Biblische Archäologie

Ort von Gewalt und Versöhnung

Der Garten Getsemani gehört zu den bekanntesten biblischen Orten. Das Neue Testament erwähnt ihn im Zusammenhang mit dem Passionsgeschehen: Im Markus- und Matthäus-Evangelium wird der Garten am Fuße des Ölbergs als Ort von Jesu Todesangst und Verhaftung geschildert. Bei Bauarbeiten nahe der modernen Pilgerkirche wurden kürzlich 2000 Jahre alte Spuren gefunden. 

Der Name leitet sich vermutlich aus dem Hebräischen ab: „Gat schemanim“ bedeutet soviel wie Ölpresse. Noch heute wachsen dort, wo die Tradition Getsemani lokalisiert, in einem Garten der Franziskaner, acht altehrwürdige Olivenbäume. Über ihr Alter gibt es nur Vermutungen. Waren sie stumme Zeugen der Agonie Jesu, damals, vor nahezu 2000 Jahren in der Nacht vor seinem Tod? 

Dem jüdischen Historiker Josephus Flavius zufolge ließ der römische Feldherr Titus bei der Belagerung Jerusalems im Jahre 70 den Ölberg abholzen. Außerdem können  die Jahresringe bei einem lebendigen Baum nicht gezählt werden. Untersuchungen aus dem Jahr 2012 ergaben, dass alle acht Bäume als Stecklinge von einem einzigen Elternbaum stammen. 

Bäume vielleicht Nachkommen der Gewächse aus Ölgarten

Die Getsemani-Bäume sind möglicherweise Nachkommen eines Gewächses, das zur Zeit Jesu in dem Ölgarten stand. In jedem Fall tragen sie bis heute Früchte. Wenn die Oliven jeweils im November geerntet werden, lassen die Franziskaner das Öl für Heiligtums-Lampen pressen. Aus den Kernen werden Rosenkränze hergestellt, die man an Heilig-Land-Pilger verteilt. 

Bei Markus und Matthäus wird Getsemani „Landgut“ (im Griechischen „chōrion“) genannt. Da Jesus während seiner letzten Tage in Jerusalem keine feste Bleibe hatte, mag das Gehöft mit dem Einverständnis des Besitzers für ihn und seine Jünger als provisorisches Nachtquartier gedient haben. Judas kannte dieses Versteck und verriet seine Lage dem jüdischen Hohen Rat, der Jesus festnehmen ließ.

Die aus dem heutigen Spanien stammende Pilgerin Egeria bezeichnet in ihrem Bericht aus dem Jahr 384 über die Feier der Liturgie am Ölberg die Kirche an dem Ort, wo der Herr betete, als „ecclesia elegans“. Das byzantinische Gottes­haus wurde beim Einfall der Perser im Jahr 614 zerstört. Im zwölften Jahrhundert bauten Kreuzfahrer eine neue Kirche, die allerdings 1187 die muslimischen Eroberer Jerusalems in Schutt und Asche legten.  

Grundmauern der Kreuzfahrerkirche

1681 kauften drei kroatische Ritter vom Heiligen Grab den Garten Getsemani auf. Später wurde er dem Franziskaner-Orden geschenkt. Eine aufregende Geschichte begann  im Herbst 1891, als ein Franziskanerbruder südlich des Gartens einen Humushaufen anlegen wollte. Beim Umgraben entdeckte er alte Mauerreste. Die Nachricht von dem Fund verbreitete sich wie ein Lauffeuer in Jerusalem. 

Das Heilige Land gehörte damals zum Osmanischen Reich. Um Schwierigkeiten mit den türkischen Behörden zu vermeiden, brachen die Franziskaner ihre Arbeiten ab und schütteten den Fund wieder zu, bis unter günstigeren politischen  Verhältnissen 1909 die Ausgrabungen beginnen konnten. Beim Freilegen der Mauerzüge erwiesen diese sich als Grundmauern der Kreuzfahrerkirche.  

Plan eines Neubaus

Man nahm an, dass das Gottes­haus auf den Grundmauern der „ecclesia elegans“ aus dem vierten Jahrhundert errichtet wurde. Der Plan eines Neubaus wurde durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs vereitelt. Erst 1920 konnte der Grundstein für die neue Todesangst-Basilika gelegt werden. Dabei fiel dem italienischen Architekten Antonio Barluzzi auf, dass sich eine freigelegte antike Mauer nicht in das Mauergefüge der Kreuzfahrer einordnen ließ. 

Der Architekt wollte der Sache auf den Grund gehen und ließ  die Grabungen in nordöstlicher Richtung fortsetzen. Bald stießen die Arbeiter zwei Meter unter dem Bodenniveau der Kreuzfahrerkirche auf einen Mosaikboden, der der „ecclesia elegans“ der Egeria zugeordnet werden konnte. Vor der Hauptapsis lag der „Heilige Felsen“. Barluzzi änderte seine Pläne und ließ die moderne Kirche auf den alten Fundamenten der „ecclesia elegans“ errichten. 1924 wurde sie geweiht.

Durch das gedämpfte natürliche Licht, das durch violett-blaue Ala­basterfenster gefiltert wird und an die Todesangst Jesu erinnern soll, herrscht in dem Gotteshaus eine Atmosphäre trauriger Ehrfurcht. Unter Glasplatten sind Überreste der Mosaiken aus der alten byzantinischen Kirche zu sehen. Im Altarraum ist der „Fels der Agonie Jesu“ von einer stilisierten metallenen Dornenkrone  mit Olivenzweigen umgeben. 

Auf eben jenem Felsen hat nach der christlichen Tradition Jesus in der Nacht vor seiner Passion mit Gott gerungen: „Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber. Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst“, überliefert das Matthäus-Evangelium (Mt 26,39) seine Worte. Ein Mosaik an der Fassade der Kirche stellt Christus als Mittler zwischen Gott und der Menschheit dar. 

Antike Ruinen gefunden

Ende vergangenen Jahres begannen die Franziskaner gegenüber der „Kirche der Todesangst Christi“ mit dem Bau eines Besucherzentrums und eines Tunnels, der das Kirchengelände mit dem Kidron-Tal auf der anderen Straßenseite verbinden soll. Als die Bauarbeiter auf antike Ruinen stießen, trat die israelische Denkmalschutzbehörde mit Unterstützung des Bibel-Instituts „Studium Biblicum Franciscanum“ auf den Plan.

Bevor mit dem Bau begonnen werden konnte, musste eine Bergungsgrabung die archäologischen Funde sichern. Zu den spektakulären Entdeckungen gehört ein jüdisches Ritualbad, eine sogenannte Mikwe, aus der Zeit Jesu. „Die meisten Ritualbäder der Zeit des Zweiten Tempels wurden in Privathäusern und öffentlichen Gebäuden gefunden“, erklärte der Archäologe Amit Re’em.

„In diesem Fall handelt es sich um ein Freiluft-Ritualbad.“ Das deute auf die Existenz eines landwirtschaftlichen Gutes vor 2000 Jahren hin, in dem vielleicht Öl oder Wein hergestellt wurde. „Die jüdischen Reinigungsgesetze verpflichteten die an der Öl- und Weinproduktion beteiligten Arbeiter, Reinigungsbäder zu nehmen. Die Entdeckung des Ritualbades könnte daher auf den Ursprung des alten Ortsnamens ‚gat schemanim‘ hinweisen: ein Ort, an dem rituell reines Öl hergestellt wurde.“

Münzen aus der Zeit Jesu

Erstmals, machte Re’em deutlich, gebe es damit einen archäologischen Nachweis, dass zur Zeit Jesu an dieser Stelle vor den Mauern Jerusalems ein Feld voller Olivenbäume war. „In der Mitte befand sich eine Art Olivenpresse zur Herstellung von Öl.“ Pater Eugenio Alliata, Professor am „Studium Biblicum Franciscanum“, ergänzte: „Wir freuen uns, dass hier in Getsemani neben der Entdeckung der Mikwe auch Münzen aus der Zeit Jesu gefunden wurden. Eine stammt aus der Regierungszeit des Statthalters Pontius Pilatus.“ 

Die jüngsten Ausgrabungen haben nun die Überreste einer weiteren, zuvor unbekannten Kirche ans Tageslicht gebracht, die auf den Übergang von der Spätantike ins Frühmittelalter datiert. Möglicherweise wurde sie im siebten Jahrhundert erbaut, als Jerusalem bereits unter muslimischer Herrschaft stand. Für den israelischen Archäologen David Yeger ist das ein Indiz dafür, „dass christliche Pilgerreisen nach Jerusalem auch in dieser Zeit fortgesetzt wurden“. 

Aufwändige Verzierungen

Aufwändige Verzierungen deuten auf die Bedeutung des Baus hin. Ein gepflasterter Steinboden und eine halbkreisförmige Apsis, die mit einem Mosaik ausgestattet war, konnten freigelegt werden. Im Zentrum vermutet Eugenio Alliata einen Altar, von dem jedoch keine Überreste gefunden wurden. 

Eine griechische Inschrift ist auf das siebte oder achte Jahrhundert datierbar. „Für die Erinnerung und Ruhe der Liebenden Christi. Gott, der du das Opfer Abrahams empfangen hast, nimm das Opfer deiner Diener an und gib ihnen Vergebung der Sünden. Amen“, lässt sie sich laut Leah Di Segni von der Hebräischen Universität Jerusalem und Rosario Pierri vom „Studium Biblicum Franciscanum“ lesen.

Neben den Überresten der byzantinischen Kirche kamen Grundmauern eines großen Pilgerhospizes oder Klosters aus dem Mittelalter ans Licht. Es verfügte über eine ausgeklügelte Wasserversorgung und zwei große, mit Kreuzen verzierte Zisternen von sechs oder sieben Metern Tiefe. Die Anlage wurde wahrscheinlich infolge der muslimischen Eroberung Jerusalems 1187 durch Ayyubiden-Sultan Saladin zerstört.

Tradition und Fakten

Für Amit Re’em ist die Getsemani-Grabung „Archäologie von ihrer besten Seite“. Sie verbinde Tradition und Überzeugung mit historischen Fakten. Auch Pater Francesco Patton, der Kustos der Franziskaner im Heiligen Land, würdigt die Zusammenarbeit des „Studium Biblicum Franciscanum“ und der israelischen Denkmalschutzbehörde. Ihre Funde sollen in das neue Besucherzentrum einfließen.

„Getsemani ist eines der wichtigsten Heiligtümer im Heiligen Land“, erinnert Patton, „ein  Ort des Gebets, der Gewalt und der Versöhnung. Jesus ging dorthin, um zu beten, wie Millionen von Pilgern es heute nach ihm tun. Jesus wurde dort aber auch verraten und gewaltsam abgeführt.“ Da sich Jesus weigerte, mit Gewalt auf seine Verhaftung zu reagieren, sei Getsemani trotzdem ein Ort der Versöhnung, macht Patton deutlich. 

„Es ist auch ein Ort der Versöhnung zwischen den Nationen, die sich während des Ersten Weltkriegs bekämpft haben.“ Sichtbar wird das an der Todesangst-Basilika: Sie wurde mit Geld aus zwölf Ländern erbaut, darunter den Kriegsgegnern Frankreich, Deutschland, Italien, Großbritannien und USA. Aus diesem Grund wird sie auch „Kirche aller Nationen“ genannt.“ 

Karl-Heinz Fleckenstein