Wenn Islamisten Hände schütteln

Interview mit Politologin: Die Zeit des Lächelns

Friedliche Religion oder radikale politische Ordnung? Der Islam und die Auslegung des Korans sind umstritten. Scharfe Kritik am politischen Islam kommt ausgerechnet von einer gläubigen Muslima: Elham Manea, Politologin an der Uni Zürich, hält auch den gewaltlosen Islamismus für ein Pro­blem, das unbedingt bekämpft werden muss. Unsere Zeitung möchte mit dem Exklusivinterview zur Antwort auf die Frage beitragen, inwieweit der Islam zu Deutschland gehört.

Frau Manea, ist der Islam eine Religion des Friedens?

Wie andere Religionen hat auch der Islam eine friedliche und eine gewalttätige Seite. Die beiden Seiten zeigen sich im Leben des Propheten und in Koranversen. Die islamistische Ideologie, die auf einer fundamentalistischen Lesart des Islams basiert, betont die gewalttägige Seite.  

Sie sagen: Der dschihadistische Terror töte zwar, die größere Gefahr aber sei der gewaltlose Islamismus. Warum?

Ich sehe den Islamismus als Spektrum, in dem die gewaltbereite Form den äußersten Rand besetzt. Junge Männer wachen nicht einfach eines Morgens auf und beschließen, sich in die Luft zu jagen und eine Gräueltat zu begehen. Sie wurden in einem Prozess indoktriniert, der sie zu einer Weltsicht und einem Narrativ der Opferrolle sozialisiert und sie zu der Überzeugung bringt, was sie da tun, sei ein Akt der Verteidigung – und damit legitim. 

Nicht alle, die dieser Ideologie anhängen, begehen terroristische Taten. Das tun nur ganz wenige. Doch ich argumentiere: Sich auf die Gewalt allein zu fokussieren, reicht nicht aus. Unsere erste Priorität sollte deren ideologische und religiöse Wurzeln sein sowie die Personen, die diese Formen bewerben. Gewaltloser Islamismus ist nicht nur eine totalitäre politische Ideologie mit einem starken Herrschaftsanspruch. Auch die religiöse Interpretation legitimiert diese Herrschaft und sanktioniert ihre Ausübung. 

Kritiker meinen, der politische Islam tarne sich in einer nichtmuslimischen Umgebung als friedlich, bis er Macht und Einfluss habe. Ist da was dran?

Wer nicht liest, was die Anführer dieser Bewegung schreiben, kann leicht sagen, sie wären „gemäßigt“ oder einfach nur konservative Fromme, die ihre Religion ernst nehmen. Dabei haben wir es mit einer rechtsextremen religiösen Bewegung zu tun. Während die Muslimbrüder lächelnd Hände schütteln und sich in den westlichen Demokratien in der Integrationsförderung und im interreligiösen Dialog einbringen, ist die Botschaft ihrer Theoretiker ganz klar: Es gibt Zeiten der Bündnisse mit den „Ungläubigen“ und Zeiten für Konfrontation und Krieg. 

Momentan ist Zeit für das Lächeln und für die Dawa, die Missio­nierung. Oder in den Worten von Scheich Yusuf al-Qaradawi, einer bekannten spirituellen Leitfigur der Muslimbruderschaft: „Ich erwarte, dass der Islam Europa erobern wird, ohne zum Schwert oder zum Kampf greifen zu müssen – mittels Dawa und durch die Ideologie.“

Der ausländische Einfluss auf Moscheegemeinden in Europa ist groß. Ditib-Moscheen etwa unterstehen letztlich dem türkischen Staat. Daneben gibt es wahhabitisch-salafistische Gemeinden, die durch Saudi-Arabien finanziert werden. 

Die unkontrollierte und intransparente Finanzierung durch ausländische Gelbgeber, die den fundamentalistischen Islam propagieren und exportieren, hat negative Konsequenzen. Ditib-Moscheen sind ganz auf der Linie des türkischen Staats. Vor 20 Jahren mag das unproblematisch gewesen sein, weil die Türkei damals säkular war und eine moderate Lesart des Islams gefördert hat. Seit der Machtübernahme von Erdoğan wird eine islamistische Politik verbreitet. 

Bleiben wir bei Moscheeverbänden wie Ditib. Was halten Sie von Veranstaltungen wie der Deutschen Islamkonferenz, die diese Verbände einbindet?

Der Politikwissenschaftler Bassam Tibi hat recht: Er sagte kürzlich, dass die an der Islamkonferenz zugelassenen Verbände sich der Integration verweigern oder sie gar hintertreiben.

Islam und Demokratie: Kann das überhaupt funktionieren?

Natürlich, aber dafür müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Es braucht die Trennung von Reli­gion und Staat, und Religion muss auf die Privatsphäre der Individuen beschränkt sein. Probleme entstehen, wenn Religion die politische und soziale Ordnung bestimmen will.

Sie gehören zu den Initiatoren der liberalen Berliner Ibn-Rushd-Goe­the-Moschee. Wie unterscheidet sich die Koran-Auslegung der neuen Moscheegemeinde von jener der etablierten Islam-Verbände?

Die angestammten Moscheen, wie sie in vielen islamischen Gesellschaften betrieben und von muslimischen Gemeinschaften in euro­päischen Ländern dupliziert wurden, spiegeln die traditionelle Ordnung, konkret die Rolle der Frauen in der Gesellschaft, wider. Eine Moschee, in der man nur Männer beten sieht, ist Spiegel einer patriarchalischen Gesellschaft, in der die Männer die Kontrolle über den öffentlichen Raum haben. 

Die Berliner Ibn-Rushd-Goe­the-Moschee ist Teil einer muslimischen Reformbewegung, die inklusive Gotteshäuser möchte: Sie will einen umfassenden Raum bieten, in dem alle Menschen in ihrer Vielfalt und in ihrer Vielfältigkeit, was den Glauben, die unterschiedlichen Strömungen, die Meinungen und sexuellen Orientierungen betrifft, willkommen sind.

Werden Sie angesichts Ihres Engagements bedroht?

Ja, vor allem im arabischen Raum. In der Schweiz musste ich glücklicherweise noch nie Angst um mein Leben haben. 

Der radikale Islamismus ist selbst im Nahen Osten eine relativ junge Entwicklung. Noch vor wenigen Jahrzehnten waren Staaten wie Ägypten oder Syrien säkular geprägt. Kopftücher oder gar eine weitergehende Verschleierung waren kaum verbreitet. Wie kam es zu der konservativ-religiösen Wende?

Arabische und islamische Staaten und Staatschefs, die ihren Machterhalt im Kopf haben, trugen maßgeblich dazu bei, die Ideologie des Extremismus zum Mainstream zu machen. Für skrupellose arabisch-islamische Machthaber ohne Legitimierung ist die Karte des Islamismus oder des Islams zum Mittel der Wahl geworden, um dieses Manko zu kompensieren.

Seit den 1950er Jahren unterteilten sich Nahost und Nordafrika in zwei Lager. Das erste unter der Führung Ägyptens stand für einen linken panarabischen Nationalismus, das zweite trat unter Führung Saudi-Arabiens für einen Panislamismus ein und befürwortete zugleich eher westlich orientierte, wenn auch sehr konservative Herrschaftsformen. 

Saudi-Arabien und die Golfstaaten nutzten die wahhabitische Islam­auslegung und die Ideologie der Muslimbrüder als wichtiges In­strument zur Bekämpfung des linken Panarabismus, der ihre Monarchien bedrohte. Mit Hilfe ihres Ölreichtums verbreiteten sie den Wahhabismus zunächst in der arabischen Re­gion und dann weltweit.

Auch einige halblaizistische arabische Staaten spielten die Karte des Islams. Als erster bediente sich in den 1970er Jahren der ägyptische Präsident Anwar al-Sadat des Islamismus, und zwar gegen seine linken Opponenten: Er entließ führende Muslimbrüder aus dem Gefängnis und gab ihnen freie Hand, sich in den Sektoren Bildung, Religion und Medien mit ihrer islamistischen Botschaft breitzumachen. Dabei arbeitete er Hand in Hand mit den Golfmonarchien. Es folgten die politischen Eliten in Pakistan.

Ausgerechnet autoritäre Staats­chefs wie Assad in Syrien oder al-Sisi in Ägypten können sich als Verteidiger des westlichen Säkularismus gegen den Islamismus darstellen. Sind sie für den Westen wirklich bessere Verbündete als die radikalislamischen Golfstaaten?

Nein. Sie machen sich die Ängste der eigenen Bevölkerung und des Westens vor dem Extremismus zunutze, indem sie vorgeben, diesen Extremismus zu bekämpfen, ihn aber gleichzeitig fördern. Al-Sisi zum Beispiel ist eine Allianz mit der radikalfundamentalistischen Salafistenbewegung eingegangen, um die ihm verhassten Muslimbrüder zu bekämpfen, welche mit dem ägyptischen Staat im wörtlichen Sinne auf Kriegsfuß stehen. Damit aber macht er den Bock zum Gärtner, denn auch die Salafisten stehen für eine islamistische Politik und Gesellschaftsordnung.

Zurück nach Deutschland und Europa: Hier wird heftig über das islamische Kopftuch und die Verschleierung gestritten. Wie stehen Sie zum Kopftuch?

Für mich ist die Kopftuchfrage letztlich politisch. Es ist ein Kern des islamistischen Projekts. Damit markieren die Islamisten Präsenz. Ein Bespiel: Zu Beginn der 1970er Jahre besuchte ein ranghoher Vertreter der Muslimbruderschaft die medizinische Fakultät der Universität Kairo und sah, dass nur ganz wenige Studentinnen ihr Haar bedeckt hatten. 

Die Muslimbrüder schlossen einen Deal mit einer Textilfabrik. Sie bekam den Auftrag, preisgünstige Kopftücher zu produzieren. Dazu druckte die Muslimbruderschaft Broschüren, in denen zu lesen war, was passiert, wenn sich eine Frau nicht verhüllt: Sie würde den Zorn Gottes auf sich ziehen, da ihr Körper Quelle aller Sünden sei. Im Koran ist nie von einem weiblichen Dresscode die Rede. Doch schafften es die Islamisten, Frauen religiöse Schuldgefühle einzuimpfen. Fünf Jahre später war ein Drittel aller Studentinnen verhüllt.

Was die Diskussion so kompliziert macht, ist die Tatsache, dass es viele Gründe gibt, weshalb Frauen sich verhüllen. Ich kenne Frauen in Ägypten, die sich das Geld für den Friseur sparen wollen. Andere verstehen den Schleier als Ausdruck ihrer religiösen Identität. Wiederum andere tragen ihn als politischen Protest. 

Ein Großteil der Frauen und Mädchen steht unter Druck, sich zu verhüllen. Manchen wird mit der Hölle gedroht, sollten sie sich dem Kopftuch verweigern. Viele dieser Mädchen leiden deshalb stumm. Teilweise existiert auch ein Gruppendruck an Schulen. Den jungen Frauen wird suggeriert, sie würden unverhüllt keinen Mann finden oder als unehrenhaft gelten. Deshalb bin ich für ein Kopftuchverbot an Kindergärten und Schulen bis zur Mündigkeit. Schulen sollen sichere und neutrale Zonen sein. 

Ist eine weitergehende Verbreitung der Scharia in Deutschland und Europa denkbar? Ist die Scharia in bestimmten Kreisen hierzulande vielleicht sogar schon Realität?

Die Scharia ist in Europa bereits teilweise Realität. Eine falsch verstandene Toleranz und Politik des Multikulturalismus haben in Großbritannien dazu geführt, dass die Regierung Scharia-Räte für die Regelung von Familienangelegenheiten offiziell zugelassen hat – mit verheerenden Konsequenzen für Frauen und Kinder. Zudem befürchte ich, dass in geschlossenen Parallelgesellschaften, wo sich der islamische Fundamentalismus etablieren konnte, informelle Scharia-Strukturen existieren. 

Was müssen Politik und auch Medien tun, um die freiheitlich-demokratische Grundordnung gegen den politischen Islamismus zu verteidigen?

Würden wir nur einen Augenblick zögern, faschistische oder rassistische Gruppierungen zu verurteilen? Nein. Dann also bitte: Verurteilen und bekämpfen wir auch rechtsextreme muslimische Gruppierungen! Denn genau das sind Islamisten. Konkret erforderlich sind schmerzhafte Maßnahmen: Wir brauchen eine Zerlegung der Strukturen und des Systems, welche die Ideologie und radikalisierte Islam-Lesart verbreitet hat. 

Wir brauchen eine Integrationspolitik, die tatsächlich zur Integra­tion führt – und nicht zur Segrega­tion. Wir brauchen Klarheit über das Verhältnis zwischen Staat und Religion. Und wir brauchen eine Politik, die Migranten muslimischen Glaubens als Bürger behandelt und nicht als Religionsgemeinschaft. Vor allem aber können wir eine religiös verklärte Ideologie und religiösen Fundamentalismus nicht bekämpfen, indem man exakt mit den Gruppen zusammenarbeitet, die diese Ideologie und diese Lesart der Religion vertreten. 

Bei jeder Handlung gegen den politischen Islam besteht die Gefahr, dass sie in die rechte Ecke gerückt wird. Für manchen Politiker ist das Grund genug, besser nichts zu tun. Wie sehen Sie das?

Ich sage es noch einmal: Der Islamismus ist selbst eine zutiefst rechtsextreme Ideologie. Das Ausbleiben einer ernsthaften und entschlossenen politischen Reaktion gibt aber tatsächlich dem Rechtspopulismus Auftrieb. Hans-Magnus Enzensberger hat schon 2006 vorausgesagt, dass die Taktiken der Verharmlosung und Beschwichtigung die Konflikte verschärfen und den Aufstieg des Rechtspopulismus und die Eskalation der Gewalt begünstigen. Es ist tragisch, dass diese Erkenntnis in breiten politischen Kreisen noch immer nicht angekommen ist.

Interview: Thorsten Fels