Die Geschichte der christlichen Wetterfahne

Wie der Hahn zum Kirchturm fand

„Der Fels der Kirche, Petrus, weint, bereut die Schuld beim Hahnenschrei. So stehet rasch vom Schlafe auf: Der Hahn weckt jeden, der noch träumt. Der Hahn bedrängt, die säumig sind, der Hahn klagt die Verleugner an“, heißt es in einem bekannten Hymnus des heiligen Ambrosius (gestorben 397). Geistlich betrachtet liegt es nahe, den Wetterhahn auf der Kirchturmspitze mit der Verleugnungsszene des heiligen Petrus in Verbindung zu bringen und sich beim Glockenschlag der eigenen, alltäglichen Gedankenlosigkeiten anzuklagen. In Glaubenssachen sollte man sich ohnehin nicht nach dem Wind drehen.

Zu dieser Auslegung würde passen, dass der Hahn allein auf frühchristlichen Sarkophagen und über Kirchentüren angebracht als Abkürzung für die ganze Petrusszene erscheint – meistens auf einer Säule stehend dargestellt. Es gibt auch Beichtstühle, auf denen der Hahn als Sinnbild des Bereuens zu sehen ist. Doch das bitterliche Weinen Petri beim Hahnenschrei und die möglichst große Zerknirschung der Gläubigen ist nicht das vorherrschende Motiv für die Anbringung von Wetterhähnen auf Kirchtürmen gewesen. Der Hahn hat es nicht einmal wirklich zum Emblem des Apostelfürsten geschafft: Sein Attribut sind die Schlüssel des Himmelreichs (diese bilden sogar die Wetterfahne der Londoner Kirche St Peter upon Cornhill), während das Federvieh eher den heiligen Veit kennzeichnet – aber das ist eine andere Geschichte.

Prophetische Begabung

Hähne waren früher zu kostbar, um sie einfach aufzuessen. Vermutlich hielt man sie in ältester Zeit sogar für Hahnenkämpfe eher denn für Hühnerzucht. Wegen seiner Kampfeslust bis zur Selbstaufgabe und seines Fortpflanzungstriebs wurde der Hahn als Männlichkeitssymbol den Schwerenötern unter den antiken Gottheiten und Heroen beigesellt. Römische Legionäre, die Hahnenkämpfe außerordentlich schätzten, liebten ihn nicht nur für seinen Mut, sondern führten ihn als prophetisch begabtes Tier auf ihren Feldzügen mit und studierten sein Verhalten vor der Schlacht.

Auch das Buch Ijob (38,36) nennt den Hahn besonders einsichtig, das heißt in geheimnisvolle Kenntnisse eingeweiht, weil er den Tagesanbruch vorausahnt. Seine wichtigste Eigenschaft ist daher die Wachsamkeit und die Verlässlichkeit, mit der er noch vor jedem Morgengrauen den neuen Tag ankündigt.

Vogel des Lichts

Diese Wertschätzung hat sich zum Beispiel auch in Werken der jüdischen Mystik wie der Baruch-Apokalypse (um 100) niedergeschlagen: Der Flügelschlag des Hahns zum Tagesbeginn wird darin als ein Echo auf den Flügelschlag der Seraphim vor dem Thron des Allmächtigen beschrieben.

Sein frühmorgendlicher Schrei machte aus dem Hahn in vorgeschichtlicher Zeit ein Emblem der Sonne und im antiken Rom einen Vogel des Lichts. Daran ließ sich in der alten Kirche mit Christus, dem „aufstrahlenden Licht aus der Höhe“ (Lk 1,78), anknüpfen. Der Hahn als Christussymbol erscheint ausdrücklich zum ersten Mal im „Lied zum Hahnenschrei“ des spätantiken christlichen Dichters Prudentius (um 400). Dämonen flüchten beim Hahnenschrei, weil sie Christus fürchten. Der Hahn ruft das Ende der Nacht herbei, „die unsren richtungslosen Schritt hart an des Abgrunds Rand gebracht“.Wie der Hahn bei Tagesbeginn die Menschen aufweckt, so besiegt auch Christus die Nacht, die für Sünde und Tod steht, und erweckt zum Glauben und zum ewigen Leben. In dieser Dichtung steht  der Hahn nicht so sehr für die Verleugnung und das Bereuen des Petrus, sondern markiert den Tagesanbruch als Stunde der Auferstehung Christi und nimmt auch das gleißende Tageslicht des Letzten Gerichts mahnend in den Blick.

Symbol der Wachsamkeit

Durchgesetzt hat sich der Hahn als Metapher für Licht und Wachsamkeit. Die Heilige Schrift bringt wie ein Hahnenschrei Licht in die Finsternis des Lebens, heißt es in der geistlichen Literatur seit Augustinus. Sein Ruf, der im Glockenklang zu erkennen ist, mahnt die Prediger, ihre Pflicht zu erfüllen, nämlich das Evangelium zu verkünden. „Hähne werden die heiligen Prediger genannt“, steht bei Eucherius von Lyon (gestorben um 450) zu lesen, einen „Hahn Gottes“ nennt Honorius von Autun (gestorben um 1150) den Priester.

Vom Kirchturm ruft der Hahn mitttels der Glocken die säumigen Gläubigen zum morgendlichen Gotteslob herbei. Die Sünder fordert er auf, von ihrem finsteren Tun abzulassen.

Der älteste Wetterhahn

Gelegentlich ist zu lesen, die Päpste Gregor der Große im sechsten und Nikolaus I. im neunten Jahrhundert hätten die Anbringung von Wetterhähnen auf Kirchtürmen verfügt und dabei die Petrussymbolik betont – für beides fehlen allerdings Belege. Den ältesten bekannten Wetterhahn ließ Bischof Rampertus von Brescia im Jahr 820 in Bronze gießen und auf dem Turm seiner Klostergründung, der heutigen Kirche San Faustino Maggiore, anbringen. Er wurde erst 1891 wieder abgenommen. Welches symbolisches Verständnis vom Hahn Bischof Rampert dabei leitete, ist aus der Zeit selbst nicht überliefert. 

Auf dem berühmten Teppich von Bayeux, der in den 1070er Jahren entstand und etwas von der englischen Geschichte rekapituliert, ist ein Mann zu sehen, der einen Hahn aufs Dach der Abteikirche vonWestminster anbringt. Offenbar handelt es sich hierbei um einen ironischen Fingerzeig auf den Kirchenbau, der sich allzu lange hingezogen hatte. Auch diesem Detail des Kunstwerks ist die sinnbildliche Intention nicht abzulesen.

Jedenfalls haben sich die Wetterhähne durchgesetzt – wenn nicht doch lieber der Kirchenpatron als Wetterfahne auf der Turmspitze erscheint wie der heilige Quirinus auf dem Neusser Münster, oder sein Attribut, wie ein Rost auf der Londoner Kirche St Lawrence Jewry.

Dass Wetterhähne auf evangelischen, auf katholischen Kirchen dagegen Kreuze angebracht wären, ist natürlich Unsinn. Das glauben in Norddeutschland nur diejenigen, die ihre Sicht aus dem Wohnzimmerfenster für eine Gesetzmäßigkeit halten. In Süddeutschland verhält es sich nämlich genau umgekehrt.

Peter Paul Bornhausen