Gedenktag am 10. Oktober

Wer wagt, gewinnt Gott

Rundum flaches Ackerland. Stille steht in den Dorfstraßen von Spiel. Kaum jemand der 200 Einwohner ist heute unterwegs. Nur Kenner wissen, dass das Örtchen kein weißer Fleck auf der Glaubenslandkarte um das rheinische Jülich ist. Die Kirche Sankt Gereon kündigt sich weithin sichtbar mit ihrem Spitzturm an. Geweiht ist sie jenem Heiligen, dessen Gedenktag am 10. Oktober ansteht.

Während die romanische Gereonskirche in Köln einen hohen Bekanntheitsgrad genießt, ist diese hier in Spiel – etwa 55 Kilometer westlich der Domstadt – kaum bekannt, aber ein echtes Überraschungspaket. Auf unterschiedlichste Weise hält sie das Gedenken an den Heiligen wach. 

Rita Cremer ist so etwas wie das lebende Inventar in der Spieler Gereonskirche. Die 58-Jährige fungiert als Gottesdienstbeauftragte und Krippenspielleiterin, kurzum: als Verantwortliche für nahezu alles. Die Kirche, das merkt man im Gespräch mit ihr rasch, liegt Cremer seit der Kindheit am Herzen, obgleich die Erinnerungen nicht ungetrübt sind: „Damals sagte der Pastor: keine Mädchen am Altar. Da spielte ich lieber mit den Jungs aus dem Dorf Fußball.“ Der Pfarrer würde heute wohl Cremer beipflichten, wenn sie sagt: „Ohne Frauen würde die Kirche nicht mehr existieren.“ 

Aus Tuffstein gebaut

Das Gotteshaus, beurkundet seit dem zwölften Jahrhundert, ist ein einschiffiger, flachgewölbter Saalbau aus Tuffstein. Im Laufe der Zeit hat er starke Veränderungen erfahren, war vorübergehend von Baufälligkeit und Einsturz bedroht. Der Turm steht vor der Kirche, separat vom Baukörper. 

Bei der Suche nach einer Darstellung des Heiligen lenkt Rita Cremer den Blick auf eine Prozessionsfahne: Umrahmt vom Bor­deauxrot des Stoffs steht der Heilige stolz und erhaben vor einer Fluss- und Berg­landlandschaft. Er trägt eine Rüstung, die Beine und Arme komplett einschließt. Im Oberkörperbereich hat er eine grüngoldene Weste mit Kreuzsymbol über der silbernen Panzerung angelegt. In der rechten Hand hält er eine Standarte, ebenfalls mit Kreuzsymbol. Zu erahnen ist ein Kurzschwert, das unter dem roten Umhang verschwindet. Der Kopf liegt frei, ohne Helm, umgeben von einem Heiligenschein.

Auch eine Figur links neben dem Hochaltar zeigt Gereon als Soldaten, mit lockigem Haar, gekleidet in militärische Kluft und einen rotgoldenen Umhang, in seiner Linken eine Art Speer, in der Rechten ein Schild. Der Blick ist verklärt, treuselig, fast antisoldatisch. So sieht eigentlich niemand aus, der blind Befehle befolgt. 

Eventuell ein "Auftragsdiebstahl"

Die Skulptur stammt aus Kevelaer, ebenso wie jene von Kaiserin Helena auf der anderen Seite des Hochaltars, erzählt Cremer. Beide wurden angefertigt, nachdem die Vorläufer Anfang der 1970er Jahre gestohlen worden waren. Das könnte ein „Auftragsdiebstahl“ gewesen sein, mutmaßt die Gottesdienstbeauftragte. Wer weiß, in welcher Privatkollektion die wertvollen Bildnisse gelandet sind? Der Raub wurde niemals aufgeklärt.

Wer war Sankt Gereon überhaupt? Cremer hat ein Infoblatt mitgebracht, das die Lebensdaten mit 270 bis 304 angibt. Der Heilige war mutmaßlich römischer Offizier in der Thebaischen Legion, die aus christlichen Soldaten bestand. Kaiser Dio­kletian, der die Truppe im Osten bereits zum Kampf gegen andere Christen einsetzen will, beordert sie nach Gallien und Germanien. „Für diese Zeit ist die Weigerung der christlichen Legion bezeugt, eine Christenverfolgung durchzuführen“, heißt es im Infoblatttext. 

Der Schauplatz liegt vor den damaligen Toren Kölns. Gereon fasst sich ein Herz und tritt als Wortführer seiner am Glauben festhaltenden Kameraden auf. Darauf befiehlt Kaiser Maximianus, der Mitregent des Reiches ist, die zweimalige Dezimierung und schlussendlich die Liquidierung der ganzen Legion. Gereon stirbt, wie die anderen, den Märtyrertod; er wird enthauptet. In ihrem Standardwerk „Der große Namenstagskalender“ vermerken die Autoren Jakob Torsy und Hans-Joachim Kracht, dass der Legende „wohl ein echtes Martyrium“ zugrunde liegt. 

Kirche am Richtplatz

Blutige Richtstätte ist ein Feld, später als Mechtern bekannt und längst zum Kölner Stadtgebiet gehörig. Folgt man der Überlieferung, werden die Toten in einen Brunnen geworfen, an dessen Stelle eine Begräbnisstätte entsteht. Kaiserin Helena (um 250 bis 330), die Mutter von Konstantin dem Großen, soll hier die Kirche Sankt Gereon errichtet haben. Die Information der dortigen Pfarrgemeinde weist allerdings auf die Zeit nach Helena. Erst in der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts, so heißt es, entsteht ein Ovalbau, der noch heute den Kern der Kirche bildet. Im Mittelalter bekam sie im Stil der Romanik ihre heutige prägnante Gestalt.

Bis heute ist Gereon Schutzheiliger von Köln und der Soldaten – und gegen Kopfweh. Die Nähe zu Köln mag erklären, warum Gereon im Mittelalter in Spiel zum Kirchenpatron avancierte. Einem Aufsatz von Architekturhistoriker Ulrich Coenen zufolge war der größte Grundherr in Spiel das Kölner Sankt-Gereon-Stift, dem die Kirche gehörte. „Wann der Ort an das Stift in der Domstadt gefallen ist, lässt sich heute nicht mehr feststellen“, schreibt Coenen. 

Erste Erwähnung 1166

Erstmalig Erwähnung fand die Kirche 1166 in einer Schenkungsurkunde. Um 1185 verfügte Erzbischof Philipp, dass nur Zugehörige des Kölner Stifts Pfarrer in Spiel werden konnten. Der ungewöhnliche Ortsname leitet sich laut Ulrich Coenen übrigens von „Kirchspiel“ ab, einer „Großpfarrgemeinde, die aus mehreren Dörfern besteht.“

Unter Verschluss steht normalerweise das in Silber gehaltene Reliquiar, das Rita Cremer von sicherer Stelle heranbringt. Im Unterbereich ist ein Knöchelchen des heiligen Gereons eingefasst, darüber laut Beschriftung ein Splitter des Christuskreuzes drapiert. Cremer fasst das wertvolle Stück vorsichtig mit weißen Handschuhen an.

Voller Besonderheiten

Die Kirche, bei der die Barockausstattung dominiert, bietet noch mehr Besonderheiten. Da ist ein Christusbildnis, das von der Decke über der Chorschranke schwebt und dessen Wurzel Jesse darunter eher an Krakenarme oder ein Ensemble aus Hörnern erinnert. Unterhalb der Orgelempore steht ein Sandsteinfigürchen des heiligen Wilhelm, das wie ein Wächter über das Innere wirkt. 

Ins Auge sticht auch das Taufbecken aus Blaustein an der Südseite, eine Stiftung von 1638. Kurios ist die schiefe Nordwand der Kirche, die mittlerweile „15 Zentimeter aus dem Lot“ sei, so Rita Cremer. Im Hochaltar hebt sich das friedlich daliegende Lamm Gottes vom blauen Hintergrund ab. 

Station des Jakobswegs

Draußen setzen sich die Besonderheiten mit historisch wertvollen Grabkreuzen um die Kirche fort. Eine stilisierte Jakobsmuschel an der Eingangstür zum Gotteshaus weist den Ort als Station auf dem Jakobsweg aus, einer Variante, die aus Paderborn kommt. 

Rita Cremer hofft auf die Rückkehr alter Zeiten – vor Corona war Sankt Gereon eine beliebte Hochzeits- und Taufkirche. Unabhängig von der anhaltenden Pandemie ist der Zulauf bei Gottesdiensten eher mager.

Andreas Drouve

07.10.2021 - Glaube , Heilige , Historisches