Brasiliens singende Priester

Evangelisierung mit E-Gitarren

Priester als Musikstars, die ganze Konzerthallen füllen? In Mitteleuropa mag diese Vorstellung fremd erscheinen. Nicht so in Brasilien, dem Mutterland der singenden Padres. Eine Studie des Projekts „Amo Música Católica“ kommt zu dem Schluss, dass die singenden Geistlichen im vergangenen Jahr wieder gewaltig abgeräumt haben. In der speziellen Jahreshitparade nimmt Padre Fábio de Melo den ersten Platz ein. Mehr als drei Millionen Menschen haben sich im Internet seinen Song „Paciência“ angehört.

Der 46-jährige Fábio de Melo ist katholischer Priester und Sänger. Derzeit wirkt er in der Diözese Taubaté im Hinterland von São Paulo – und er hat einen Vertrag mit Sony Music. Im Mai vorigen Jahres veröffentlichte der Musikgigant des Padres neuestes Album mit dem Titel „Clareou“. Der singende Priester bescherte dem Konzern schon in der Vergangenheit imposante Umsätze auf dem CD- und DVD-Markt. 

Vor zehn Jahren heimste er noch Diamant- und Platin-CDs für millionenfach verkaufte Scheiben ein. Inzwischen sind seine Lieder und Messen auf raubkopierten CDs und DVDs verbreiteter. Raubkopien deshalb, weil eine schwere Wirtschaftskrise Brasilien noch immer lähmt – und der Kauf einer Original-Scheibe im Gegenwert von 20 Euro gegenwärtig für viele treue Anhänger eine fast nicht zu stemmende Investition ist. 

Padre Fábio Fans mischen heute vor allem die „sozialen Netzwerke“ auf. Bestes Beispiel: das Videoportal YouTube. Mehr als 18 Millionen Mal wurde „Tudo Posso“ angeklickt. Fábio de Melo intoniert in dem Lied zusammen mit der Sängerin Celina Borges einen seiner größten Erfolge: „Alles kann ich dank ihm, der mir die Kraft gibt.“ Gemeint ist Gott. 

Musikalisches Gotteslob

Bei seinem musikalischen Gotteslob wird Padre Fábio von raffinierten Bläsern unterstützt, ekstatischen Gospelsängerinnen und begeistert mitsingenden Fans in einem riesigen Theater. Es ist gesungene Zuversicht: Mit erhobenen Händen feiern die Menschen, dass sie im Schoß Gottes und in der Gemeinschaft geborgen sind.

Auf dem zweiten Platz der kirchlichen Hitparade steht ein männliches Duo. „Dupla Sertaneja“ werden im südwestlichen Landesinnern die harmonisierenden Tenorstimmen genannt. Alvaro und Daniel präsentieren sich auf dem Cover markant männlich und posieren mit dem Rosenkranz in der geballten Faust. Ihr Lied „Aleluia“ wurde im Netz schon mehr als 1,6 Millionen Mal angeklickt. 

„Aleluia“ ist die portugiesische Version des bekannten Stücks „Hallelujah“. Das Lied, von dem zahlreiche Versionen existieren, stammt ursprünglich von dem 2016 verstorbenen kanadischen Künstler Leonard Cohen. Das 1984 entstandene Stück würdigt den harfespielenden König David des Alten Testaments und weist auch darüber hinaus mehrere biblische Verweise auf. 

Auf Platz drei findet sich die Gruppe „Colo de Deus“ mit ihrem Lied „Se ninguém Te adorar eu vou“. Der Titel bedeutet so viel wie: „Wenn niemand dich erkennt – ich tue es.“ Die Musik der Sängerinnen und Sänger einer jungen katholischen Gemeinde aus Curitíba erinnert durch ihre Gefühlsausbrüche an Gospel. Untermalt wird sie von Lagerfeuerromantik, sanfter Rockmusik und gekonnten Gitarrenriffs. Im vergangenen Jahr verbuchte das Lied mehr als 1,3 Millionen Klicks.

All die singenden Priester gehören der charismatischen Bewegung innerhalb der katholischen Kirche an. Es sind keine klassischen Kirchenlieder, die da auf den großen Bühnen, in Kirchen und Stadien intoniert werden – obwohl einige Textpassagen durchaus aus solchen stammen. Die Musik soll vor allem Emotionen wecken. Das ist typisch für Lateinamerika. Das Mitsingen, das Mitschaukeln mit erhobenen Händen, das Ergriffensein sind unabdingbare Komponenten des Charisma-Erlebnisses. 

Laut Religionswissenschaftlern ist nicht zu bestreiten, dass dank dieser „Showmen Christi“ viele Gläubige in die katholische Kirche zurückgekehrt – oder in ihr geblieben sind. Die Methode, mit eingängiger Musik und mitreißenden Gesängen einen Gottesdienst ganz neu und sinnlich erlebbar zu gestalten, wurde zuvor vor allem von evangelikalen Freikirchen und Sekten in ganz Lateinamerika eingesetzt.

Die Sekten propagieren in solchen „Event“-Gottesdiensten gerne ihre „Theologie der Prosperität“, wonach materieller Wohlstand eine Gabe Gottes sei und durch die Macht des Glaubens erreicht werden könne. An Notlagen und persönlichem Misserfolg sei der Teufel schuld, den man auf speziellen Tempel-Sitzungen auszutreiben vorgibt. Ein lukratives Unterfangen – schließlich sollen die Gläubigen für die Dienste ihrer „Kirche“ fleißig spenden.

Schon vor gut 20 Jahren entdeckten auch katholische Priester den brasilianischen Musikmarkt. Heute sind singende Priester wie Marcelo Rossi aus São Paulo ein Massenphänomen. Problemlos füllen sie ganze Fußballstadien mit ihren Gottesdiensten. Ihre CDs und DVDs verkaufen sich millionenfach. Padre Rossi war es, der das bislang erfolgreichste Musikalbum besang, das je in Brasilien produziert wurde. 3,3 Millionen Exemplare davon wurden verkauft. 

Schlagzeug in der Kirche

Als Begründer des Genres der „Música Católica“ kann Padre Zezinho gelten. Der 76-Jährige aus der Ordensgemeinschaft der Herz-Jesu-Priester (Dehonianer), der mit bürgerlichem Namen José Fernandes de Oliveira heißt, ließ bereits vor rund 50 Jahren aufhorchen: Als junger Priester ließ er Schlagzeug und elektrische Gitarren in die Kirche tragen – damals ein Novum.

Betrachtet man die Zeit, die seine Musik im Radio läuft, ist Reginaldo Manzotti aus Paraíso do Norte in Paraná einer der angesagtesten singenden Seelsorger heute. Auch bei ihm verbindet sich die religiöse Begeisterung mit Show-Qualitäten und einer attraktiven Erscheinung. Mitreißend ist das Video zu seinem Großerfolg „A Tempestada vai passar“ – auf Deutsch: „Das Gewitter wird vorübergehen.“ 

Der im Netz millionenfach angeklickte Clip zeigt den jugendlich wirkenden 48-Jährigen zusammen mit der stimmgewaltigen Fafá de Belém vor einer Kulisse aus mehr als einer Million begeisterter Fans. Anlässlich einer katholischen Missions-Kampagne am Atlantikstrand von Iracema in der Stadt Fortaleza gaben die beiden ihr Lied zum Besten.

„Das Gewitter wird vorübergehen“ – dieser Liedtitel kommt Reginaldo Manzotti im Moment wohl auch aufgrund seiner eigenen Situation in den Sinn: Im Januar trat die 21-jährige Chorsängerin Adriele Fernandes aus Minas Gerais vor die Presse und erklärte, von dem Gottesmann schwanger zu sein. Sie sei sich dessen sicher, da sie mit keinem anderen Mann zusammen gewesen sei. Der Padre ließ ausrichten, er kenne kein Mädchen dieses Namens. 

Im Pressewald des größten katholischen Landes der Welt – keineswegs nur im religiösen – rauschte es gewaltig. Süffisant merkten Kommentatoren an, dass nun einer von Padre Reginaldo Manzottis größten Erfolgen, der eingängige Kuschelrock-Titel „Restaura a família“ (Vereine die Familie) eine ganz neue Note erhalte. Nun muss ein DNA-Test darüber Aufschluss geben, ob die Vorwürfe berechtigt sind.

Doppeltes Gebet

„Wer singt, betet doppelt“ – diese Aussage, die Kirchenvater Augustinus zugeschrieben wird, hat nicht nur in Lateinamerika ihre Bedeutung. Die Bibel ist voll von Musik und Gesang. Singen – das ist etwas fürs Herz, es macht gute Laune und berührt die Seele. Die charismatische Bewegung hat das erkannt und die religiöse Popmusik in ihr Glaubensleben integriert.

Der nüchterne Mitteleuropäer mag mit eher skeptisch-staunendem Blick auf die religiös-musikalischen Ekstasen blicken. Dennoch: Seit den 1960er Jahren haben sie in der katholischen Kirche stets ihren Platz gehabt – trotz mancher Ermahnungen aus Rom, es mit dem Überschäumen der romantisch-religiösen Gefühle nicht zu übertreiben.

Karl Horat