Sie hat kein Fundament und nur drei Wände: Die Santa Casa in Loreto, als Elternhaus der Gottesmutter verehrt, ist Italiens größtes Marienheiligtum. Irgendwann im 13. Jahrhundert sollen Engel das Heilige Haus aus Nazareth nach Italien geflogen haben. Nach mehreren Zwischenlandungen fand die legendäre Luftfracht unweit der Adriaküste ein neues Zuhause. Rund um Marias Elternhaus baute man eine riesige Basilika, die noch heute hunderttausende Pilger anzieht.
Stets am 10. Dezember gedenken die Italiener mit einer großen Prozession dem himmlischen Frachtflug. Die Wallfahrtskirche ist dann das Ziel von Piloten aus aller Welt, die seit 1920 zu ihrer Patronin pilgern, der Madonna von Loreto. Schon am Vorabend markieren Höhenfeuer rund um die Stadt den Festtag, signalisieren die Flammen sozusagen den Engeln ihren Landeplatz, die das Heilige Haus per Luftfracht hierher befördert haben sollen.
Vor der mächtigen Basilika, die ihren ganzen Glanz in der späten Nachmittagssonne entfaltet, bewundern die Pilger den barocken Prunkbrunnen mit seinen allegorischen Figuren und den auf einem hellen Sockel thronenden Papst Sixtus V. In seiner Amtszeit Ende des 16. Jahrhunderts fand die Kirchenfassade ihre Vollendung. Das wahre Wallfahrtsziel aber ist das Heilige Haus inmitten der Kirche: die Santa Casa, die als das Elternhaus der Gottesmutter Maria gilt.
Kleine schwarze Madonna
Tag für Tag zieht eine Karawane von Wallfahrern durch die Mauern, bewundert die kleine schwarze Madonna über dem Altar, die hier seit Jahrhunderten verehrt wird. Zunächst war es eine Ikone, die man später durch eine Statue aus Tannenholz ersetzte. Als sie 1921 einem Feuer zum Opfer fiel, schuf man die heutige Marienfigur aus libanesischem Zedernholz. Ihre Schwärze ist keine Patina, sondern Farbtünche.
„Hier ist die heiligste Gottesmutter Maria zur Welt gekommen, hier vom Engel begrüßt worden. Hier ist das Ewige Wort Gottes Fleisch geworden“, verheißt die lateinische Inschrift auf der Marmorhülle des Hauses, die man vor Jahrhunderten über die Santa Casa stülpte. Es ist ein Zeichen der Wertschätzung, das die Kirche dem Gebäude entgegenbringt: einem kleinen Steinhäuschen ohne tragendes Fundament. Viele Päpste waren davon überzeugt, dass tatsächlich Engel das Haus der Gottesmutter Ende des 13. Jahrhunderts vor den Muslimen in Sicherheit gebracht hätten, das Gebäude in Loreto also echt sei.
Einer der letzten, der Marias Geburtshaus in Nazareth noch vollständig gesehen hat, war Franz von Assisi, der 1219 nach Palästina pilgerte. „Hier fiel er auf seine Knie und begann mit Tränen den kostbaren Boden zu benetzen, den Jesus und Maria so oft betreten haben“, heißt es in einer Chronik des Ordens.
1291, erzählt die Legende, flogen Engel die Santa Casa von Nazareth ins heutige Kroatien. „Da unterdessen niemand wußte, woher diese Kirche gekommen sey“, verrät ein altes Buch über christliche Archäologie, „so erschien die heilige Jungfrau des Nachts dem todtkranken Bischof von Tersato, der sie um Hülfe angerufen hatte, erklärte ihm alles und heilte ihn zugleich.“
Daraufhin schickte der Statthalter Dalmatiens eine Kommission gelehrter Männer ins Heilige Land, um in Nazareth nach dem verschwundenen Heiligen Haus zu suchen. Und tatsächlich: Die Maße, welche das Häuschen in Dalmatien hatte, stimmten genau mit den im Heiligen Land noch vorhandenen Grundmauern überein. Damit waren erst einmal alle Zweifel an der Echtheit des Hauses beseitigt, dessen Altar von Petrus selbst errichtet worden sein soll.