Vor der mächtigen Basilika am Eingangsportal haben sich die Gläubigen früh am Morgen versammelt. Der Heilig-Blut-Reiter kommt auf seinem weißen Pferd angeritten. In der Stille, die nur von dem Klicken mancher Fotokamera unterbrochen wird, nimmt er die kostbare Heilig-Blut-Reliquie in Empfang. Das Religiöse dieses Moments ist fast mit Händen zu greifen. Dann wendet der Reiter sein Pferd, und der traditionelle Blutritt im oberschwäbischen Weingarten mit tausenden Reitern, Musikern und Gläubigen, Europas wohl größte Reiterprozession, kann beginnen.
Diese Szene wiederholt sich jedes Jahr am „Blutfreitag“, dem Tag nach Christi Himmelfahrt. In diesem Jahr ist es am 31. Mai wieder soweit. Früher war ein Mönch des Klosters Weingarten der Heilig-Blut-Reiter. Seit der Auflösung des Klosters vor einigen Jahren fällt Dekan Ekkehard Schmid als Pfarrer der Kirchengemeinde St. Martin diese ehrenvolle Aufgabe zu.
Der Blutritt halte die Region Oberschwaben „im Innersten zusammen“, wird Schmid in einer Pressemitteilung zitiert. „Nirgends sonst wird der Glaube an Jesus Christus so öffentlich und selbstverständlich miteinander bezeugt und gefeiert wie am Abend von Christi Himmelfahrt und am Morgen des Blutfreitags. Nirgends sonst kann sich jeder durch Schauen und Hören, Stille und Gemeinschaft, Predigt und Gebete neu berühren oder betreffen lassen von einem Gott, der leidet und liebt zugleich“, fährt der Dekan fort.
Im Mittelpunkt des traditonellen Umritts steht die Heilig-Blut-Reliquie. Der Kern dieser Kostbarkeit besteht aus einem 35 Millimeter langen und zwei Millimeter breiten Stäbchen. Der Überlieferung nach enthält es das Blut Jesu: Der blinde Soldat Longinus soll mit einer Lanze in die Seite Jesu gestochen haben. Das Blut, mit dem er dadurch besprenkelt wurde, soll ihm das Augenlicht zurückgegeben und ebenso seinen Geist erleuchtet haben. Longinus soll dann das geronnene Blut aufgesammelt und aufbewahrt haben.
In der oberitalienischen Stadt Mantua wurde die Reliquie im Jahr 804 erstmals aufgefunden, dann aber wieder versteckt und vergessen, um dann 1048 wiederentdeckt zu werden. Die Reliquie wurde in drei Teile aufgeteilt – zwischen der Stadt Mantua, dem Papst in Rom und dem deutschen Kaiser Heinrich III. Der kaiserliche Teil gelang dann 1094 in das damalige Benediktinerkloster Weingarten.