70 Jahre Currywurst

„Wat schönret gibt et nich“

Die Currywurst gilt geradezu als Inbegriff deutscher (essbarer) Alltagskultur. Im Laufe der Jahrzehnte hat sie sich zu einem der beliebtesten Gerichte an Imbissständen und in Kantinen entwickelt – ungeachtet der vielen Skeptiker, für die solcherlei „Fastfood“ schlicht als ungesund gilt. Die Geschichte der deutschen Spezialität beginnt vor genau 70 Jahren.

Dass der aus Bochum stammende berühmte Musiker und Liedermacher Herbert Grönemeyer ebenso heimatverbunden wie bodenständig ist, hört man öfter. 1982 verewigte er das Ruhrgebiet und vor allem das dazu gehörende Kultgericht „Currywurst“ in einen gleichnamigen Song: „Kommste vonne Schicht, wat schönret gibt et nich als wie Currywurst“, sang er.

Bis in die 1980er Jahre war Currywurst, besonders in den Me­tropolen Berlin und Hamburg sowie im gesamten Ruhrgebiet, schwer zu schlagen: schnell zubereitet, schnell und leicht gegessen – also wie geschaffen für die sich neu entwickelnde Lebens- und Arbeitsweise jener Jahre, die oftmals kein ausgedehntes Essen mehr im Kreise der Familie zuließ. 

Seitdem hat die Wurst zunehmend Konkurrenz durch Hamburger und vor allem Döner bekommen. Letzterer ist mittlerweile der beliebteste Schnellimbiss Deutschlands. Dennoch werden hierzulande nach wie vor schätzungsweise über 800 Millionen Currywürste jährlich verzehrt. Und zunehmend fasst die deutsche Spezialität auch interna­tional Fuß: In London ist sie mittlerweile ebenso begehrt wie in Paris oder New York.

Schon knapp zehn Jahre vor Grönemeyers Ruhrpott-Hit, nämlich 1973, hatte die Firma Volkswagen in ihrem Wolfsburger Stammwerk in Eigenregie eine Currywurst mit Sauce kreiert. Es handelte sich dabei nicht um eine Bratwurst, sondern eine Bockwurst. Die seinerzeit geradezu sprichwörtlich gewordene „VW-Currywurst“ wurde nach einem Rezept der VW-eigenen Wirtschaftsbetriebe zubereitet, ebenso die dazugehörige, warm servierte Currysauce. 

Diese Wurst war mit einem Fett­anteil von nur rund 20 Prozent – üblich war damals vielfach das Doppelte – und ohne Phosphate schlichtweg gesünder als ihre Namensvettern. Kult ist die „VW-Currywurst“ jedenfalls bis heute: 2016 produzierte die VW-eigene Fleischerei 7,2 Millionen der Wurstwaren, 2017 waren es 6,8 Millionen Currywürste. 

„Volkswagen Originalteil“

Damit produziert der Volkswagen-Konzern mehr Currywürste als seine Pkw-Kernmarke mit dem VW-Logo Autos. Die Wurst kommt nicht nur in den Kantinen aller deutschen VW-Standorte auf den Tisch, sondern wird vereinzelt auch über den Handel vertrieben. Da es sich um ein „Volkswagen Originalteil“ handelt, ist es (theoretisch) jedem lizenzierten VW-Händler möglich, die Wurst über das VW-Bestellwesen zu ordern.

Was macht eigentlich eine echte deutsche Currywurst aus? Zunächst einmal so viel: Es handelt sich dabei um eine gebratene oder frittierte Brüh- oder Bratwurst, die in der Regel geschnitten wird. Geschmacksbestimmend ist die würzige Sauce auf Basis von Ketchup oder Tomatenmark und Currypulver. Dazu werden meist Brötchen oder Pommes Frites serviert.

Die Currywurst hat – anders etwa als das Frankfurter Würstchen oder die Thüringer Rostbratwurst – keine jahrhundertelange Historie hinter sich: Der Deutschen liebste Wurst ist ein Kind der Nachkriegszeit. Um die Frage, wo die Currywurst erfunden wurde, streiten sich nach wie vor Hamburg und Berlin. Literarisch hat Hamburg die Nase vorn. 

In seiner Novelle „Die Entdeckung der Currywurst“ schrieb Uwe Timm 1993 die Erfindung der Wurst der erdachten Figur Lena Brücker zu, die einen Imbiss am Großneumarkt in Hamburg betrieben und 1947 die erste Currywurst  serviert haben soll. Die Sauce sei durch Zufall entstanden: als der Imbissbetreiberin ihre Schwarzmarktbeute, bestehend aus mehreren Flaschen Ketchup und einer Dose Currypulver, zu Boden gefallen sei. 

Diese Geschichte mag man nun glauben oder nicht. Autor Timm jedenfalls beschreibt Lena Brücker als fiktive Person, die stellvertretend für „eine dieser wunderbaren Frauen“ stehe, von denen es viele gab. „Die haben den Großteil des Wiederaufbaus gestemmt, die waren sehr präsent damals.“ Die Frau, sagt Timm, habe eine Imbissbude am Großneumarkt besessen. „Das ist authentisch, alles andere ist Fiktion.“ Historische Belege? Fehlanzeige. 

Erfinderin Herta Heuwer

So dürfte also doch die deutsche Hauptstadt Urheimat der Currywurst sein. Die Erfindung der Wurstspezialität wird dort gemeinhin der Berlinerin Herta Heuwer (1913 bis 1999) zugeschrieben. Die Imbissbetreiberin bot erstmals am 4. September 1949 an ihrer Bude Ecke Kant-/Kaiser-Friedrich-Straße in Charlottenburg eine gebratene Brühwurst mit einer Sauce aus Tomatenmark, Currypulver, der hocharomatischen Worchestershiresauce und weiteren Zutaten an. 

Die süßlich-scharfe Sauce hatte sich die Berlinerin selbst ausgedacht. Sie goss sie über ihre kleingeschnittene Wurst und verkaufte den Imbiss von da an für 50 Pfennig an ihre Kunden. Bis zu 10 000 Würstchen soll sie im Laufe der Zeit pro Woche verkauft haben – ein Renner also und ein durchschlagender Erfolg. Langsam entwickelte sich die Currywurst zum Massenprodukt.

In den Patentblättern des Berliner Patentamts finden sich damals nur wenige Frauennamen. Herta Heuwer gehört dazu. Im Januar 1959 – also rund zehn Jahre nach der Einführung – ließ sie den Namen ihres neuartigen, streng geheim gehaltenen Saucenrezepts („Chillup“) als Marke patentieren. Es war der einzig wirksame Schutz gegen die zahlreichen Nachahmer ihrer Kultsauce. 

Später bemühte sich sogar der US-Lebensmittel-Multi Kraft um das Rezept und das Markenrecht. Heuwer lehnte ab. Ihr Imbiss zog in ein Ladenlokal mit Garküche und entwickelte sich dort zu einer festen Institution: Er war Tag und Nacht geöffnet und beschäftigte bis zu 20 Verkäuferinnen. Seit September 2010 befindet sich am ehemaligen Standort eine Gedenktafel zu Ehren der Erfindern. „Ihre Idee ist Tradi­tion und ewiger Genuss!“, steht darauf zu lesen.

Wie eine Currywurst hergestellt wird, ist regional verschieden. In Süddeutschland wird eine helle Bratwurst aus Schweinefleisch verwendet. Im Ruhrgebiet dominiert die Currywurst aus Bratwurst, ist also nicht gepökelt und geräuchert. Grundlage der Berliner Currywurst – erhältlich mit oder ohne Darm – sind gepökelte und leicht geräucherte Brühwürste aus fein gemahlenem Schweine- und teilweise auch Rindfleisch. Eine einfache Art Bockwürste also. Die Würste ohne Darm dagegen sind nicht gepökelt oder geräuchert und von weißlicher Farbe. 

Beide Varianten werden zunächst im Ganzen von allen Seiten gebraten und dann in mundgerechte Happen geschnitten. Danach wird die Wurst mit einer Sauce übergossen und reichlich mit Currypulver bestreut. Auch die Zugabe von extra scharfem Cayenne­pfeffer, Zwiebeln, Worchestershiresauce oder einem speziellen, selbst hergestellten Ketchup auf  Basis von Tomatenmark und verschiedenen Gewürzen passt und wird angeboten. 

Das nach eigenen Angaben erste Currywurst-Restaurant Deutschlands eröffnete 1999 in Düsseldorf: Es heißt schlicht „Curry“. Im Angebot finden sich nur Currywurst-­Varianten und Pommes Frites. Die Wurst wird mit verschieden scharf oder fruchtig gewürzten Currysau­cen angeboten. 

In Berlin hatte die Currywurst seit 2009 ein eigenes Museum. Allerdings wurde dieses Ende 2018 endgültig geschlossen. Mag sein, dass die meisten Currywurst-Liebhaber mehr Freude am unmittelbaren Verzehr denn am kulturell-historischen Hintergrund ihrer Lieblingsspeise haben.  

Kultstatus hat die Currywurst aber nach wie vor. Das beweist auch die Deutsche Post, die im Jahr 2011 eine Briefmarke mit einer Currywurst als Motiv herausgegeben hat.

Irene Krauß

02.09.2019 - Ernährung , Kultur , Magazin