Auf den Spuren des Kokains

Weißer Schnee in der Karibik

Die Karibikinsel Hispaniola vereint zwei Staaten, Haiti und die Dominikanische Republik. Zudem verbindet sie zwei Kontinente, Amerika und Europa, denn die Dominikanische Republik ist ein Brückenstaat des Drogenhandels. Eine Spurensuche zum Weltdrogentag am 26. Juni. 

Barfüßig steht Diakon Pascual Ortiz auf kleinen Kieselsteinen im seichten Meereswasser, gleich neben der Stelle, wo der Küstenabschnitt durch die Grenze zwischen Haiti und der Dominikanischen Republik geteilt wird. Der junge Mann blickt nach Süden, Richtung Kolumbien. „Von dort kommt tonnenweise Kokain“, sagt er. „Mit jedem Paket verdienen die Fischer 10 000, 11 000 Dollar. Und plötzlich kannst du beobachten, wie sich Gemeindemitglieder, die gestern noch arm waren, heute ein Haus kaufen, ein Auto, alles mögliche.“

Weil die südwestliche Küstenregion der Dominikanischen Republik sowohl eine Meeresgrenze mit Kolumbien hat, als auch eine Landesgrenze zu Haiti, ist sich der Leiter des zuständigen Drogendezernats, Antonio Cintron, sicher, dass nirgends sonst im Land so viele Drogen transportiert werden wie hier. „Die Autoritäten in Haiti kümmern sich nicht um das Thema. Die Drogen aus Kolumbien landen problemlos auf ihrer Seite der Insel und werden dann über die Grenze zu uns weitergereicht.“

Sobald Kokain aus Haiti über die Grenze und durch das Zuständigkeitsgebiet des Drogenbeauftragten Cintron in den Osten der Dominikanischen Republik transportiert wurde, hat es seinen Wert mindestens verdoppelt. „Die Drogen werden zu unseren Flughäfen gebracht. Wir haben eine gut ausgebaute touristische Infrastruktur. Von der Hauptstadt Santo Domingo aus starten täglich Maschinen, die den europäischen Tourismus bedienen, aber auch aus Punta Cana, Puerto Plata y La Romana. Viele dieser Flieger sind buchstäblich Drogentransporter und werden so zu einem Problem für Europa.“

Auf dem Index der menschlichen Entwicklung aller amerikanischer Staaten liegt Haiti weit abgeschlagen auf dem letzten Platz. Der dominikanische Staatsanwalt Eluterio Cuevas ist sich bewusst, dass die haitianischen Behörden dringendere Probleme haben, als den Drogentransit zu unterbinden: „Unsere Insel liegt mitten in einem Korridor der Karibik, den die Kartelle in Venezuela und Kolumbien nutzen. Sie machen hier Station, weil die Strände in Haiti groß sind und die lange Grenze zu uns die Kontrollen schwierig macht.“

Staatsdiener involviert

In der Dominikanischen Republik ist es kein Geheimnis, dass viele Staatsangestellte in den Drogenhandel verwickelt sind. Häufig berichten die nationalen Medien von organisierten Händlerringen, an denen Polizisten, Politiker und Zollbeamte beteiligt waren. Der wichtigste Absatzmarkt dieser international gut vernetzten Drogenhändler ist Europa, obwohl die USA geografisch näher liegen. Der Bedarf dort wird vorwiegend über andere Routen gedeckt. Aber egal wo die Drogen landen, der Staatsanwalt Eluterio Cuevas ist in jedem Fall frustriert, dass sich die dominikanische Justiz ständig um Delikte kümmern muss, für die eigentlich die weit entfernten Konsumentenländer verantwortlich sind. „Die Dominikanische Republik ist nichts weiter als ein Transitland. Einmal hatte ich einen Fall mit 100 Kilogramm Kokain. Das kam zwar in unserem Land an, war aber natürlich nicht dafür bestimmt, hier zu bleiben.“

Das meiste Kokain verlässt die Dominikanische Republik wieder. Aber das wenige, das vor Ort bleibt, schafft gravierende soziale Probleme. Nicht selten erlebt Diakon Ortiz, wie junge Mitglieder seiner Kirchengemeinde verhaftet werden oder gar umkommen, weil sie schnelles Geld verdienen wollten. „Es gibt Frauen, die als Drogenkuriere arbeiten, sogenannte ‚mulas‘, Packesel. Auch Männer machen das. Ich kenne Leute, die hatten ihren Magen voller Drogentütchen und wurden vom Zoll abgefangen. Anderen ist ein Tütchen im Körper zerplatzt und sie sind gestorben.“

Einer dieser Drogenkuriere war der Tanzlehrer Emilio. Mit seinem Salsa-Unterricht hat er selten mehr als 300 Euro im Monat verdient. „Dann bin ich viermal nach Spanien gereist“, erzählt er. „Dafür habe ich über 100 000 Euro bekommen.“

Emilio wusste, dass er nicht der einzige Drogenschmuggler im Flugzeug war: „Jeden Tag starten 15 oder 20 Personen in der Dominikanischen Republik, die jeweils mindestens 700, 800 Gramm Kokain geschluckt haben, höchstens ein Kilo. Sobald du auf dem Flughafen in Madrid ankommst, triffst du einen Verbindungsmann, der dir Tabletten gibt. Nachdem du die Tütchen in Form kleiner Eier ausgeschieden hast, bekommst du sofort 34 000 Euro in bar. So jedenfalls wurde ich bezahlt.“

Emilios erste Reise nach Europa verlief problemlos. Damals reiste er als Tourist, ganz legal, ohne Drogen. Ein spanischer Freund hatte ihn eingeladen, um ihm die Salsa-Szene in Madrid zu zeigen. Er wollte ihn als Tanzlehrer anheuern. In einer Diskothek lernte er den Kolumbianer kennen, der den Drogenhandel der Umgebung kontrollierte. „Er konnte nicht tanzen und wollte, dass ich mit seinem Mädchen tanze. So entstand Vertrauen.“ 

Bald schon hat Emilio miterlebt, wie der Mann seine Geschäfte abwickelte. „Ich sagte ihm, dass ich auch gut Geld verdienen möchte. Da hat er geantwortet: ‚Das ist einfach. Jetzt gleich kommt hier ein Junge rein. Den setzen wir auf einen Eimer.‘ Der Junge kam und sie schoben ihm vier Schläuche in den Rachen. Außerdem gaben sie ihm eine Tablette. Sofort fing er an, die kleinen Eier auszuscheiden, zehn Gramm jedes Ei.“

Reiz des schnellen Gelds

Der Drogenkurier bekam 30 000 Euro ausgehändigt, verabschiedete sich und verschwand. Emilio war beeindruckt. So schnell wollte er auch Geld verdienen. „Ich sagte: ‚Ich mache sofort eine große Ladung.‘ Der Kolumbianer meinte: ‚Dann musst du 900 Gramm schlucken.‘“

Anfangs wusste Emilio nicht wirklich, mit wem er sich eingelassen hatte. Die Drogenhändler sind gefährlich, aber auf den ersten Blick sieht man ihnen das nicht an. „Sie sehen aus wie ganz normale Leute auf der Straße“, erinnert sich Emilio. „Aber wer ihre Anweisungen nicht genau befolgt, dem ergeht es schlecht. Die verstehen keinen Spaß, auch wenn es nur um ein einziges Ei von zehn Gramm geht. Ich habe gesehen, wie sie jemandem einen Finger abgeschnitten haben. Oder sie lassen einen deiner Familien­angehörigen verschwinden.“

Später erfuhr Emilio, dass die Bosse ihr Sicherheitsnetz nicht nur mit Drohungen und Gewalt gespannt halten, sondern auch mit Korruption und Bauernopfern. „Sie riskieren natürlich nicht, dass gleich zwölf Leute auf einmal inhaftiert werden. Irgendjemand hier auf dem Flughafen bekommt Geld und weiß dann schon, wen er durchlassen muss. Ihm wird gesagt, wie der Kurier angezogen ist und er stellt den Scanner so ein, dass die Drogen durchkommen. Das kostet jedes mal eine Stange Geld, die nicht für alle zwölf bezahlt werden kann. Einige kommen durch, aber drei, vier werden geschnappt. Die Leute mit den Drogen im Bauch wissen nicht, dass sie in die Höhle des Löwen laufen. Sie denken nur an das Geld. Solange sie nicht inhaftiert werden, ist es ihnen egal, was den anderen passiert.“

Emilio hatte Glück, der spanische Zoll hat ihn nie erwischt. Doch dann organisierte er auf eigene Faust einen Kleintransport. Bei seiner Ankunft auf dem Flughafen von Santo Domingo wurde er verhaftet. „Ich wollte ein bisschen Haschisch aus Spanien mitbringen, damit die Kollegen hier in der Dominikanischen Republik das mal probieren. Ich hatte fünf Eier geschluckt. Bei der Ankunft holten mich die Zöllner aus der Warteschlange und brachten mich in ein Büro. Sie schmierten mir eine Creme auf den Bauch und hielten einen Apparat darüber. Der Scanner schlug sofort an, weil er die Eier mit Haschisch erkannt hat.“

Emilio kam ins Gefängnis, vier Jahre lang. Dort wurde er selbst abhängig. Hinter Gittern ist es noch einfacher als draußen, Drogen zu besorgen. Seit einigen Jahren bleiben immer mehr Drogen in der Dominikanischen Republik hängen, erklärt Fahnder Antonio Cintron: „Für die Bosse des Drogenhandels ist das Leben hier sehr billig. Deshalb bleiben sie länger und bezahlen einen Teil ihrer Kosten mit Kokain. So bleiben neben Geld und Waffen auch immer mehr Drogen im Land. Das führt dazu, dass die dominikanische Jugend der Sucht verfällt. Die jungen Leute verlieren viel Zeit in Gefängnissen und Krankenhäusern.“

Andreas Boueke

22.06.2018 - Ausland , Gesundheit , Kriminalität