Märtyrer-Priester Otto Neururer

„Eine Lichtgestalt des Glaubens“

An diesem Samstag jährt sich der Märtyrertod des Tiroler Pfarrers Otto Neururer zum 80. Mal. Er wurde wegen verbotener Ausübung seines Priesteramts im KZ Buchenwald ermordet. Im Exklusiv-Interview spricht der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler über den Märtyrer und seine Seligsprechung, bleibende Werte und die Wichtigkeit von Zivilcourage auch heute.

Herr Bischof, wie begeht die Diö-zese Innsbruck den 80. Todestag ihres seligen Diözesanpriesters Otto Neururer?

Hauptsächlich mit Wallfahrten und Gedenkgottesdiensten, soweit dies aufgrund der Corona-Maßnahmen möglich ist – unter anderem in Piller, wo Otto Neururer am 25. März 1882 geboren wurde, und in Götzens, seinem letzten Dienst-ort, an dem im Juni 1940 seine Aschenurne unter großer Teilnahme der Bevölkerung beigesetzt wurde. Der erfolgreiche Kinofilm „Hoffnungsvolle Finsternis“, in dem unter anderem Ottfried Fischer und Karl Merkatz mitspielen, unterstützt das wichtige Gedenken.

Wer war Otto Neururer?

Eine Lichtgestalt des Glaubens, der Hoffnung und des Mutes in einer der dunkelsten Zeiten unserer Geschichte. Er war der erste österreichische Priester, der von den Nationalsozialisten ermordet wurde – im KZ Buchenwald, auf eine Weise, die an Bestialität kaum zu überbieten ist.

Was hat er in den Augen der NS-Machthaber verbrochen, um im KZ zu landen?

Sein entschiedenes Auftreten gegen die totalitäre Ideologie – bereits 1932 sprach er von einer „Irrlehre“ – missfiel den Nazis wohl schon lange. Anlass zur Verhaftung 1938 gab schließlich, dass er einer jungen Frau von der Ehe mit einem aus der Kirche ausgetretenen, wesentlich älteren und geschiedenen SA-Mann abriet. Als Neururer in Buchenwald einem Mithäftling verbotenerweise zur Konversion und Taufe verhalf, besiegelte er damit sein Todesurteil.

1996 wurde Neururer von Papst Johannes Paul II. seliggesprochen. Was bedeutet Ihnen diese Entscheidung?

Die Seligsprechung am Christkönigssonntag hat große heilbringende Wirkung. Wie Neururer seinen Mitgefangenen in der Lagerhaft Trost und Beistand spendete, dürfen auch wir der Hilfe des seligen Otto Neururer gewiss sein. Er bleibt auch ein Mahner gegen Gleichgültigkeit, aufkeimenden Rassismus und bösartiges Denunziantentum, das leider immer mehr bemerkbar wird.

Was von Neururers Denkweise lässt sich in die Gegenwart übertragen?

Otto Neururer war ein Sehender in einer Zeit der Verblendung. Er hat schon sehr früh gefährliche Ideologien erkannt. Ich durfte von meinen Vorgängern im Bischofsamt Neururers Brille übernehmen, die so etwas wie das Markenzeichen des Seligen ist, ein sehr sprechendes Symbol für ihn und seinen Weg. Neururers Augen wurden von seinen Mithäftlingen als gute, helle Augen beschrieben. Der Götzener Pfarrer war streng, hatte aber auch einen gütigen Blick für die Menschen. Für uns bleibt der Auftrag, hinzusehen und aufzustehen gegen Unwahrheiten und Ungerechtigkeiten – und mit einem pfingstlichen Geist aus der Kraft des Glaubens zu leben.

Was ist Neururers wichtigstes Vermächtnis?

Das Lebens- und Glaubenszeugnis Otto Neururers, seine innere Größe, seine Freiheit und sein bedingungsloses Vertrauen auf Gott – selbst im größten Martyrium – lassen uns staunen und richten uns noch nach vielen Jahrzehnten auf. Der Glaube an Gott ist kein Dekor für ein gutes bürgerliches Leben, sondern die entscheidende Grundausrichtung. Gottesfurcht befreit von Menschenfurcht.

Passen seine Ansätze überhaupt in die heutige Gesellschaft?

Natürlich! Gerade in Zeiten der Globalisierung und des Wertepluralismus sind Liebe, Wahrheit und Versöhnung, für die Otto Neururer einstand, Fundamente, die ein Zusammenleben überhaupt erst ermöglichen. Ich persönlich bitte ihn auch, für Familien, Ehen und Beziehungen, die in einer Krise sind oder zu zerbrechen drohen, Fürbitte einzulegen.

Welchen Einfluss haben die Persönlichkeit und das Verhalten Neururers auf Ihr Leben und Wirken als Bischof?

Ich bin schon dadurch beschenkt, dass ich im selben Haus, in dem Otto Neururer knapp 17 Jahre lang als Stadtpfarr-Kooperator und Lehrer wohnte, leben darf. Im Innsbrucker Bischofshaus darf ich seine ehemalige Wohnung benutzen. Ich richte mich innerlich an dieser großen Priestergestalt auf. Besonders wertvoll ist für mich sein Einsatz für das Bußsakrament.

Muss man ein Held sein, um Zivilcourage zu haben?

Nein, aber man muss Mut zur Liebe und zur Hingabe haben. Gerade in Zeiten von Corona ist viel von Helden die Rede – von Dienenden. Zivilcourage beginnt mit kleinen Gesten und Worten des Widerstands, wenn über andere schlecht geredet wird, wenn Sündenböcke gesucht werden oder eine Verdrehung der Wahrheit salonfähig wird. Am Stammtisch braucht es Achtsamkeit und Mut. Mit der Mittelmäßigkeit sollten wir nicht zufrieden sein.

Warum ist es wichtig, sich und seinen Zielen treu zu bleiben?

Ziele stiften Identität, sie geben die Richtung an, wofür es sich lohnt, Zeit und Herzblut zu investieren. Das Evangelium Jesu hat uns als Ziel die Seligpreisungen vorgegeben. Natürlich sind wir alle keine Helden und Heldinnen, aber in der Spur bleiben, immer wieder neu beginnen und der Liebe treu bleiben, die durch Gottes Geist in unsere Herzen ausgegossen wurde, können wir.

Interview: Andreas Raffeiner

29.05.2020 - Bischöfe , NS-Zeit , Österreich