Entwicklungshilfe im Zwielicht

Und das Volk hat nichts davon?

Die Kritik an der deutschen Entwicklungshilfe wird seit Jahren lauter: Milliarden wurden aus dem reichen Norden in den armen Süden gepumpt – gebracht habe es so gut wie nichts. Entstanden sei vielmehr eine Art Hilfsindustrie, die sich selbst erhält. In den Entwicklungsländern komme dagegen kaum etwas beim Volk an, sondern versickere in den Händen einer kleinen korrupten Elite. Ist die Kritik berechtigt?

Der permanente Sach- und Geld­regen verhindere jegliche Eigeninitiative in den armen Ländern und fördere die Lethargie, monieren die Kritiker. Dennoch strömen jedes Jahr Tausende „Volunteers“, FSJler, FÖJler, Entwicklungshelfer und andere Hilfswillige nach Afrika. Dafür sammeln sie oftmals vorab Geld im vierstelligen Euro-Bereich, um sich die Reise überhaupt leisten zu können. Sie wollen Gutes tun. Nur ist das wirklich eine gute und effektive Hilfe?

Linus Starmann aus dem Emsland etwa ist gelernter Betonbauer. Über das bayerische evangelische Hilfswerk Mission EineWelt kam er nach Tansania ans „Hai Vocational Training Centre“, eine lutherische Berufsschule am Fuße des Kiliman­dscharo. Hier ist er nun Lehrer in der neuen PC-Klasse. „IT-Fachmann bin ich nicht“, sagt er. Aber im Vergleich wisse er schon recht viel: „Die meisten Schüler, die hier ankommen, haben noch nie einen Computer gesehen.“ 

Der junge Deutsche gibt unumwunden zu, dass ihn nicht allein die Entwicklungshilfe-Absicht nach Afrika getrieben hat, sondern auch die Reiselust nach dem Abitur. Dank des kirchlichen Hilfswerks konnte er beide Ansinnen miteinander verbinden. Auch ohne pädagogische Ausbildung könne er hier Gutes tun, meint er.

„Ich mache mit den Berufsschülern hier Englisch oder Erdkunde. Von Erdkunde haben die kaum eine Vorstellung.“ In Mathematik sei es noch schwieriger: „Wenn die hier eine Aufnahmeprüfung machen, muss man erst mal schauen, ob sie überhaupt eine Idee von Zahlen haben“, sagt Starmann.

Allerdings hält sich sein Engagement auch in Grenzen. Auf Dauer in Afrika zu bleiben, gar hier eine Familie zu gründen, kann sich der Norddeutsche nicht vorstellen. Das einfache Leben ohne Luxus, mit meist kaltem Wasser und häufigen Stromausfällen wolle er weder sich noch seinen künftigen Kindern zumuten. Dass er in der relativ kurzen Zeit von wenigen Monaten schon Hilfe geleistet hat – davon ist er überzeugt.

Ähnlich sieht das Alissa Kara Maschmann. Sie ist über ein Auslandsstipendium der Stiftung Ökumenisches Lernen in Braunschweig für ein Jahr nach Tansania gekommen. Hier will sie nach ihrem Abitur als Ungelernte im medizinischen Bereich mithelfen. Ist das sinnvolle Hilfe? 

„Ich bin nicht hier, um die Welt zu retten“, sagt die junge Frau. „Ich gehe hier nicht mit der Einstellung hin, dass die Afrikaner mich brauchen. Ich bin hier, um Erfahrungen zu sammeln und diese Erfahrungen weitergeben zu können.“ Damit werde sie eine Art Kulturbotschafterin, wenn sie wieder zu Hause ist. 

Kann man das nicht besser mit einem ausgedehnten Studienaufenthalt oder mit Bildungsurlaub erreichen? Sollte das Geld für Reise, Versicherung und Aufenthalt der Deutschen nicht besser direkt an afrikanische Projekte gehen, damit diese damit einheimische Helfer bezahlen können? 

„Ich liebe Afrika“

„Ja, sicher“, meint Alois Schuster, der zusammen mit Maschmann an einer Schule für geistig Behinderte in der Kiliman­dscharo-Region arbeitet. „Natürlich wäre es sinnvoller, wenn es Leute machen, die vor Ort sind. Nur: Ich liebe Afrika, ich finde Afrika toll. Es war einfach die Chance für mich, ein Jahr intensiv hier zu arbeiten und auch einen Blick über den eigenen Tellerrand hinaus zu werfen“, gibt der 26-jährige Heil­erziehungspfleger aus Mittelfranken unumwunden zu.

Wird Entwicklungshilfe damit also zum Selbsterfahrungstrip mit exotischer Kulturdreingabe? Physiotherapeutin Karolin Steuer aus Franken ist gleich für drei Jahre in Tansania. Sie arbeitet in einem Dorf in Usa River im Norden des Landes nahe des Mount Meru, des zweithöchsten Bergs von Tansania. Auch sie kam zuerst aus Neugierde. 

Dann habe sie über ihre Arbeit das Land und die Leute kennengelernt. Sie ist froh, keine Leitungsfunktion inne zu haben, sondern tagtäglich mit afrikanischen Kolleginnen und Kollegen in der Physiotherapie zusammenzuarbeiten. Da sei es schon sinnvoll, als gelernte deutsche Fachkraft hier zu sein.

„Das Berufsbild ist hier sehr jung. Es gibt nur eine Berufsschule in ganz Tansania für Physiotherapeuten. Das heißt, es gibt überhaupt nicht genügend Fachkräfte.“ Warum aber muss ein deutscher Physiotherapeut hierher? „Das frage ich mich selber auch“, sagt Steuer. „Ich würde auch nicht unbedingt sagen, dass das gut ist. Ich hinterfrage meine Arbeit selber sehr stark. Man müsste die Lehrer stärker schulen, damit sie ein besseres Praxiswissen bekommen.“

Dass Afrikaner nur lethargisch darauf warten, dass weiße Entwicklungshelfer ihnen sagen, was und wie sie etwas zu tun haben, sei ein Vorurteil, sagt Steuer. Wenn es um Kulturaustausch gehen soll, müsste dieser in beide Richtungen stattfinden: „Ich würde mir wünschen, dass Tansanier die Möglichkeit haben, nach Deutschland zu kommen.“

Korrupte Elite

Längst überlagert die Flüchtlingskrise die Debatten um Entwicklungshilfe: Deutschland, heißt es, müsse seine Ausgaben noch erhöhen, um mögliche Fluchtursachen wirkungsvoller zu bekämpfen. Kritiker monieren dagegen, dass bereits seit Jahrzehnten Milliarden an Hilfsleistungen in den „schwarzen Kontinent“ gepumpt werden und uneffektiv versickern. Allein eine korrupte Elite habe sich daran bereichert. 

Physiotherapeutin Steuer ist diese Analyse nicht neu. Und sie teilt die Kritik: Um Afrika zu helfen, brauche es nicht mehr, sondern eine andere und damit weniger Entwicklungshilfe. „Ich finde, es ist Gift für das Land, so stark von außerhalb abhängig zu sein. So kann man nicht lernen, eigene Strukturen aufzubauen.“ 

Das Augenmerk müsse darauf gelegt werden, die Unterstützung aus dem Ausland abzubauen. „Wie können wir so unterstützen, dass es weniger wird, aber das Land letztlich in der Lage ist, eigene Strukturen aufzubauen?“, fragt sie. Es ist eine Frage, die direkt in ihrer eigenen Erfahrung wurzelt.

Thomas Klatt

06.02.2018 - Ausland , Weltkirche