Streng nach dem Reinheitsgebot braut Familie Khoury ihr eigenes Bier

Oktoberfest im Westjordanland

Das deutsche Reinheitsgebot ist nichts, was man gemeinhin mit dem Heiligen Land verbindet. Und doch: Im Westjordanland braut eine palästinensische Familie ihr Bier streng nach deutschem Vorbild. An diesem Wochenende feiern die Khourys ihr „Oktoberfest“.

Aus Palästina kommt nur das Wasser, alles andere aus Europa: Das Malz bezieht die Brauerfamilie aus Frankreich und Belgien, den Hopfen aus Bayern und Tschechien, die Verschlüsse liefert eine französische Firma und die Flaschen stammen aus Bulgarien und Deutschland. Bier aus Palästina? Eher ist es ein morgenländisch-abendländisches Gemeinschaftsbräu, das die Khourys seit 25 Jahren in ihrem Dörfchen Taybeh bei Ramallah herstellen. 

Euphorisiert von der Annäherung zwischen Israelis und Palästinensern Anfang der 1990er Jahre waren die Brüder Nadim und David Khoury nach Lehrjahren in Boston in das Dorf ihrer Kindheit zurückgekehrt, das als einziger fast komplett christlicher Ort im Heiligen Land gilt.Das Ende des Unfriedens schien nahe, ein eigener palästinensischer Staat nur eine Frage der Zeit. Die Khourys beschlossen, ihrem Volk etwas zurückgeben. 

Brau- und Bürgermeister

Überzeugt, dass die politische der wirtschaftlichen Unabhängigkeit folgt, gründeten die christlichen Brüder – ihr Nachname heißt übersetzt „Priester“ – eine Brauerei und machten den Traum des Vaters wahr: Nach Studien im Westen in die Heimat zurückkehren, um „ihre Wurzeln zu bewahren sowie ihre Werte, Traditionen und den Reichtum der palästinensischen Kultur an die Kinder weiterzugeben“. Nadim wurde Brau-, sein Bruder Bürgermeister. 

Mit 1,2 Millionen US-Dollar als Investition wagten sie sich an die Braukessel – mit Anlagen aus Kanada und Europa und  dem deutschen Reinheitsgebot von 1516, mit Zutaten aus Europa sowie Wasser der örtlichen Quelle Ein Samia. Fertig war das Bier! Doch der Friede stellte sich nicht ein, der eigene Staat blieb ein Wunschtraum. „Sie haben zwar keinen eigenen Staat, aber ihr eigenes Bier“, kommentierte der US-Fernsehsender CNN. 

Lecker und köstlich

Der Name des Biers ist nicht nur mit dem Ortsnamen identisch, er bedeutet auf Arabisch auch „lecker“ oder „köstlich“. Colin Allport, der 35 Jahre lang für die niederländische Heineken-Brauerei tätig war, nannte den palästinensischen Gerstensaft sogar „erstklassig“. Drei Sorten boten die Khourys anfangs an. Mittlerweile sind sie bei sieben Sorten zwischen 0,0 und 7,5 Prozent Alkoholgehalt angelangt.

Das hat auch mit Nadims Tochter Madees zu tun, die nach eigenen Angaben seit dem neunten Lebensjahr braut. Nach Studien in den USA und China hat die heute 33-jährige, einzige Braumeisterin des Nahen Ostens das Sortiment des Vaters Schritt für Schritt erweitert. So vertreibt die Brauerei nun unter anderem das „Orange“ im belgischen Stil sowie ein Bier in der Machart deutscher Schwarzbiere mit sechs Prozent Alkohol.

Das schmeckt auch den deutschen Pilgern, die in Taybeh, dem biblischen Ephraim, Station machen. Es ist kurz nach halb zehn Uhr am Vormittag, als 30 Oberbayern aus der Gegend der Bierstadt Erding mit Pappbechern anstoßen und „Ein Prosit der Gemütlichkeit“ anstimmen. Anerkennendes Nicken ist zu sehen, und wenig später werden die ersten käuflich erworbenen Flaschen in den Rucksäcken und Taschen verstaut.

Wer sich im Verkaufsbereich aufmerksam umsieht, entdeckt eine Landkarte, auf der die Öffnungszeiten der Handelsübergänge nach Israel markiert sind – ein dezenter Hinweis auf die Besatzungssitua­tion, die totale Abhängigkeit von Israel. Den Unfrieden hätte man hier angesichts der grandiosen Aussicht und der freundlichen Brauersfamilie beinahe vergessen. 

Über die Erschwernisse ihres Brot­erwerbs erfährt man von den Khourys nur auf Nachfrage etwas. Sie sprechen viel lieber über Erfolge, Visionen und neue Pläne. Dabei hat die Brauerei ganz harte Zeiten gesehen. Kaum war das Bier auf die Beine gekommen, stieß man im Jahre 2000 fast an die Kapazitätsgrenze: 24 000 Flaschen wurden wöchentlich abgefüllt, 5000 Hektoliter im Jahr hergestellt. Ein Dutzend Männer fand Arbeit in der Brauerei. 

Politische Schikanen

Da verhagelte die Zweite Intifada, der Aufstand der Palästinenser gegen die israelische Besatzungsmacht ab Herbst 2000, den Khoury-Brüdern das aufstrebende Geschäft. Die ausländischen Märkte gingen fast gänzlich verloren, fast alle Mitarbeiter wurden entlassen. Exportierte man davor 70 Prozent des Bierausstoßes nach Israel, sackte dieser Anteil auf 30 Prozent ab. Dazu kamen Schikanen: Einmal  wurde eine Ladung Flaschen aus Portugal über drei Wochen im Hafen festgehalten. Hohe Lager- und Strafgebühren waren die Folge.

6000 Hektoliter

Die Khoury-Familie hat sich zurückgekämpft. Auch wenn jeder Gaza-Krieg kurzzeitig den Tourismus und damit auch den Bierabsatz einbrechen ließ, zeigt die Erfolgskurve nach oben. 2018 haben die Khourys mit ihren 15 Mitarbeitern rund 6000 Hektoliter produziert. Doch die müssen erst einmal zu ihren israelischen oder ausländischen Abnehmern gelangen. Die Fahrt zum Waren-Übergang Tulkarem ist nach wie vor unwägbar. 

Wird es auf dieser Strecke „fliegende Kontrollpunkte“ der israelischen Armee geben? Wie lange wird die Wartezeit an diesen spontan errichteten Sperren sein? Eine halbe Stunde? Zwei? Mehr? Ist man dann endlich am „kommerziellen Übergang“ angekommen, muss die Ladung von einem palästinensischen auf einen israelischen Lkw umgeladen werden. Manchmal wird dabei jede einzelne Kiste geöffnet und untersucht. Einmal verpassten die Khourys deshalb das Schiff im Hafen Haifa. 

Das Bier musste einen ganzen Monat im Hafen gelagert werden, was nicht nur Frust, sondern auch zusätzliche Kosten bedeutete. Auch einen Streik der Hafenarbeiter musste man einmal geduldig aussitzen. „Alles hängt von der Gnade der israelischen Politik ab“, fasst Nadim Khoury zusammen. Er deutet auf eine Flasche und versichert: „Diese Flasche Bier hat gelitten, wenn ihr sie in Jerusalem oder Großbritannien in der Hand haltet.“

Auf Israel angewiesen

Das Familienunternehmen ist auf Kunden in Jerusalem, die israelische Gastronomie sowie ausländische Märkte angewiesen. Die Brauerei exportiert in 13 Länder, von Japan bis Chile und in die USA. In Europa ist Taybeh in Belgien, Großbritannien, Spanien und vereinzelt auch in Deutschland erhältlich. Als erstes palästinensisches Produkt erhielt das Bier 1997 eine Lizenz für den deutschen Markt. „Erst gestern ging eine Ladung nach Oslo“, erklärt Braumeisterin Madees.

Und der einheimische Markt? Das ist auf den ersten Blick das eine Prozent Christen, Klöster sowie christlich geführte Hotels und Gästehäuser. Muslimen ist Alkoholgenuss untersagt. In Nablus, Hebron oder Tulkarem ist der Verkauf verboten. Dass Muslime dennoch Alkohol konsumieren, ist ein offenes Geheimnis. „Wenn die Hälfte des Ausstoßes in Palästina getrunken wird, erklärt sich das doch von selbst“, meint Khoury verschmitzt. 

Nun steht im 900 Meter hoch gelegenen Taybeh das Oktoberfest an. Ähnlich wie in München heißt es hier schon im September „Ozapft is“. Allerdings feiern die palästinensischen Bierliebhaber nur ein Wochenende lang. Dann tummeln sich im 1000-Seelen-Dörfchen bis zu 8000 Palästinenser, israelisch-jüdische Friedensaktivisten, Ordensleute und Ausländer, die in humanitären Organisationen, bei den Vereinten Nationen oder für Zeitung und Fernsehen arbeiten. 

Hip-Hop und Blasmusik

Manche zelten, flanieren im Dorf, besuchen die drei Kirchen, das berühmte Gleichnishaus oder genießen Musik von Hip-Hop bis zu bayerischer Blasmusik. Die deutsche Autorin Noemi Schneider nannte die „Westbank Wiesn“, das Oktoberfest im Westjordanland, einmal „eine eigenwillige Mischung aus Rockkonzert, orientalischer Feier und deutscher Gemütlichkeit“. Nadim Khoury ist überzeugt: „Es ist ein Ereignis für das ganze Dorf.“ 

Ihm und seiner Familie gehen die Ideen nicht aus: Dass die Khourys 2013 ein Hotel sowie eine Weinkellerei eröffnet haben, reicht offenbar nicht. Nun wollen sie Arrak und Wodka herstellen. Trotz aller Hindernisse glaubt die Familie an eine Zukunft in Palästina. Alles sei möglich, wenn Palästina Freiheit und Unabhängigkeit erreiche. 

Gern schließt man sich da dem Urteil und Wunsch der „New York Times“ über das Bier aus Palästina an: „Ein Nischenbier, gemacht, um auf den Frieden anzustoßen.“

Johannes Zang