In der Kleinstadt Alcoy steigt eine der größten und buntesten Fiestas in ganz Spanien. Das Volksfest „Moros y Cristianos“ (Mauren und Christen) fußt auf religiös-legendärem Ursprung. Echte Mauren kommen nicht vor, nur verkleidete. Die diesjährige Auflage des Fests beginnt an diesem Sonntag. Es dauert bis Dienstag.
„Das ganze Jahr über bin ich gläubiger Christ, aber drei Tage im Jahr auch ein Maure“, sagt Emilio Serra Payá und hüllt sich in orientalische Tracht. Mit seinen 82 Jahren zählt er zu den Veteranen des vibrierenden Volksfestes der „Mauren und Christen“, Moros y Cristianos, im südostspanischen Alcoy. Der dreitägige Mix aus Straßenshow und Geschichtsspektakel beruht auf Hintergründen, bei denen Glaube, Historie und Legende ineinander fließen.
Zum besseren Rahmenverständnis gilt es, die Uhr ins Mittelalter zurückzudrehen, als vielerorts in Spanien die Kämpfe zwischen Christen und Mauren tobten. So auch im Jahre 1276 in Alcoy in der heutigen Provinz Alicante. Dort behielten die Christentruppen die Oberhand über die von Al-Azraq angeführten Muselmanen. Und zwar dank des heiligen Georg (spanisch: San Jorge, valencianisch: Sant Jordi), der plötzlich hoch zu Ross erschien und den Christen zum Sieg verhalf. So will es die Überlieferung.
Fakten zweitrangig
Doch beim Mauren-und-Christen-Fest in Alcoy geht es nicht um die Nacherzählung eines blutigen Schlachtenerfolgs. Oder um den exemplarisch nachgestellten Triumph des Kreuzes über den Halbmond, der realgeschichtlich in Spanien sein Ende mit dem Fall des letzten Maurenreiches 1492 in Granada fand und somit den Abschluss der Reconquista bedeutete, der Rückeroberung der Territorien aus Muslimenhand. „Das Fest ist für uns eine Passion“, erklärt Jordi Linares, 37, einer der vielen Festteilnehmer. „Es ist so etwas wie ein Theaterstück, eine Performance.“
Das Treiben gibt den Einheimischen Raum, einmal im Jahr exzessiv zu feiern und es krachen zu lassen. Mit Böllern und Feuerwerk. Mit Pauken und Trompeten, stundenlangen Umzügen. Die Kleinstadt steht Kopf und steckt im Ausnahmezustand.
„Ich verkleide mich nicht als Maure“, stellt Emilio Serra Payá klar. „Ich kleide mich so, weil ich es so fühle.“ Jeder Teilnehmer „lebe“ die Fiesta, sagt Emilio, der seit Jahrzehnten der Festgemeinschaft „Filà Verds“ angehört. Es gibt 28 dieser Festvereine, im Plural: „Filaes“, die auch außerhalb der rauschenden Tage eine wichtige Rolle spielen. Sie sind der soziale Kitt, der die 62 000-Einwohner-Stadt zusammenhält. „Meine Eltern haben mich noch vor dem Eintrag ins Geburtenregister in meiner Filà angemeldet“, erinnert sich Jordi Linares. Und weil er den Namen des Stadtpatrons bekam, gab’s überdies ein Bankkonto mit einem Startkapital von 5000 Pesetas.
Einmarsch zum Auftakt
Die Zahl der Festvereine entfällt jeweils hälftig auf Mauren und Christen. Die Vorläufer der ältesten „Filaes“ datieren aus dem 18. Jahrhundert, als das Fest – nach rein religiösen Ansätzen im Spätmittelalter und einem 1552 eingeführten Büchsenschießwettstreit – seine eigentliche Entwicklung nahm. Ihre großen Auftritte haben die Mitglieder der Festvereine am „Tag der Einmärsche“, Día de las Entradas, der am 22. April den Auftakt zur Festtagstrilogie markiert.
Am 23. April, dem Sankt-Georgs-Tag, gibt es eine Messe und Prozessionen, auf denen eine Fingerreliquie und eine Skulptur des Heiligen mitgeführt werden. Zum Abschluss am 24. April steht der Tag der simulierten Schlacht an, von der Auswärtige besser Abstand nehmen sollten. Denn es ist mit Pulverdampf und krachenden Büchsen einfach zu laut für Ungeübte. Eigentlich reicht es im sonstigen Fiestatrubel, dass die Definition einer Dauerdröhnung in neue Dimensionen vorstößt: unter den donnernden Klängen der Festkapellen, den Detonationen von Knallkörpern, den Rhythmen von Freiluftdiscos.