sterben mussten, besuchte Riedlinger Geschichtsvorlesungen an der Humboldt-Universität, schrieb Seminararbeiten und verbrachte viel Zeit in Bibliotheken und Archiven.

„In den ersten Kriegsjahren war das Leben in Berlin noch relativ ruhig“, erinnert sich Riedlinger. Nur hin und wieder kam es zu alliierten Bombenangriffen, und wenn, dann waren die Spuren meist schnell beseitigt – auch dank zahlreicher Häftlinge aus dem nahen Lager Sachsenhausen, die zu Aufräumarbeiten anrücken mussten.

Riedlinger war in seinen Berliner Jahren nicht nur Student, sondern auch Zeitzeuge einer dunklen Epoche, jemand, der das Leben in Nazi-Deutschland aus verschiedenen Blickwinkeln wahrnahm. Schon vor Kriegsende im Mai 1945 habe er „vieles von dem gewusst“, was manche Deutsche auch später nicht wahrhaben wollten, sagt er.

Goebbels’ Ministerium

In den 1940er Jahren war Riedlinger gerngesehener Gast auf privaten Studentenpartys. Dort lernte er eine Sekretärin aus Joseph Goebbels’ Propagandaministerium kennen. Sie erzählte ihm vieles, was andere nicht wussten: von Massenerschießungen im Osten und wilden Konzentra­tionslagern, die es damals vielerorts in Europa gab. 

„Dieses Mädel öffnete mir die Augen über das, was in Deutschland damals wirklich vor sich ging“, erinnert sich Riedlinger. Das Angebot eines Studienkollegen, in die SS einzutreten, schlug er denn auch höflich aus. Der kriminelle Charakter der Organisation war ihm schon damals bewusst. 

Nach Ende des Kriegs marschierte Riedlinger in einem Monat zu Fuß von Berlin nach Wien. Dort schloss er drei Jahre später sein Geschichtsstudium mit dem „Dr. phil.“ ab, bevor er als Kirchenjournalist Karriere machte.

Benedikt Vallendar