Totentanz-Darstellungen in der Oberpfalz

Kein Entrinnen vor Gevatter Tod

Wondreb in der Oberpfalz: Wiesen, Felder, bewaldete Höhen rundum. Im Ort fließt das Leben beschaulich dahin. Adrette Häuser, propere Vorgärten. Nur der Fußballplatz könnte mal wieder ein Mähkommando vertragen. Blickfang ist die Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt. Davor breiten sich Gräberfelder aus, an die wiederum ein kleineres Gotteshaus stößt, gekrönt von einem Zwiebeltürmchen, gestrichen in Beige, gedeckt mit Lärchenschindeln. 

28 Bildtafeln

So weit, so unscheinbar. Doch das Innere hat es in sich. Es ist die Friedhofskapelle St. Michael – besser bekannt als Totentanzkapelle. Der Gottesacker davor spannt den treffenden Bogen vom Dies- ins Jenseits, das große Leitmotiv in der Kapelle. Über die Decke des einschiffigen Baus ziehen sich 28 Bildtafeln aus verklebten Fichtenholzbrettern, bemalt in Grisaille-Technik Grau in Grau, geschaffen zu Beginn des 18. Jahrhunderts von einem anonym gebliebenen Künstler.

Der Knochenmann ist allgegenwärtig

Die Konfrontation mit der Vergänglichkeit, der Endlichkeit des irdischen Daseins – hier kommt sie wie ein offenes Bilderbuch in Form von Einzelszenen daher. Der Knochenmann ist allgegenwärtig: quer durch alle Altersstufen und gesellschaftlichen Schichten. Gestaltet wurde das Ganze nach Kupferstichen von Christoph Weigel dem Älteren (1654 bis 1725), jedes Bild umrahmt von einem lateinischen Bibelzitat und dessen sehr freier dichterischer Übertragung in barockes Deutsch durch Abraham a Santa Clara (1644 bis 1709), der als wortgewaltiger Prediger galt. 

Auftraggeber war vielleicht Zisterzienserkloster Waldsassen

Eine Tafel in der Kapelle greift die Annahme auf, dass der Auftraggeber des Kunstwerks das damalige Zisterzienserkloster Waldsassen gewesen sein könnte. Unverkennbar bei der Thematik Tod ist der Wiener Einschlag, der stets makabere Noten trägt. Kupferstecher Weigel war in Österreichs Hauptstadt vorübergehend tätig, auch Abraham a Sancta Clara lebte lange dort. Posthum, so führt die Tafel in der Kapelle aus, erschien dort sein Werk „Todten-Capelle“, dem die Verstexte für die Totentanzkapelle entstammen.

Die Botschaft: Es gibt kein Entrinnen vor Gevatter Tod. Auf den Bildtafeln sieht man, wie er sich über eine Wiege beugt (der Begleittext im Wiener-Deutsch jener Jahre lautet: „Auch die Wiegen ist schon zum Tod ein Stiegen“) oder am Tisch mit einem Kartenspieler sitzt („Das Leben ist ein Spiel, mit mir gwint’ keiner viel“). Bei anderer Gelegenheit prescht er auf dem Rücken eines Hirschs voran („Der Tod ist blind und doch geschwind“). Oder er hält ein ausgegrabenes Blümchen in Händen („Auch die schönste Narcissen werden von mir abgerissen“).

Forderung, nach christlichem Maßstab zu leben

Die Präsenz am Totenbett eines Gottesmanns transportiert ebenso die Forderung, nach christlichem Maßstab zu leben („Der ist wohl gerecht gestorben, der den Himmel hat erworben“), wie seine Positionierung neben einer Uhr, die für den Einzelnen abläuft („Die Stund ist einmal ungewiß, drum des Gewißen nit vergiß“). Und er ist unbestechlich, indem er die Münzen einer wohlhabenden Person ausschlägt („Geld und Gut nichts helfen thut“). Es gilt, sich in sein Schicksal zu fügen, in jederlei Hinsicht vorbereitet zu sein.

Kunstgattung Totentanz

In seinem Buch „Wondreber Totentanz“ greift Autor Peter Rott die allegorische Darstellung des Toten­tanzes als Kunstgattung in der Literatur und bildenden Kunst auf, die im Spätmittelalter wurzelt: „Der Totentanz beruhte auf dem Volksglauben, der von Plagen und Kriegen des 14. und 15. Jahrhunderts genährt wurde, dass Tote als Skelette aus ihren Gräbern steigen und die Lebenden zum Tanz verführen, um sie sich zu holen. Der Totentanz bildet die Botschaft von der Unausweichlichkeit des Todes und von der Gleichheit aller Menschen ab.“

Die Kapelle wurde 2008 bis 2011 restauriert. Sehenswert ist auch das Altarbild der Sieben Zufluchten, das vorne die Blicke anzieht und für Besucher überdies einen praktischen Nutzen hat: Endlich entspannen sich die Nackenmuskeln nach der Dauerbetrachtung der Deckentafeln.

Andreas Drouve