Umfrage unter Persönlichkeiten aus dem religiösen Leben

Lauter Torjubel in stiller Zeit

Halt, es ist kein Druckfehler! In diesem Jahr findet die Fußball-WM tatsächlich in der Adventzeit statt. Das gab es noch nie; aber seitdem dieses Großereignis nach Katar vergeben wurde, gibt es viele Anhänger des runden Leders, die sich nicht mehr für das Geschehen auf dem grünen Rasen interessieren. Zu viele negative Schlagzeilen abseits der Szene haben die Menschen erreicht, und man könnte dieser Abhandlung, die eine Umfrage darstellt, auch den Titel „Kommerz schlägt Leidenschaft“ verleihen. Die Katholische SonntagsZeitung und Neue Bildpost haben sich bei Persönlichkeiten aus dem religiösen Leben umgehört und sich schlau gemacht, wie diese zur Fußball-WM stehen, wer Weltmeister wird und wohin das führen wird, wenn finanzielle Interessen höher als sportliche zu bewerten sind.

Der Passauer Bischof Stefan Oster wird die WM von den Ergebnissen her und natürlich auch, wie sich die deutsche Mannschaft schlagen wird, verfolgen. Ob er sich ganze Begegnungen anschaut, weiß er noch nicht. Das kann sein, wenn er bei seinem Vater, der es liebt, wenn er ihn zum Fußballschauen besucht, zu Gast ist. Oster tippt auf Titelverteidiger Frankreich und gibt auch der DFB-Auswahl gute Chancen, wenn sie gut ins Turnier startet. Angesichts der Menschenrechtslage, der klimatischen Verhältnisse und der Tatsache, dass Katar nie als Fußballnation in Erscheinung getreten ist, findet er es als Austragungsland absurd. Das tiefergreifende Problem ist für den Passauer Oberhirten die dramatische Kommerzialisierung des Sports, der so viele Bereiche korrumpiert, wie eben auch die FIFA, die die Vergabe der WM an Katar beschlossen hat. So viele Gründe außer Geld gibt es nicht.

Sandra Bubendorfer-Licht sitzt als kirchen-religionspolitische Sprecherin für die FDP im Deutschen Bundestag. Sie wünscht sich sportlich natürlich, dass Deutschland Weltmeister wird. Dennoch wird sie spontan entscheiden, ob sie Spiele der DFB-Elf schauen wird. Die Vergabe nach Katar war für sie ein großer Fehler. Des Weiteren müssten in ihren Augen solche Vergaben zukünftig an die Einhaltung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte sowie Nachhaltigkeit geknüpft werden.

Margot Käßmann, eine renommierte evangelisch-lutherische Theologin, war unter anderem in den Jahren 1999 bis 2010 Landesbischöfin der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover. Sie selbst behauptet von sich, kein großer Fußballfan zu sein. Trotzdem verfolgte sie in der Vergangenheit das eine oder andere Spiel, wenn die deutsche Nationalmannschaft in der Vorschlussrunde oder im Finale einer WM war. Dieses Mal spielen all die toten Arbeiter, die Unterdrückung der Frauen und die Homophobie in Katar mit. Diese dunkle Seite des Sports kann ihrer Meinung nach kein Torjubel überdecken.

Der als Erfolgsautor und Referent bekannte Benediktinerpater Anselm Grün spricht davon, dass er früher einmal ein Fußballfan war. In diesem Jahr wird er kein Spiel anschauen. So bezeichnet er die Austragung der diesjährigen Fußball-WM in Katar, als Skandal. Ferner erkennt er, dass das Geld offensichtlich wichtiger als die Menschenrechte ist. Nichtsdestotrotz kann er sich vorstellen, dass am Ende die brasilianische Seleção die begehrte Trophäe in die Höhe stemmen kann.

Ernest Theußl, der Vorsitzende der Katholischen Männerbewegung Österreichs, verfolgt die Weltmeisterschaften seit seiner Studienzeit mit großem Interesse. Er sieht in ihnen ein völkerverbindendes Element auf dieser Erde, und über nicht wenige Länder hatte er sich erst über das Turnier näher informiert. Wer Weltmeister wird, heißt Kaffeesudlesen; wahrscheinlich wird es für ihn der Beste. Zudem hat der Weltfußball in den Augen Theußls leider die Höhe des Turms von Babylon erreicht; seine Stützen sind Protz und Geld. Dass das Ganze noch dazu in einem keineswegs fußballaffinen Land über die Bühne geht, vermiest dem Befragten heuer das Zusehen beträchtlich.

Die Schweizerin Jacqueline Straub ist katholische Theologin, Journalistin und Buchautorin. Auf die Fußball-WM im Emirat Katar und ihr fußballerisches Interesse angesprochen, meint sie, dass sie kein großer Anhänger des runden Leders sei. Doch bei früheren Welt- und Europameisterschaften hat sie sich einige Spiele angeschaut. Da die diesjährige Fußball-WM in der Adventszeit nichts zu suchen hat, wird der Fernseher diesmal aber nicht eingeschaltet. Mehr noch: Sie kann über die große Zahl der Opfer, die bei der Sklavenarbeit am Bau der Stadien in Katar starben, nicht hinwegsehen. Sie verweist auf Recherchen der britischen Zeitung "The Guardian", die mehr als 6.500 migrierte Arbeiter zählte.

Professor Christoph Asmuth, Rektor der Augustana-Hochschule Neuendettelsau, berichtet, dass er seit seinen Kindertagen Fußballfan sei. Diese Fußball-WM ist in seinen Augen politisch, ökologisch und was die Menschenrechte betrifft, ein fatales Signal. Er versteht natürlich, dass es da um viel Geld geht und es natürlich viel zu einfach ist, auf einzelne Personen einzudreschen, die an der Entscheidungsfindung beteiligt waren ­– und vielleicht sogar durch teure Geschenke davon profitiert haben. Und es ist auch klar, dass die Spieler nichts dafür können. Die waren ja teils noch gar nicht im Geschäft als die Entscheidung viel. Man würde auch zu viel von ihnen verlangen, wenn man ihnen einen Boykott aus politischen Gründen anmutete. Und der DFB ist zwar der größte und mächtigste Verband der Welt, aber er ist Teil eines völlig auf Profit zugeschnittenen Systems. Er fügt sich schon jetzt bei der Frage nach den Farben der Kapitänsbinde. So hat sich Asmuth vorgenommen, diesmal nicht vorm Fernseher zu sitzen! 

Peter Stuefer steht dem Kloster Muri-Gries in der Südtiroler Landeshauptstadt Bozen als Prior vor. Um ein Urteil zu fällen, verfügt er nach eigener Meinung nach zu wenig Kompetenz. Er weiß aber, dass Veranstaltungen solchen Ausmaßes Nährboden für extrem lukrative Geschäfte, wo Korruption, Ungerechtigkeit und moderne Sklaverei an der Tagesordnung stehen, sind. Die Zahlen bleiben Spekulationen und für Außenstehende kaum durchschaubar. Der Sport selbst ist in seinem spielerischen Charakter gesund und gemeinschaftsfördernd. Demzufolge gewinnt er Großereignissen durchaus etwas Positives ab. Dennoch ist das, was als Spiel gedacht war und dem Menschen guttun sollte, vielfach zum Kampf und zur Schlacht geworden. Ferner würde er es begrüßen, dass man anstatt dem TV-Konsum besser mit der Familie und den Nachbarn spielt.

Sascha-Philipp Geißler, Generalvikar im Erzbistum Hamburg erzählt, dass er nur „hin und wieder“ Fußballfan sei. Dennoch interessieren Weltmeisterschaften, zumal es für ihn besondere Anlässe seien. Hinsichtlich der Fußball-WM hat er gemischte Gefühle. Damit verbindet er Themen wie Menschenrechte oder Ausbeutung von Arbeitsmigranten. Er stellt sich (und den Menschen) die Frage, ob das etwas Neues darstellt. Er findet auch, dass es mehr als einen WM-Boykott braucht und dass nachhaltiges Handeln aller nötig ist.

Umfrage: Andreas Raffeiner

18.11.2022 - Ethik , Fußball , Umfrage