Die Wälder der Buchen, die früher große Teile Deutschlands mit ihrer geschlossenen Laubdecke und den glatten Stämmen ohne Kork besiedelten, sind wahre Waldkathedralen, die den Ureinwohnern Geborgenheit gaben. Romanische Kirchen erinnern an kühle, schattige Höhlen. „In diesen Höhlen fand die Theophanie, die Erscheinung des Göttlichen, statt“, schreiben die Autoren. Die Kirchenväter Augustinus und Antonius zogen sich gerne in die Höhlen zurück.
Vorbild für Kathedralen
„Die gotische Kathedrale mit den Säulen und den Spitzbögen und dem sanften, diffusen Licht ist eigentlich eine Nachempfindung des Buchenwaldes“ ist wenig später zu lesen. Die Autoren sprechen von „weihevoller Stimmung“ und vom „Raunen des Göttlichen“. Ganze Buchenwälder sollen für die Barockkirchen mit ihren Heiligenfiguren, Engeln oder Wolkengebilden geopfert worden sein.
Die Buche war mit ihren Bucheckern über Jahrhunderte „ein essbarer Baum“. Aus den dreieckigen Samen wurde Mehl, Speise- oder Lampenöl erzeugt. Die Bauern trieben ihre Schweine in die Buchenwälder, um sie zu mästen. Die helle Buchenasche wird als Dünger im Garten und auf dem Feld für Wurzelgemüse wie Kartoffeln gerne genutzt.
Als Baum der ordnenden Kräfte wird die Eiche beschrieben. Eichen werden mitunter 1000 Jahre alt. Wo sich heute der Vatikan befindet, lag zuvor ein Jupiter-Heiligentum: ein Hügel mit einem Eichenhain. „Petrus trägt die Schlüssel und ist wie Jupiter ein Wetterherr“, ist in dem Buch zu lesen.
Sinnbild der Ordnung
Von den Kelten kommt die Tradition, dass berauschende Getränke wie Bier und Wein in Eichenfässern gelagert wurden. Das Mehl von Eicheln wurde in Notzeiten mit ins Brot gebacken. Wildschweine lieben diesen Baum. Und unter der Eiche auf dem Thingplatz wurde Recht gesprochen und herrschte Frieden. Die Eiche gilt „als Sinnbild der Ordnung, der Treue, der Dauerhaftigkeit, des Mutes, der Willensstärke, der Gerechtigkeit“. Missionare wie Bonifatius predigten unter ihnen, und bis heute kennt man in England die „Gospel Oaks“, unter denen Pfarrer noch immer gelegentlich einen Gottesdienst abhalten.
Im Kapitel über die Eiche erlaubt sich Wolf-Dieter Storl Gesellschaftskritik, wenn er im Unterkapitel „Treue und Ordnung“ schreibt: „Mit der Zeit wurde auch die Materie von der Spiritualität abgetrennt. So ging die Transzendenz in den letzten Jahrhunderten verloren. Gott, das Göttliche, das in allem west, wurde allmählich als Schöpfer außerhalb der Schöpfung, wie ein Maschinenbauer angesehen. Wir haben kein Thing mehr. In den Parlamenten wird nicht mehr an die weise, göttliche Führung appelliert, sondern es ist einseitig materiell und es wird um Vorteile geschachert.“ Wie aktuell möchte man ausrufen – mit Blick auf die Corona-Maskenaffären.
Die Linde als Seelenbaum
Als Baum der heilenden Liebe charakterisiert Storl die Linde. „Ihr himmlischer Blütenduft verzaubert alle“, wird gleich zu Beginn dieses Kapitels klargestellt: Harmonie, Lebensfreude, Ekstase, Schutz und Geborgenheit sind nur einige der positiven Zuschreibungen auf den Seelenbaum Linde. Martin Luther beschrieb die Linde mit ihren herzförmigen Blättern als „Friedens- und Freudenbaum“.
Außerdem ist die Linde ein Marienbaum. Oft wurde neben einer Marienkapelle eine Linde gepflanzt. Aus ihrem weichen Holz werden bis heute gerne Statuen der Muttergottes geschnitzt. Einige Seiten später ist zu lesen: „Die Linde verkörpert Frieden und Liebe, und man sagt, dass es die Liebe ist, die heilt, und nicht der Stoff.“ So böten Linden auch die Chance, zerbrochene Herzen zu heilen.
Hildegard von Bingen empfahl, die reinigenden Lindenblätter beim Schlafen auf die Augen zu legen. Das soll gute Träume bringen. Aber mehr als der materielle wird von Storl der ideelle Wert herausgestellt, wenn er betont, dass jeder Baum einen Zugang zur göttlichen Welt bietet: „Die Bäume sind Wegweiser. Die Bäume sind Freunde. Die Bäume haben viel mehr Wert als die Festmeter Holz, die man für Geld verscherbeln kann.“
Die Eibe führt zu Jesus
Als Tor zu Ewigkeit wird als fünfter heiliger Baum die Eibe beschrieben, die für viele Menschen als düsterer Friedhofsbaum mit dem Tod assoziiert wird. Schon ihr Wortstamm erinnert an „ewig“. Bogenschützen verwendeten das elastische und zugleich stabile Eibenholz für ihre Bögen. Sehr giftig ist der Eibensamen um die rotfleischigen Beeren. Etwas eigenartig, ironisch klingt da die Bezugnahme zur heiligen Hildegard von Bingen: „Für sie ist die Eibe ein Sinnbild der Fröhlichkeit“ – weil sie „die Begegnung mit Jesus näherbringt“.
Die Anleitungen zur Baummeditation haben den Rezensenten nicht überzeugt. Aber das Buch hat da seine Stärken, wo es darum geht, für die Natur im Allgemeinen und die Bäume im Besonderen zu sensibilisieren. Man sollte sich die Zeit nehmen und den Bäumen lauschen, denn sie bieten eine besondere Art der Wahrnehmung.
„In den Schulen wird uns das Träumen ausgetrieben, so dass wir diese Art von Wahrnehmung verlernen. Unsere Wirklichkeit wird auf das Materielle reduziert.“ So wie Menschen ihren eigenen Charakter haben, so sind auch Bäume keine stummen Gegenstände und Baumarten haben ihre „eigenen, unverkennbaren Qualitäten“.
Rocco Thiede
Buchinformation
„Unsere fünf heiligen Bäume: Meditieren und heil werden in der Natur“ ist in der Reihe „Knaur Menssana“ erschienen. Die gebundene Ausgabe (ISBN: 978-3-426-65872-7) kostet 18 Euro.