Der 3. Dezember ist der Internationale Tag der Menschen mit Behinderungen. Auf UN-Initiative wurde er erstmals 1993 begangen – und ist notwendiger denn je: Noch immer werden Menschen mit Behinderung ausgegrenzt. Stigmatisierung erleben auch die Angehörigen, sagt Elisabeth Strätling-Busch, Leiterin der katholischen Kita Christkönig in Augsburg. Im Interview sprechen sie und ihre Kollegin Gabriella Gloning, Fachkraft für Inklusion, aus eigener Erfahrung über die Herausforderungen von Müttern „besonderer“ Kinder und warum man Inklusion von Anfang an fördern muss.
Frau Strätling-Busch, Frau Gloning, in der Kita Christkönig werden eine Reihe von Kindern mit Behinderung betreut – in einer Integrationsgruppe, aber auch einzeln in den Regelgruppen. Was sind die Unterschiede?
Gloning: In einer Integrationsgruppe sorgen speziell geschulte Mitarbeiterinnen dafür, dass jedes Kind nach seinen speziellen Bedürfnissen gefördert und gefordert wird, dabei aber dennoch ein Miteinander herrscht. Die Kinder helfen sich gegenseitig und lernen so Werte wie Toleranz, Akzeptanz und Rücksichtnahme. Berührungsängste werden gut abgebaut. Wir arbeiten intensiver mit den Therapeuten und Eltern zusammen, wöchentlich finden Integrationsgespräche statt.
Strätling-Busch: Die Integrationsgruppe ist kleiner als eine Regelgruppe und die Rahmenbedingungen sind besser. Die Gruppe hat 15 Kinder. Zehn davon sind sogenannte Regelkinder, fünf Kinder haben einen besonderen Förderbedarf. Bei uns in der Kita arbeiten zwei Fachkräfte für Inklusion, die eine Grundausbildung als Erzieherin oder Kinderpflegerin haben, zudem eine Berufspraktikantin sowie zwei Individualbegleitungen.
Für verschiedene Therapien braucht es verschiedene Räume. Wir haben hierfür einen ausgefeilten Raumplan erstellt. Bei uns sind derzeit glücklicherweise alle Stellen besetzt. In vielen anderen Einrichtungen fehlt nicht nur generell Personal, sondern vor allem speziell qualifiziertes Personal. Neben der Integrationsgruppe gibt es auch in fast allen anderen der neun Gruppen die sogenannte Einzelintegration. Das heißt, die Gruppen sind jeweils kleiner – etwa 23 statt 25 Kinder. Dafür ist ein Kind mit besonderen Bedürfnissen darunter. Es erhält ebenso wie in der Integrationsgruppe alle notwendigen Therapien sowie eine Frühförderung. Wir kooperieren hier mit der Augsburger Kinderklinik Josefinum.
Im Bildungssystem waren für Kinder mit Behinderung lange Zeit „Förderschulen“ vorgesehen. Mittlerweile stehen diese in der Kritik und man setzt häufig pauschal auf eine Integration in reguläre Klassen. Inwiefern ist das Ihrer Meinung nach der richtige Weg – oder vielleicht in dieser Pauschalität der falsche?
Gloning: Kinder mit oder ohne Behinderung haben das Recht, gemeinsam lernen zu dürfen. Die Schulen kommen bei der Inklusion nur langsam voran, die Lehrer wirken oft überfordert oder haben Angst. Jedes Kind hat dennoch das Recht auf Bildung, daher dürfen Kinder mit einer körperlichen oder geistigen Beeinträchtigung aus einer Regelschule nicht ausgeschlossen werden. Wie im Kindergarten sollten Kinder auch hier gemeinsam lernen, sich gegenseitig unterstützen und helfen. Ob für ein Kind mit Behinderung der Besuch einer Regelschule richtig ist, hängt von der individuellen Behinderung ab. Manche Kinder schaffen die Regelschule allein oder in Begleitung eines individuellen Helfers. Andere gehen auf Schulen mit besonderen Förderschwerpunkten, weil sie dort eine bessere Betreuung für ihre Auffälligkeiten erhalten. Diese Kinder verlassen die Schulen meist ohne Abschluss und Berufsperspektiven.
Ich bin selbst betroffene Mama. Mein Sohn, inzwischen ein junger Mann, ist mit einer körperlichen Behinderung auf die Welt gekommen. Er sitzt im Rollstuhl. Als Kindergartenkind war er in einer Einrichtung für körperbehinderte Kinder. Danach wechselte er auf eine Förderschule – wo man schnell gemerkt hat, dass er geistig sehr fit ist. Schon nach einem halben Jahr konnte er auf eine normale Regelschule wechseln. In den ersten zwei Jahren hatte er eine individuelle Begleitung, die ihm im Alltag geholfen und ihn pflegerisch versorgt hat. Nach zwei Jahren war mein Sohn in der Lage, die Schule allein weiter zu besuchen. Es folgte die Realschule, danach hat er Fachabitur gemacht und den Beruf Bauzeichner gelernt. Er hat inzwischen auch den Führerschein erworben. Trotz Handicap fährt er Auto. Vor einem Jahr ist er zu Hause ausgezogen und lebt nun ein ganz normales Leben. Für ihn war dieser Weg richtig. Ich möchte andere betroffene Eltern ermutigen, auch diesen Weg zu gehen. Viele haben Angst, ihr Kind loszulassen und ihm einen normalen Weg ins Leben „zuzumuten“.
Strätling-Busch: Für meine Kinder führte der Bildungsweg durch eine Förderschule und zu besonderen Arbeitsplätzen. Wichtig ist, dass es sowohl in der Kita als auch in der Schule darum geht, zu verstehen, was das Kind braucht – nicht seine Eltern! Es sollten immer verschiedene alternative Möglichkeiten für die Kinder bestehen und die Bildungssysteme sollten unbedingt durchlässig sein.
Ein Kind eines Mitarbeiters ist in einer schulvorbereitenden Einrichtung gestartet, war dann zwei Jahre auf einer speziellen Förderschule, dann die 3. und 4. Klasse in der Regelschule. Heute besucht es die 11. Klasse eines Gymnasiums. Solche Entwicklungen sind nicht die Regel, aber möglich. Es gibt aber auch Kinder, für die die große Gruppe in einer Kita oder in einem Klassenverband eine schwierige Situation darstellt, etwa wegen zu vieler Reize oder Lärm. Für diese Kinder kann eine Heilpädagogische Tagesstätte oder eine spezielle Förderschule das Richtige sein. Dass muss individuell abgewogen werden. Ich kenne eine Familie, wo ein Kind trotz großer Bedenken in einer Regelschule eingeschult wurde. Erst nach einigen Zwischenstationen besuchte das Kind eine Förderschule. Es fühlte sich bis dahin wie ein Versager, was nicht nur für die schulische Entwicklung problematisch ist, sondern besonders auch für die persönliche seelische Entwicklung. Eltern können leider oft nicht aus dem „Topf der Möglichkeiten“ schöpfen, da es häufig keine Alternativen gibt. Der Einsatz von Inklusionshelfern in Kitas und Schulen ist da sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung.
Man merkt, dass Ihnen als betroffene Mütter das Thema Inklusion am Herzen liegt. Woher nimmt man die Kraft, sich neben dem Leben mit den eigenen Kindern mit Behinderung auch noch für eine gelingende Inklusion solcher Kinder im Berufsleben einzusetzen?