Sie gelten als die ersten Märtyrer, obwohl sie nie getauft wurden. Andere verehren sie als standhafte Glaubenszeugen, obwohl sie von Christus nie gehört hatten. Bis heute ranken sich viele Geschichten um die Opfer des Kindermords von Bethlehem, an die Protestanten und Katholiken am 28. Dezember erinnern. Jener Tag der Unschuldigen Kinder rückt einen Mann in den Mittelpunkt, der jahrhundertelang als Personifikation des Bösen galt.
König Herodes wirkte wie der Massenmörder aus dem Gruselkabinett. 14 000 Knaben habe er ermorden lassen, heißt es bei der griechisch-orthodoxen Kirche, 64 000 bei der syrischen. Mittelalterliche Autoren sprachen gar von weit über 100 000 Opfern. Weil Bethlehem aber keine Großstadt war und zudem nur wenig besiedelt, gehen die Bibelinterpreten der Gegenwart von maximal 50 getöteten Kindern aus.
Immer mehr Wissenschaftler aber vermuten, dass es den biblischen Kindermord gar nicht gegeben hat. Herodes ließ zwar seine zweite Frau ebenso hinrichten wie deren Großvater und drei seiner Söhne. Aber war Herodes überhaupt befugt, den Befehl zum Kindermord zu geben? Zwar war er „König der Juden“, zugleich aber von Rom abhängig. Ein Todesurteil hätte er anordnen können, aber keinen Massenmord, sagen Historiker. Auch seine Biografen erwähnen die Kindstötungen nicht.
Jähzorniger Schreihals
Flavius Josephus, der im ersten Jahrhundert lebende jüdische Historiker, skizzierte Herodes als einen jähzornigen und eitlen Schreihals, der sich noch im Alter die Haare färbte. Drei Eunuchen sollen Herodes als Kellner, Mundschenk und Bettenmacher gedient haben und als Zuträger aller Intrigen, die ihn immer wieder erzürnten.
Giftanschläge gehörten ebenso in seine Lebensgeschichte wie zehn Ehefrauen. Am Geschlechtsteil des todkranken Königs, der zuletzt nur noch stehend atmen konnte, machte der Biograf „ein eiterndes Geschwür, das Würmer hervorbrachte“, als gerechte Strafe für seine Missetaten aus. Vom Bethlehemitischen Kindermord aber ist auch bei Josephus keine Rede.
Einzige Quelle bleibt Matthäus, der in Mt 2,1-18 von der Huldigung der Magier, der Flucht Josefs und Marias nach Ägypten und dem Kindermord erzählt. „Als Herodes merkte“, heißt es dort, „dass ihn die Sterndeuter getäuscht hatten, wurde er sehr zornig“, und er ließ im Raum Bethlehem „alle Knaben bis zum Alter von zwei Jahren töten, genau der Zeit entsprechend, die er von den Sterndeutern erfahren hatte“.
Der Dichter Prudentius (348 bis etwa 410) bezeichnete die Tat als barbarisches Spektakel und die Getöteten als Blüte der Märtyrer, die „wie Knospen durch den Sturm abgeschlagen wurden“. Dass die Kinder nicht getauft waren, störte niemanden. Im Gegenteil: Im nordafrikanischen Karthago gab es Anfang des sechsten Jahrhunderts erstmals einen Gedenktag für die Getöteten im Anschluss an das Weihnachtsfest. Von dort verbreitete sich der Kult weiter nach Gallien.