Deutschlands Farben

Trikolore der Einheit und Freiheit

Kaum eine Nationalflagge weltweit ist mit einer derartig turbulenten Geschichte verbunden wie die deutsche: Schwarz, Rot und Gold, jene Farben der antimonarchistischen demokratischen Bewegung des 19. Jahrhunderts, standen für Bürgerrechte und nationale Einigung – und wurden deshalb immer wieder verboten. Vor 100 Jahren wurde Schwarz-Rot-Gold offiziell zu den Nationalfarben der ersten deutschen Demokratie.

30 Jahre später, 1949, unterstrich Ludwig Bergsträsser, Historiker und SPD-Politiker im Parlamentarischen Rat: „Die Tradition von Schwarz-Rot-Gold ist Einheit und Freiheit. Diese Flagge soll uns als Symbol gelten, dass die Freiheitsidee, die Idee der persönlichen Freiheit, eine der Grundlagen unseres zukünftigen Staates sein soll.“ Für ihn konnte es keine bessere Natio­nalflagge für die Bundesrepublik geben. Auch die DDR entschied sich für Schwarz-Rot-Gold.

Am Anfang der Entwicklung stand Napoleon: Als nach der Katastrophe des Russlandfeldzugs 1812 die Militärmacht des Korsen verwundbar erschien, wuchs im besetzten Europa und gerade in Preußen der Widerstand gegen die französische Fremdherrschaft. Im Februar 1813 wurde in Breslau auf Initiative von Militärreformer Gerhard von Scharnhorst und Friedrich Ludwig Jahn ein neues Freikorps formiert: die „Lützower Jäger“, kommandiert von Major Ludwig Adolf Wilhelm von Lützow.

Die Jäger waren an ihren ungewöhnlichen, weil tiefschwarzen Uniformen leicht zu erkennen. Die 3500 Freiwilligen aus ganz Deutschland mussten ihre Ausrüstung selbst organisieren und erschienen mit einem bunten Sammelsurium aus teils erbeuteten Uniformteilen, ergänzt durch Tuchreste aus den preußischen Magazinen. Um hieraus militärische Einheitlichkeit herzustellen, warf man die Kleidung kurzerhand in Bottiche mit schwarzer Farbe. 

Jene schwarzen Uniformen erhielten rote Verzierungen an Bordierungen, Ärmelaufschlägen und Krägen sowie gelbe Messingknöpfe – so entstand eher zufällig und aus der Not heraus die Farbkombination Schwarz-Rot-Gold. Berliner Frauen stifteten eine Fahne aus roter und schwarzer Seide mit goldenen Fransen und der Inschrift „Mit Gott fürs Vaterland“. 

Die Freiwilligentruppe, die sich dem Kampf um die deutsche Einheit und gegen Fürstenwillkür verschrieben hatte, ersann dazu den Wahlspruch „Von schwarzer Nacht durch rotes Blut der goldenen Sonne entgegen“ und wollte das neue Banner offiziell zur Truppenfahne erklären lassen. Das ging dem antiliberalen Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. dann aber zu weit. 

Zum Mythos geworden

Lützows „Schwarze Jäger“, die auch in der Schlacht von Waterloo kämpften, wurden durch ihre verwegene Guerilla­kriegführung zum Mythos. Berühmtheit erlangten sie auch durch die Mitstreiter in ihren Reihen: Neben „Turnvater“ Friedrich Ludwig Jahn waren dies die Dichter Joseph von Eichendorff und der 1813 gefallene Theodor Körner – und zwei Frauen: Eleonore Pro­chaska und Anna Lühring verkleideten sich als Männer und zeichneten sich im Kampf aus.

Nach dem Ende der Napoleonischen Kriege kehrten viele der Kämpfer ins Studentenleben zurück und trugen weiterhin stolz ihre Militäruniformen, insbesondere an der Universität Jena: Hier gingen 1815 die landsmannschaftlichen Studentenverbindungen in einer neuen gesamtdeutschen „Urburschenschaft“ auf, welche die Lützower Farben in ihrem Banner trug.

1832 trafen sich auf dem Hambacher Fest über 30 000 Patrioten unter der Parole: „Auf, auf, freie Bürger, zum Schloss, es wehen die Deutschen Farben ...“ Bis dahin war deren Reihenfolge eher willkürlich. Nicht selten sah man die auf dem Kopf stehende Kombination Gold-Rot-Schwarz. Für das Hambacher Fest fertigte der Landwirt, Kaufmann und Stadtrat Johann Philipp Abresch eine repräsentative Flagge mit der fortan gültigen Kombination Schwarz-Rot-Gold von oben nach unten. 

Das 19. Jahrhundert war die Ära der Romantik und der Wiederentdeckung des Mittelalters, und so erinnerte man sich, dass Schwarz, Rot und Gold im Grunde bereits die traditionellen heraldischen Farben des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation gewesen waren: Die alten Kaiserwappen zeigten auf goldenem Hintergrund einen schwarzen Adler, dessen Schnabel und Krallen rot hervorgehoben waren. 

Als sich Belgien 1830 von den Niederlanden abspaltete, entstand in ähnlicher Weise aus dem Löwenwappen des mittelalterlichen Herzogtums Brabant die Nationalflagge Schwarz-Gelb-Rot. Überhaupt galt die senkrechte oder waagrechte Trikolore als das Symbol des Freiheitskampfes: Unter der „Prinzenflagge“ Wilhelms von Oranien (Oranje-Weiß-Blau) hatten die Niederländer die Spanier niedergerungen. Das Blau-Weiß-Rot Frankreichs stand für die Revolutionsgrundsätze Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. 

Analog ließ sich eine sinnstiftende Deutung für Schwarz-Rot-Gold finden: Aus dem Dunkel der Unterdrückung durch das Blut des Freiheitskampfes in eine goldene Zukunft. Mit dem Sieg der Märzrevolution 1848 schien diese Zeit angebrochen zu sein: Als am 18. Mai 1848 in Frankfurt am Main die freigewählte deutsche Nationalversammlung zusammentrat, war die Paulskirche mit den lange verbotenen schwarz-rot-goldenen Fahnen geschmückt.

ogar die wankenden Monarchien in Berlin und Wien hatten sie in einem Akt des Opportunismus aufziehen lassen, um die Revolutionäre zu besänftigen. Am 12. November 1848 erklärte die Nationalversammlung per Gesetz die Trikolore zur Kriegs- und Handelsflagge, gab ihr jedoch keinen Verfassungsrang. International anerkannt wurde sie lediglich von elf Staaten, darunter die USA, Frankreich, Spanien und die Niederlande. Die britische Marine behandelte Schwarz-Rot-Gold dagegen als Piratenflagge!

Die Farben von 1848

Auf die kurze Episode der Märzrevolution folgte von 1870/71 bis 1918 das preußisch dominierte Kaiserreich: Die schwarz-weiße Preußenfahne wurde durch die weiß-roten Farben der Hansestädte zur Trikolore Schwarz-Weiß-Rot erweitert. Nach der Niederlage im Weltkrieg und der Novemberrevolution kehrte die erste parlamentarische Demokratie auf deutschem Boden zu den Farben von 1848 zurück.

Am 18. Februar 1919 erklärte der Staatenausschuss, die provisorische Vertretung der Einzelstaaten bei der in Weimar tagenden Nationalversammlung, Schwarz-Rot-Gold zu den offiziellen Nationalfarben des Deutschen Reichs. Staatsrechtler Hugo Preuß übernahm einen entsprechenden Artikel in seinen Verfassungsentwurf. 

Am 3. Juli 1919 bestätigte die Nationalversammlung mit deutlicher Mehrheit von 211 zu 90 Stimmen diese Weichenstellung, festgeschrieben in Artikel 3 der Weimarer Reichsverfassung. Der Widerstand gegen die Farben der Freiheit und Demokratie blieb in den folgenden Jahren groß: Die Reichswehr, Teile der Beamtenschaft, Monarchisten und rechtsex­treme Parteien forderten eine Rückkehr zum Schwarz-Weiß-Rot des Kaiserreichs.

Ihre Gegner verunglimpften die neue Nationalflagge als „Schwarz-Rot-Senf“. Sogar der Deutsche Fußball-Bund ließ bei Länderspielen lieber Schwarz-Weiß-Rot beflaggen. Und als der sozialdemokratische Reichspräsident Friedrich Ebert im September 1919 die alte Reichskriegsflagge um eine schwarz-rot-goldene linke Oberecke ergänzen ließ, wurde diese Anweisung von der Marine eigenmächtig ignoriert. 

1926 eskalierte der Flaggenstreit: Der parteilose Reichskanzler Hans Luther und Reichspräsident Paul von Hindenburg erteilten den Botschaften weltweit die Erlaubnis, neben Schwarz-Rot-Gold offiziell auch wieder die alten kaiserlichen Farben als „Handelsflagge“ zu hissen. Der Proteststurm gegen diese Verordnung führte sogar zum Sturz der Regierung. 

Aus dem Leben getilgt

1933 konnte es den Nazis gar nicht schnell genug gehen, Schwarz-Rot-Gold aus dem öffentlichen Leben zu tilgen. Solange der alte Hindenburg lebte, tolerierte Hitler die schwarz-weiß-rote Flagge, ab 1935 gab es nur noch das Hakenkreuz. 1945 wurde Schwarz-Rot-Gold erneut verboten – von den Siegermächten, die alle früheren deutschen Nationalflaggen generell untersagten. 

In der Sowjetischen Besatzungszone reklamierte seit 1946 die SED Schwarz-Rot-Gold für sich – eine Herausforderung, auf die die Delegierten des westdeutschen Verfassungskonvents von Herrenchiemsee und des Parlamentarischen Rats eine Antwort finden mussten. Waschkörbeweise gingen bei ihnen Flaggenvorschläge aus allen Teilen der Bevölkerung ein. 

Schwarz-Rot-Gold galt als gesetzt, aber über die heraldische Anordnung wurde heiß debattiert: Zu den Optionen zählte eine skandinavisch anmutende Kreuzflagge, wie sie Josef Wirmer, 1944 hingerichteter katholischer Widerstandskämpfer im Umfeld der Verschwörer des 20. Juli, für die Zeit nach einem erfolgreichen Hitler-Attentat entworfen hatte. Oder lieber senkrechte „französische“ Streifen, zur Betonung der republikanischen Traditionen? 

Weitere Entwürfe ahmten das US-Sternenbanner nach oder symbolisierten die deutsche Teilung durch einen weißen Querbalken. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes entschieden sich schließlich für die Trikolore von 1848 und 1919. 1959 ergänzte die DDR ihr Schwarz-Rot-Gold durch den Ährenkranz mit Hammer und Zirkel. Mit der Wiedervereinigung verschwand er wieder. Und so hatte sich 1989/90 jene Hoffnung für ganz Deutschland erfüllt, die Ludwig Bergsträsser schon 40 Jahre früher geäußert hatte.

Michael Schmid

18.02.2019 - Deutschland , Historisches , Politik