Mit dem Segelschiff nach Komodo und Flores

Tödliche Bisse im Inselparadies

Vor der weißen Kathedrale von Ruteng stehen drei Kleinbusse. Lachende Kinder toben um sie herum und steigen dann ein. Heute dürfen sie ihren Pfarrer begleiten. Dafür haben sie schulfrei bekommen. Den Geistlichen zieht es zurück zu den Ursprüngen: Risno Maden möchte zurück aufs Land, in die kleinen Dörfer, und dort Seelsorge betreiben, wo er gebraucht wird. Ruteng, das Städtchen mit rund 35 000 Einwohnern im Westen der indonesischen Insel Flores, sei ihm zu groß und zu laut geworden, sagt Maden.

Die Kinder wollen ihren Pfarrer ein letztes Mal feiern. Rund zwei Fahrstunden liegt sein neuer Wirkungsort von der Bischofsstadt Ruteng entfernt. Während er dort bleibt, werden die Kinder am frühen Abend wieder heimgebracht. Aufgeregt sind die Kleinen, denn Risno Maden hat sie nicht nur ein Stückweit geprägt, sondern sie auch im christlichen Sinn erzogen. „Gottes Wort für Kinderohren“, lautete sein Motto. Das kam an.

Der Samstagnachmittag um 16 Uhr war für die Jüngsten immer ein ganz besonderes Erlebnis. In der Kathedrale hielt der 31-Jährige eine kindgerechte Predigt ab: „Auch den Eltern hat es gefallen, denn nach und nach kamen auch sie dazu.“ In Ruteng diente der Priester zwei Jahre lang: „Jeden Morgen um sechs Uhr gab es in der Kathedrale einen Gottesdienst.“ Dabei versammeln sich rund 100 bis 300 Gläubige. „Zur Sonntagsmesse kommen dreimal so viel.“ 

Einst wurden die Menschen hier von Missionaren zum Katholizismus bekehrt. Heute gibt es in Indonesien, dem größten muslimischen Land der Welt, knapp 8,2 Millionen Katholiken – gerade mal 3,1 Prozent. Nicht viel, wenn man sie mit der Gesamtbevölkerung von 262 Millionen vergleicht. 

Die katholische Kirche in Indonesien ist eine von sechs anerkannten Glaubensgemeinschaften. Dazu gehören der Islam, das protestantische Christentum, der Hinduismus, Buddhismus und Konfuzianismus. 227 Millionen Muslime machen Indonesien zum bevölkerungsreichsten muslimischen Staat weltweit. 

Weiter Weg zu Waranen

Das Land in Südostasien besteht aus rund 17 000 Inseln, die meist nur mit Booten zu erreichen sind. Von Lombok, einer der Kleinen Sunda-Inseln östlich der Touristenhochburg Bali, sind es mit dem Segelschiff drei Tage bis nach Flores zu Pfarrer Maden – ein weiter Weg, der geprägt ist von einsamen Inseln, einem rosa Strand und waschechten Drachen: Auf der Route liegt die Insel Komodo mit ihren urzeitlichen Waranen.

Das Schiff bricht sich ächzend durch die tobenden Wellen. Draußen ist es dunkel. Der Holzkahn knarrt und versucht, sich gegen die Kräfte des Meeres zu wehren. Gegen die ärgerlichen Fluten, die in der Nacht schon mal über fünf Meter erreichen. Schon wieder knallt es gegen die Bordwand. Die rund zehn Passagiere der Santosa liegen entweder wach auf Deck oder in den engen Kabinen. Je nachdem, wie viel ihnen die Überfahrt zu den Drachen wert ist. 

Teurer und komfortabler ist es in den Kajüten, abenteuerlicher ist es auf harten Matratzen an Bord. Die, die wach sind, flüstern, um die anderen nicht zu wecken. Eine eigenartige Spannung macht sich auf dem Kahn breit. Die Besatzung – fast die gleiche Anzahl wie Passagiere – übt sich in Routine: Das zusammengefaltete Segel muss gesichert werden, dort hat sich ein Seil verheddert, das Tackern des Motors wird überprüft.

Endlich flimmert es rötlich: die lang erwartete Morgendämmerung. Die Helligkeit schiebt sich nur langsam in den Horizont hinein. Die See ist ruhig – beinahe so, als wolle sie jetzt, nach dem heftigen Kampf in der Nacht, selbst nur noch schlafen. Zum Wohl der Passagiere, die aufatmen können, und die endlich die Aussicht auf die türkisfarbene Floressee genießen dürfen – ohne Magenkrummeln, ohne die aufsteigende Panik, die sich in der Nacht im Inneren jedes Einzelnen Bahn gebrochen hat. 

Friedlich schleicht das Boot auf dem Wasser dahin. In südlicher Richtung liegt Australien, im Norden die Molukken, im Osten Neuguinea und westlich davon Afrika. Auch heute fehlt die Brise, und die Segel werden nicht gehisst. Der Kapitän nimmt Kurs Richtung Komodo, zu den Waranen. Die eigentümlichen und gefährlichen Urzeit-Drachen gibt es nur in Indonesien und dort nur auf den Kleinen Sunda-Inseln.

Für den Fall der Fälle

Im Komodo-Nationalpark erwartet Jeni Mamut die Reisenden an der Rangerunterkunft. In der Hand hält sie eine lange Holzgabel – für den Fall der Fälle. Ein Biss der Warane ist tödlich: für Mensch und Tier. Die Schülerin aus Ruteng hat sich mit dem dreimonatigen Praktikum als Wildhüterin einen Traum erfüllt. „Mein Vater war dagegen. Wegen der Reptilien“, sagt sie schmunzelnd. Ihr aber gefällt der Job sehr. 

Sie lerne gerne unterschiedliche Menschen kennen und möchte ihre Heimat später im Ausland als Reiseziel vorstellen. Da gehören die Drachen natürlich dazu. Die 18-Jährige hofft auf ein weiterführendes Touristik-Studium, ihr Bruder hat ihr die Finanzierung versprochen. „Er arbeitet auf Java und unterstützt mein Ziel, auf die Universität zu gehen.“ 

Noch bleibt Bahuding Syukur an ihrer Seite. Der erfahrene Ranger, der sich selbst „Budi“ nennt, führt gemeinsam mit Jeni Mamut die Gruppe über die Insel. „Hier leben 2000 Menschen“, sagt er, „Muslime.“ Die Bewohner wissen, dass die Drachen ihnen ein Auskommen bescheren. Lieben tun sie sie nicht, denn zu oft muss eines ihrer Nutztiere daran glauben. 

Natürliche Feinde haben ausgewachsene Warane nicht. Die Weibchen legen meist im September 18 bis 33 Eier in verborgene Bruthügel und -mulden – wegen der Gefahr von Nesträubern. Die Jungen schlüpfen nach acht Monaten und suchen auf Bäumen Zuflucht. Für Wildschweine, Schlangen und Greifvögel sind sie leichte Beute. Und die Elterntiere fressen mitunter ihren eigenen Nachwuchs.

Große Warane essen sowohl Aas als auch lebende Tiere. Durch den Biss injizieren sie ihren Opfern Gift und stellen ihnen dann solange nach, bis sie die geschwächten Tiere erwischen. „Das können auch große Säugetiere wie Hirsche, Rehe oder Wildschweine sein. Das Gift verringert die Blutgerinnung und löst einen Schock aus“, erklärt Budi. „In den vergangenen 25 Jahren starben an den Bissen auch sechs Menschen.“

Erhöhte Eintrittspreise

Pro Monat fressen ausgewachsene Warane bis zu 80 Prozent ihres Körpergewichts, erklärt der Ranger. Budi ist hier auf der Insel aufgewachsen. Seit rund drei Jahren arbeitet der 26-Jährige als Ranger. Der Nationalpark sollte 2020 ursprünglich für Touristen gesperrt werden. Stattdessen sollen erhöhte Eintrittspreise Reisende abschrecken. „Der Waran-Bestand soll sich erholen, genau wie die Natur. Wir planen eine Aufforstung.“

Nach ihrem Praktikum geht Jeni Mamut zurück zu ihrer Familie. Auch sie kennt Pfarrer Risnos „Kindergottesdienst“. Für ihn ist es nun an der Zeit, Abschied von der Insel zu nehmen. Kurz hält er noch einmal inne und denkt zurück an die sechs Jahre seines Studiums der Philosophie und Theologie in Maumere, der größten Stadt von Flores. Und an seine Berufung: Er wollte Priester werden, weil Gott ihn rief. 

Die Inseln am anderen Ende der Welt: Flores, Lombok, Komodo – wer sie besucht, erkennt, dass er hier an einem besonderen Fleckchen Erde gelandet ist. Auch besonderen Menschen kann man hier begegnen. Pater Risno, der die Kinder mit seiner speziellen Messe begeistert. Budi, der sich um seine Drachen sorgt. Oder Jeni, die den Menschen das ganz Besondere an ihrer Heimat zeigen möchte.

Sabine Ludwig

20.03.2020 - Ausland , Seelsorge , Tiere