Exklusiv-Interview

Der Schutz des ungeborenen Lebens hat „oberste Priorität“

Während die EU-Parlamentarier von SPD, Grünen und Linken dem Matić-Bericht geschlossen zugestimmt haben, lehnen ihn CDU/CSU und AfD ab. Im Exklusiv-Interview erklärt der Augsburger Europa-Abgeordnete Markus Ferber (CSU), warum er die Resolution nicht unterstützen konnte. „Abtreibung ist für mich kein Menschenrecht“, macht er deutlich.

Herr Ferber, selbst Kritiker würdigen Teile des Matić-Berichts als unterstützenswert. Wie haben Sie abgestimmt – und warum?

Ich habe gegen den Matić-Bericht gestimmt. Allein schon deswegen, weil die Europäische Union keine Kompetenz hat, im Bereich Gesundheit gesetzgeberisch tätig zu werden. Aus gutem Grund gibt es Themen, über die auf europäischer Ebene bestimmt wird, und Themen, über die auf nationaler Ebene bestimmt wird. Diese Kompetenz­frage ist kein juristisches Detail, sie ist wesentlich für unser Zusammenleben in Europa. 

Schließlich habe ich auch gegen den Bericht gestimmt, weil ich die Forderungen nicht unterstütze: Abtreibung ist für mich kein Menschenrecht und auch die Freiheit der Ärztinnen und Ärzte sowie des Pflegepersonals, bei ihrer Arbeit ihrem Gewissen zu folgen, darf nicht eingeschränkt werden.

Hat Sie die sehr deutliche Zustimmung im Europaparlament überrascht?

Mit 378 Ja-Stimmen, 255 Nein-Stimmen und 42 Enthaltungen ist das Ergebnis für eine Stellungnahme des Parlaments, also einen Bericht, der keine Gesetzes­änderungen bringt, sondern lediglich eine Position festlegt, alles andere als herausragend. Dennoch gab es eine Mehrheit, die ich bedaure.

Vor Jahren ist der inhaltlich ähnliche Estrela-Bericht im EU-Parlament noch gescheitert. Matić dagegen war erfolgreich. Wie erklären Sie sich das? Was ist heute anders – auch im Vergleich der beiden Berichte?

Gegenüber dem Estrela-Bericht 2013 geht Matić sogar noch weiter in seinen Forderungen. Das Parlament ist im Vergleich zur letzten Legislaturperiode an beiden Extremen gewachsen: links und rechts der Mitte. Das spiegelt sich in dieser Abstimmung.

Welche direkten und indirekten Folgen hat das Votum für Deutschland und Europa?

Unmittelbare rechtliche Folgen wird der Bericht nicht mit sich führen. Er ist als Abbild der Stimmung im Europäischen Parlament zu werten. Wer sich das Abstimmungsergebnis aus deutscher Perspektive ansieht, sieht CDU und CSU geschlossen in Ablehnung, Grüne und Sozialdemokraten geschlossen in Annahme des Berichts. 

Ich hatte die Gelegenheit, mit vielen Bürgern aus meinem Wahlkreis zu sprechen, die mich in meiner Position für den Schutz des ungeborenen Lebens bestärkt haben. Ich denke, der Bericht hat einerseits gezeigt, dass es viele Unterstützer sehr weitgehender Forderungen zum Thema Abtreibung gibt, aber andererseits auch, dass eine starke Unterstützung für den Schutz des ungeborenen Lebens da ist.

Auch in Medien und Öffentlichkeit in Deutschland wird die Abtreibung immer mehr in Richtung eines angeblichen Menschenrechts gerückt. Wie kommt das und wie könnte man gegensteuern?

Abtreibung ist ein sehr emotionales Thema und das macht die sachliche Debatte schwierig. Doch gerade mehr Sachlichkeit würde uns voranbringen. Klare Fakten zur Rechtslage, klare Fakten zu medizinischen Fragen sowie ein nüchterner Blick auf die Praxis in unserem Land: Wer treibt ab und aus welchem Grund? Wo sich eine Gegnerschaft zwischen zwei Meinungen entwickelt, kommen wir nicht weiter. Es ist schwierig, als Gesellschaft gemeinsam über moralische Fragen zu entscheiden.Der erste Schritt ist ein Bemühen um Verständnis für den Anderen und Dialog.

Das Votum pro Matić richtet sich nicht nur klar gegen das ungeborene Leben, sondern greift auch anmaßend in nationale Kompetenzen ein – Sie haben selbst darauf hingewiesen. Lässt sich da noch von der EU als einer Wertegemeinschaft sprechen?

Leider ist es im Europäischen Parlament zur Unsitte geworden, sich zu allen Themen zu äußern, egal ob sie in nationaler oder europäischer Zuständigkeit liegen. Als überzeugter Europäer sage ich: Wir müssen uns darauf beschränken, das zu machen, was wir besser auf europäischer Ebene lösen können. Alles andere sollte uns auch in der Diskussion und in Stellungnahmen des Europäischen Parlaments nicht beschäftigen.

Sollte sich Europa den Schutz des menschlichen Lebens mehr auf seine Fahnen schreiben?

Ich bin der Meinung, dass wir konsistent bleiben müssen: Themen nationaler Kompetenz sollen national debattiert und entschieden werden, egal welcher Standpunkt vertreten wird. Doch unabhängig davon ist das Recht auf Leben ein universeller, urchristlicher Wert, für den wir alle eintreten müssen. Eine christliche Gesellschaft muss dem Schutz des ungeborenen Lebens oberste Priorität geben.

Interview: Thorsten Fels

29.06.2021 - Abtreibung , Europa , Politik