Deutschlands einzige Hochseeinsel

Oase der Kraft mitten im Meer

Helgoland gilt als Deutschlands einzige Hochseeinsel. Bis heute ist sie Coronafrei. Die strikten Vorschriftsmaßnahmen beginnen schon während der Überfahrt. Gerade in einer Zeit, in der sich Urlaub vor allem in der Heimat abspielt, ist Helgoland so beliebt wie nie. 

Laut einer umstrittenen Theorie befand sich in der Bronzezeit, rund 1200 Jahre vor Christus, die sagenhafte Königsinsel Atlantis in Sichtweite von Helgoland. Knapp 2000 Jahre später, um das Jahr 700, berichtete der heilige Willibrord, Bischof von Utrecht, über eine Insel des friesischen Gottes Fosite und den Versuch einer Christia­nisierung. Jenes „Fositesland“ – das ist der heutige von den Wellen der Nordsee umtoste Buntsandsteinfelsen Helgoland. 

Zwischen Glaube, Kriegshistorie und Möwen

Heute gibt es dort eine evangelische Pastorin und einen katholischen „Ferienpriester“. Es gibt Kriegshistorie in unterirdischen Bunkern, unzählige auf den Klippen brütende Basstölpel sowie Lummen-Meeresvögel, deren Nachwuchs sich todesmutig und flugunfähig in die rauen Wogen stürzt. All das gehört zu den Besonderheiten eines Urlaubs auf dem felsigen Eiland, das außerdem durch zollfreien Einkauf lockt.

Von den Hamburger Landungsbrücken sind es knapp vier Stunden bis zum windumtosten Urlaubsziel. Jeden Morgen steht der „Halunder Jet“ zur Fahrt bereit. Diejenigen, die als Kind auf Helgoland waren, erinnern sich mit Grauen an die Übelkeit in den kleinen Kähnen. Das gehört der Vergangenheit an, denn der Katamaran garantiert eine angenehme und ruhige Fahrt.

Eine der kleinsten katholischen Gemeinden Deutschlands

Pfarrer Walter Kreutzberg verbringt bereits den dritten Sommer auf dem roten Felsen. Der katholische Ruhestandsgeistliche leitet in der Urlaubszeit die Helgoländer Pfarrei St. Michael, die dem Dekanat Itzehoe im Erzbistum Hamburg untersteht. Die rund 140 Männer und Frauen starke Gemeinde liebt ihren Urlaubsgeistlichen. „Bis jetzt hat sich die Gemeinde nicht über mich beschwert“, sagt der Chemnitzer Kreutzberg und schmunzelt. St. Michael ist eine der kleinsten katholischen Gemeinden in Deutschland.

Heilung für Allergiker

Unterstützt wird der Geistliche aus dem Bistum Dresden-Meißen von einem Gemeindeteam. Zu ihm gehört Günter Barten, ein Zugezogener. „Ich war Allergiker“, sagt er. „Seit ich auf Helgoland lebe, bin ich gesund.“ Mit einem Angel­urlaub fing alles an. „Nach zwei Tagen waren meine Beschwerden weg“, sagt der gebürtige Kölner. Vor 26 Jahren kam der heute 77-jährige Schmiedemeister auf die Insel. Er ist geblieben und engagiert sich seitdem in der katholischen Gemeinde. 

Genau wie Stefanie Queren und Gudrun Zandt. „Seitdem vor ein paar Jahren unser Ortspfarrer verstorben ist, haben wir nur noch katholische Gastpriester. Auch Ordensschwestern sind willkommen. Sie bieten Andachten, Gespräche und Abendgebete an“, sagt Kindergärtnerin Queren. 

Als das Erzbistum Hamburg einst einen Urlaubspriester für Helgoland suchte, überlegte Kreutzberg nicht lange. „Die Atmosphäre einer Insel mitten in der Nordsee, die Menschen und das Klima: einfach toll!“, schwärmt er. An der Messe – am Sonntag um 10 Uhr – nehmen neben den Insulanern immer wieder auch Urlauber teil. „Wir sind froh, dass wir Pfarrer Kreutzberg hier haben“, betont Günter Barten.

Walter Kreutzberg wurde 1970 zum Priester geweiht. „Dann wurde ich erst einmal durch das Bistum geschleift und predigte in vielen Gotteshäusern“, schmunzelt der 78-Jährige. Schließlich war er Pfarrer an der Maria Rosenkranzkönigin-Kirche im vogtländischen Klingenthal. Rund 20 Jahre diente er der katholischen Gemeinde in dieser sächsischen Kreisstadt nahe der Grenze zu Tschechien. 

In DDR Paroli geboten

Repressalien seitens des DDR-Regimes habe er keine erlebt, sagt er. „Obwohl meine Stasi-Akte so dick war“, fügt er hinzu und deutet den Inhalt mit Zeigefinger und Daumen an. „Beträchtlich. Doch ich habe mich nicht unterkriegen lassen und Paroli geboten. Ich denke, je offener man damals sein Christsein lebte, umso mehr wurde man beachtet, aber auch geachtet und respektiert.“

Heiße Diskussionen mit Vertretern des Staates habe es dagegen häufig gegeben. „Sie haben mich nicht überzeugt, und ich konnte sie nicht überzeugen!“ Dass das Regime das Gespräch mit ihm suchte, findet er dennoch gut. Viel mehr möchte der Ferienpriester dazu nicht sagen. Lieber lässt er die Vergangenheit ruhen und redet von der Gegenwart. „Wenn ich zu Hause gebraucht werde, mache ich Dienst in der Chemnitzer Propsteikirche St. Johannes Nepomuk.“

Die Geschichte der katholischen Kirche auf Helgoland ist einzigartig. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts zog es europäische Sommerfrischler auf die Felsen. „Es kamen auch katholische Reisende und Soldaten, die hier ihren Glauben leben wollten“, erzählt Günter Barten. „Die erste katholische Kapelle wurde Ende des 19. Jahrhunderts gebaut. Nachweislich gab es 1929 die ersten katholischen Priester auf Helgoland.“

Bomben zerstörten das Eiland

Bomben der Engländer zerstörten 1945 das Eiland fast völlig. Beim Wiederaufbau ab 1952 wurde eine katholische Kirche für die kleine Gemeinde nicht eingeplant. Vielmehr wurden später in der evangelischen Kirche St. Nicolai und in der Privatwohnung eines Bäckermeisters Messen gehalten. Doch die Rufe nach einem eigenen Gotteshaus mehrten sich. Seit 1971 haben Helgolands Katholiken mit St. Michael wieder ein eigenes Domizil. 

Ein Brauch der Insel-Christen sieht vor, beim Tod eines Einwohners die Kirchglocken läuten zu lassen. Die als „Ringeln“ bezeichnete Tradition veranlasst ein Verwandter des Verstorbenen. Außerdem wird am Tag der Beisetzung die grün-rot-weiße Inselflagge am Rathaus auf Halbmast gesetzt. 

Besondere Taufen

Weitere ganz besondere Gewohnheiten gibt es wohl nur auf „Deät Lun“, wie die Insel auf Helgoländisch heißt. Vor einer Taufe zum Beispiel versammeln sich Kinder in Inseltracht zu einem Umzug. Mit dem Täufling an der Spitze tragen sie silberne Becher mit Wasser in die Kirche und füllen damit das Taufbecken. Danach geht es zurück ins Haus des Täuflings zu Butterkuchen und gekochtem Rotwein. Später wird gemeinsam gespielt. 

Jedes Neujahr, dem „Wenskedai“, treffen sich vormittags die Kinder und nachmittags die Männer und die unverheirateten Frauen, um den verheirateten Inselbewohnerinnen ihre Aufwartung zu machen und mit einem alten helgoländischen Segensspruch ein glückliches Neues Jahr zu wünschen.

Friedhof der Namenlosen

Zehn Minuten Fahrt mit dem Motorschiff von der Hauptinsel entfernt liegt die Düne, Helgolands Naturschutzgebiet. Ein paar bunte Ferienhäuser erinnern an Astrid Lindgrens Bullerbü. Man sieht Schlafstrandkörbe, einen winzigen Flugplatz und lange Strände, wo sich Robben und Seehunde im Sand aalen. Ein Naturlehrpfad führt zu einem ganz besonderen Kleinod: dem „Friedhof der Namenlosen“. 

Der Blick schweift über die Gedenksteine und schlichten Holzkreuze hinaus aufs offene Meer. Die Friedhofsglocke darf jeder läuten – aber nur ein einziges Mal. Nach der Freigabe Helgolands durch England gelangte die Glocke 1952 auf die Insel zurück. Seitdem ehrt sie die auf dem Meer verstorbenen Unbekannten. Vermutungen legen nahe, dass der Friedhof im 19. Jahrhundert für aus der See angespülte anonyme Tote angelegt wurde. 

Der Zauber von Helgoland lässt sich nur unvollständig in Worte fassen. Ist es die reine Luft, das saubere Meer, der 61 Meter hohe Sandsteinfelsen mit seiner Langen Anna oder sind es die an das Kliff peitschenden Wellen, die die Insel so besonders machen? Jeder Besucher wird eine andere Geschichte erzählen können. Gemein wird allen Erzählungen sein, dass keine andere Insel mit Helgoland vergleichbar ist. 

Sabine Ludwig

03.09.2020 - Deutschland , Glaube , Urlaub