Ferien mit dem Faschismus

Preisgünstige Reisen und Propaganda inklusive

Sommerzeit ist Ferienzeit. Das war nicht immer so: Noch in den 1920er Jahren waren „Sommerfrische“ und Urlaubsfreude häufig ein exklusives Vergnügen für wohlhabende Bürger. Die Arbeiterschicht konnte sich derlei meist nicht leisten. Das sollte sich in den 1930er Jahren ändern – zumindest auf dem Papier: Unter braunen Vorzeichen waren nun preisgünstige Ferien für jeden „deutschen Volksgenossen“ angesagt. 

Also: Urlaub für jeden? Nach diesem Motto jedenfalls agierte die 1933 nach italienischem Vorbild gegründete nationalsozialistische Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ (KdF) als parteinahe Freizeitorganisation. Das ihr untergeordnete „Amt für Reisen, Wandern und Urlaub“ (RWU) war der größte Reiseveranstalter in der Zeit des Nationalsozia­lismus. 

Es vermittelte Theateraufführun­gen, Wanderfahrten und Tages­tou­ren, mehrtägige Nah- und Fernreisen für Arbeiter und Angestellte sowie preisgünstige Unterbringungen in KdF-eigenen Ferienheimen. Tagesausflüge führten beispielsweise nach Rothenburg ob der Tauber, an den Bodensee, in den Harz oder nach München zum Oktoberfest. Bei einem Reisepreis von einer bis fünf Reichsmark waren diese Fahrten äußerst beliebt und häufig ausgebucht. 

Madeira für 120 Mark

Regelmäßig fuhren ab 1934 mit Wimpeln und Girlanden geschmückte KdF-Sonderzüge von Berlin in den deutschen Süden und an die Ostsee, aber auch ins Ausland – und das für wenig Geld. Beispielsweise kosteten sieben Tage auf der Schwäbischen Alb mit Transport, Unterkunft und Vollpension 16 Reichsmark, 18 Tage Lissabon/Madeira 120 Reichsmark.

Den kleinsten Teil der organisierten Reisen, nämlich rund zwei Prozent, bildeten Kreuzfahrten mit der eigenen modernen Hochseeflotte. 690 000 Schiffsreisen wurden in den ersten fünf Jahren verkauft, vor allem in Länder, die dem natio­nalsozialistischen Regime zunächst wohlgesonnen waren, beispielsweise Norwegen, Teneriffa oder Italien.Dafür wurde gerne geworben: Für eine im Frühsommer 1939 angebotene achttägige Norwegenfahrt des Gaus Baden mit dem KdF-Schiff „Stuttgart“ zahlte der Reiselustige rund 69 Reichsmark pro Person. 

Die Nachfrage war enorm, denn beim durchschnittlichen Monatsverdienst eines Arbeiters von 167 Reichsmark war eine solche Urlaubsfahrt zumindest im Bereich des Möglichen. Der Service auf den Schiffen galt als gut, zumal an Bord Volksbelustigungen stattfanden sowie Filmvorführungen und Vorträge über Seeschlachten – nationalsozialistische Propaganda inklusive. 

Neben solchen Kreuzfahrten war der Bau von fünf Seebädern für jeweils 20 000 Personen geplant. Sie sollten es der Bevölkerung ermöglichen, zwei Wochen Jahresurlaub zu machen. Das einzige in Teilen realisierte Bauprojekt aus diesem Plan ist das KdF-Seebad Prora auf Rügen. Der Gebäudekomplex erstreckt sich über eine Länge von etwa fünf Kilometern entlang der Ostseeküste. Mit dem Beginn des Weltkriegs wurden die Bauarbeiten nach der Errichtung des Rohbaus eingestellt.

Naturidylle und Erholung

Grundsätzlich dürften die Destinationen an Ost- und Nordsee sowie der deutsche Südwesten beliebte Ziele gewesen sein. Sie boten Idylle, Natur und Ruhe, um die körperliche wie seelische Erholung der „Volksgenossen“ sicherzustellen. So hieß es jedenfalls gerne. Die typischen Propagandaparolen und -bilder jener Zeit vermitteln beinahe den Eindruck eines organisierten Massentourismus – vermeintliche Kameradschaft und inszenierte Gemeinschaft inklusive. 

Über sieben Millionen Menschen sollen zwischen 1934 und 1939 die Ferienangebote der KdF zum Urlaub außerhalb des bekannten Umfelds wahrgenommen haben. Empirische Daten dazu sind allerdings dürftig. Klar dürfte jedoch sein, dass Arbeiter und Arbeiterinnen bei den Fahrten deutlich unterrepräsentiert waren. Häufig genug zählte man Angestellte und Beamte als Teilnehmer einer solchen KdF-Reise, auch wenn die Mittelschicht offiziell gar nicht teilnahmeberechtigt war. 

Urlaub für jeden?

Ungeachtet der seinerzeit weitverbreiteten Rede vom „Urlaub für jeden“ muss anhand neuerer Forschungen festgehalten werden: Die Ferien für alle entsprachen eher einem Wunschdenken und keineswegs der (wirtschaftlichen) Realität, erst recht, wenn es um die Frage der sozialen Verteilung der Reisenden geht. Lediglich jeder zehnte Arbeiter, wird vermutet, ist in den Vorkriegsjahren überhaupt jemals mit der KdF gereist. 

Von Massentourismus kann also keine Rede sein – und das selbstgesteckte Ziel der NS-Freizeitsorganisation, „jeden deutschen Arbeiter einmal im Jahr zehn Tage auf Urlaub fahren zu lassen“, erwies sich als zu ehrgeizig. Immerhin aber rückten Ferientage für den einen oder anderen in den Bereich des praktisch Möglichen – für viele zum ersten Mal im Leben.

Auch der mittelständische Unternehmer Carl Degener bot als privater Reiseveranstalter damals schon Pauschal- und Gesellschaftsreisen mit individueller Betreuung für ein breites Massenpublikum an. In bescheidenem Maße behauptete er sich gegen die marktbeherrschende KdF. So brachte es Degener seinerzeit auf rund 25 000 Reiseteilnehmer jährlich. Seine Angebote konnten mit den konkurrenzlos billigen Angeboten der KdF-Fahrten allerdings nicht mithalten.

Mit Kriegsbeginn wurde der Reisebetrieb der KdF beinahe komplett eingestellt. Allerdings versuchten die Ferienorte nach wie vor, Urlaubswillige anzulocken. Der wirtschaftliche Stellenwert des Tourismus war bekanntermaßen groß − damals nicht anders als heute. Die Bodenseestädte Konstanz, Meersburg und Friedrichshafen etwa luden mit ihrem angenehm warmen Klima und der idyllischen Seelage zum Flanieren, Erholen und Baden ein. 

Während des Kriegs wurde Konstanz nicht von den Alliierten bombardiert, da die Grenze zum schweizerischen Kreuzlingen durch die Stadt verlief. Das linksrheinische Konstanz agierte geschickt und verdunkelte − im Unterschied zu anderen deutschen Städten − seine Häuser und Straßen nicht, so dass diese aus der Luft nicht von Kreuzlingen zu unterscheiden waren. 

So entstand der „Mythos der unzerstörten Stadt“, der Feriengäste auch aus dem Ausland anzog. Der französische Schriftsteller Louis-Ferdinand Céline (1894 bis 1961) formulierte während seines Kurz­urlaubs am Bodensee seine Begeisterung: „Die einzige ruhige Stadt in ganz Deutschland, die einzige nie bombardierte Stadt, es war wie im Frieden, und alle Geschäfte geöffnet und die Bierstuben (...), eine wirklich märchenhafte Stadt.“ 

Vom Boom profitieren

Auch kleinere Städte wollten – Kriegsjahre hin oder her − etwas vom bescheidenen Touristenboom abhaben, um die lokale Wirtschaft zu stärken. Säckingen am Hoch­rhein zum Beispiel. Auch hier gab es noch nach 1939 – ebenso überraschend wie unpassend – verstärkt Konzepte, um die an der Grenze zur Schweiz liegende Stadt zu einem Touristenort zu machen.

Offenbar hatte die scheinbare Idylle fernab der Frontlinien den Bürgermeister und die Tourismusbranche verleitet, selbst mitten im Krieg neue Initiativen zur Ankurbelung des Fremdenverkehrs auf den Weg zu bringen. Bis Mai 1940 wurde das Schloss als etwaiger Touristenmagnet renoviert, 1941 erfolgte der Druck eines Werbeprospekts, der Säckingen und den nahen Hotzenwald ins rechte Licht rücken sollte. 

1942 wurde sogar noch in 100 000-facher Ausfertigung eine Bildpostkarte mit der Gesamtansicht der Säckinger Altstadt gedruckt. Das klingt nach einer Schnapsidee – und tatsächlich kamen all diese Aktionen zu spät. Als nämlich im Winter 1942/43 bei Stalingrad der Russlandfeldzug endgültig scheiterte, fanden die Träume vom Tourismus in und um Säckingen – wie überhaupt überall im Reich – ein jähes Ende. Die Deutschen hatten jetzt andere Probleme als ihre nächste Urlaubsreise.

Irene Krauß

09.08.2020 - Historisches , NS-Zeit , Reise