Unterwegs mit Abstand

Wandern auf dem Rennsteig – Corona zum Trotz

Mal raus aus der Stadt oder der unmittelbaren Wohnumgebung, tüchtig die Beine bewegen und in frischer Luft tief durchatmen: Eine Wanderung auf Deutschlands wohl bekanntestem Höhenwanderweg, dem 169 Kilometer langen Rennsteig im Thüringer Wald, ist dafür genau das Richtige – erst recht in Corona-Zeiten. Abstand halten kann man hier gut. 

Vermessen hat den Rennsteig der Offizier und Kartograf Julius von Plänckner (1791 bis 1858), der 1829 die gesamte Strecke in fünf Tagen ablief. 43,5 Stunden hat er dafür gebraucht. Täglich war er also im Schnitt mehr als achteinhalb Stunden unterwegs – von Blankenstein an der Saale bis nach Hörschel an der Werra. 

Nahe der Suhler Ausspanne, wo früher die Pferde gewechselt wurden, ist eine kleine Wandergruppe unterwegs. Die munteren Touristen marschieren zwar gemeinsam auf dem Rennsteig, können sich hier aber in Corona-Zeiten auch gut aus dem Weg gehen. Auf  973 Metern, dem höchsten Punkt der durch ein „R“ gekennzeichneten Route, legen sie einen kurzen Stopp ein. Gleich danach ist schon „Plänckners Aussicht“ zu sehen.  

„Plänckner hat sozusagen den Rennsteig erfunden“, sagt Sieghard Zitzmann, Experte für den bekannten Höhenwanderweg. Er begleitet die kleine Gruppe ein Stück auf ihrem Weg. Zitzmann steht oben auf der Plattform und genießt den weiten Blick in den Thüringer Wald. Vor seiner Pensionierung hat er den jährlichen GutsMuths-Rennsteiglauf organisiert.  

Aus dem ersten, rund 100 Kilometer langen Lauf im Jahr 1973 hat sich ein Volkslauf mit mehr als 15 000 Teilnehmern entwickelt – normalerweise. Im vorigen Jahr musste der Lauf wegen der Corona-Pandemie abgesagt werden. Aktuell ist die nächste Veranstaltung für Anfang Oktober geplant. Die Wanderer notieren sich das sofort und gehen weiter. 

Giftige Geschwister

Plötzlich springt einer zwischen die Sträucher am Wegesrand und pflückt einen Pilz: eine Speisemorchel. „Wie die duftet!“, schwärmt er. Speisemorcheln wachsen von März bis Mai – doch Achtung: Sie können recht leicht mit ihren hochgiftigen Geschwistern verwechselt werden. Steinpilze wachsen hier ab Mai, ab Juni auch Pfifferlinge.  

Einen halben Tagesmarsch weiter nördlich liegt Tambach-Dietharz. Hier können Interessierte ihre Wanderstiefel für eine gewisse Zeitlang ablegen und stattdessen eine Husky-­Tour unternehmen – wenn nicht gerade die Corona-Krise das Geschäft vermiest. Laufen, laufen, laufen ist das Lebenselixier der Hunde, die Familie Kraft sommers wie winters auf Trab halten. 

Momentan finden wegen der in Thüringen geltenden Pandemie-Bestimmungen keine Wanderungen mit den Hunden statt – erst dann wieder, wenn der Lockdown und die Einschränkungen für den Tourismus vorbei sind, erläutert Firmenchefin Julia Kraft am Telefon. Ihrem Mann Ralf gibt das Gelegenheit, seiner Freizeitbeschäftigung nachzugehen:

Er schreibt Kinderbücher. „Lotta und die Schlittenhunde“ heißt seine Serie, die im familieneigenen Verlag erscheint. 

Im 1870 gegründeten „Rennsteiggarten“ in Oberhof entwickeln sich rund 4000 Pflanzenarten aus allen Gebirgslagen der Erde „unbeeindruckt von der unruhigen Außenwelt“, heißt es auf der Internetseite. Hier kann man auf eine Pflanze stoßen, die wie Blattwerk ausschaut: die Kraut-Weide. Das „ist vermutlich der kleinste Baum weltweit“, erklärt Experte Andreas Reichelt, der normalerweise Touristen durch den Garten führt. 

„Es blüht schon überall“

Derzeit ist noch Winterpause in Oberhof. Am 24. April soll der Rennsteiggarten nach dem Willen der Betreiber regulär wieder öffnen – natürlich nur, wenn das die dann aktuelle Corona-Verordnung erlaubt. „Es blüht schon überall im Rennsteiggarten“, heißt es bereits auf der Internetseite. Der „Blütenkalender“ macht Lust auf einen Besuch. Zumindest Gruppenführungen werden aber wohl vorerst nicht möglich sein.

Vom Rennsteiggarten gelangen die Wanderer in wenigen Schritten auf den Rennsteig zurück. Auf 747 Metern Höhe hat der sogar einen eigenen Bahnhof: knapp 30 Fußminuten außerhalb der Ortschaft Schmiedefeld. Vor dem historischen Gebäude hält jeden Samstag, Sonn- und Feiertag der Rennsteig-Shuttle, der über Ilmenau bis Erfurt verkehrt. Auch im Lockdown fährt er nach regulärem Fahrplan. Etwas Abenteuer ist auch dabei, denn der Steilstreckenabschnitt zwischen Stützerbach und dem Bahnhof ist mit über 60 Promille Neigung eine der steilsten im Reibungsbetrieb befahrenen Eisenbahnstrecken Deutschlands. 

Ziel der Wanderer ist jedoch nicht solcherlei Eisenbahnromantik. Die kleine Gruppe steuert vielmehr Schmiedefeld am Rennsteig an. Im Unesco-Biosphärenreservat kann es ebenfalls romantisch werden. Zwar ist das Infozentrum pandemiebedingt geschlossen, das Reservat selbst aber ist geöffnet. Mario Nöckel vom Förderverein geht abends zur Wildbeobachtung. Leise schleicht er durch den Wald und steigt in einen verglasten Ausguck. 

Nöckel macht das seit 17 Jahren und zu allen Jahreszeiten – mit oder ohne Corona. Er hat Eimer mit Häcksel mitgebracht und den Inhalt in ausgehöhlte Baumstümpfe gefüllt. Das Rotwild kennt das Procedere und nähert sich allmählich, Nöckel schaut immer wieder durch das Fernglas. Er wartet auf einen großen Hirsch – aber vergeblich. Da beginnt er zu erzählen, wie klug Hirsche sind. 

Wenn beim Kämpfen der eine erkenne, dass sein Gegner ihm überlegen ist, ziehe er sich lieber zurück. Wenn es doch zum Kampf kommt, gehe es heiß her. Bis zu 15 Kilo wiegt ein Hirschgeweih, das zur Attacke genutzt wird. Die Rotwild-Damen, die auf ihren superschlanken Beinen stolzieren und ihre Kitze liebevoll behüten, tragen kein Geweih. In der Jägersprache werden sie Kahlwild genannt. 

Auf dem Weg zur Quelle

Nahe der Rennsteigwarte Masserberg, wo die verglaste Plattform den Rundumblick über Wiesen, Wälder und Dörfer erlaubt, geht es zur Werraquelle. Auf dem Weg zeigt Bastian Hinz einige alte Grenzsteine, mit denen einst die Fürsten ihr Land markierten – etwa alle 100 Meter. Tausende solcher Steine müssen einst am Rennsteig gestanden haben. Die Jahreszahl 1738 ist auf einem der verwitterten Steine zu entziffern. Alle stehen unter Denkmalschutz. 

Besonders gerne zeigt Hinz die Quelle der Werra, jenes Flusses, der sich nach rund 300 Kilometern mit der Fulda zur Weser vereinigt. 1897 wurde die Quelle von Oberförster Georg Schröder und Maurermeister Elias Traut in Naturstein gefasst und mit einem Löwenkopf geschmückt. Seither fließt aus seinem Rachen das klare Werra-Wasser. „Elias Traut war mein Ururgroßvater“, erwähnt Hinz mit einigem Stolz.

Stolz ist man im Thüringer Wald auch auf die Oberweißbacher Bergbahn, ist sie doch die steilste Standseilbahn zum Transport normalspuriger Eisenbahnwagen, also keine Zahnradbahn. Sie besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil ist die Standseilbahn zwischen Obstfelderschmiede und Lichtenhain, der zweite Teil die Flachstrecke zwischen Lichtenhain und Cursdorf. Auf beiden Strecken verkehren die Bahnen im Halbstundentakt von 6.30 Uhr bis 20 Uhr.

Fit für den Sommer

Bei der Revision im März hat man die Strecke für den Sommerbetrieb fit gemacht. Die beiden Triebwagen wurden nach Erfurt gebracht und dort überprüft, auch der rote „Olitätenwagen“, der auf der oberen Strecke fährt. Sein Name erinnert an die Buckelapotheker, die einst Kräuter und Olitäten, also Naturheilmittel, in einer Trage auf dem Rücken bis nach Paris schleppten.

Wenn dann bei warmem Wetter den bergab Fahrenden ein Cabrio-­Wagen mit fröhlich winkenden Leuten entgegenkommt, wird die Fahrt zur Gaudi. Doch Vorsicht: Abstandhalten ist hier ebenfalls angesagt! Die Zahl der Fahrgäste auf der Bergbahn ist im Personenwagen auf 65 und im Cabrio-Wagen auf 75 Personen beschränkt. Der Freude tut das jedoch keinen Abbruch.

Ursula Wiegand

Informationen

zum Rennsteig: www.rennsteig.de

09.04.2021 - Corona , Natur