Jeden Tag Weihnachten

Wo Christus wirklich zur Welt kam

BETHLEHEM – In Bethlehem ist jeden Tag Weihnachten. Der Geburtsort Jesu im Westjordanland ist nicht nur in der Zeit des Advents und des Christfests Pilgerstätte für Gläubige aus aller Welt. Als Pilgerandenken begehrt sind in Handarbeit gefertigte Krippen – ein wichtiger Erwerbszweig in der Region.

Im Zentrum nicht nur des Pilger­interesses, sondern auch der Stadt liegt die Geburtskirche. Das Gottes­haus, das zum Unesco-Weltkultur­erbe zählt, wurde über einer Grotte errichtet, die laut Überlieferung als Geburtsort Jesu gilt. Zur Zeit des Baus der Kirche im 14. Jahrhundert führten Franziskanermönche die ersten Einheimischen in die Kunst des Olivenholzschnitzens ein. 

Waren damals vor allem Kruzifixe und Rosenkränze aus den knorrigen Ästen gefragt, sind es heute Krippen. Das Christkind, Maria, Josef, die Weisen aus dem Morgenland, die Hirten und Schafe bilden ein maß­stabsgetreues Ensemble. Die in Handarbeit geschnitzten Krippen sind zu einem wichtigen Erwerbs­zweig für die Menschen geworden: Kaum einer der Pilger oder Touristen verlässt die Stadt ohne ein Andenken – oft eine Krippe.

Wenn die Pilger und Touristen denn kommen. Denn das hängt davon ab, ob die politische Situa­tion im Westjordanland ruhig ist und nicht mit Anschlägen gerechnet werden muss. Sonst ist das Weihnachtsgeschäft dahin. An der Geburtskirche zeugen Geschosseinschläge vom Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern: 2002, während der zweiten Intifada, belagerte die Armee die Kirche 39 Tage lang, weil sich palästinensische Kämpfer im Innern verbarrikadiert hatten.

Mittlerweile Minderheit

„Wir sind eine der alten Schnitzerfamilien hier in Bethlehem“, erzählt Bassem Giacaman. Sein Großvater eröffnete den kleinen Andenkenladen mit der Werkstatt in der Straße der Milchgrotte, nur rund 200 Meter von der Geburtskirche entfernt. Die Giacamans sind Katholiken – mittlerweile selbst in der einstigen Christenhochburg Bethlehem eine Minderheit. Die Mehrheit der Einwohner wie auch der Schnitzer und Händler sind Muslime. 

„Wir legen Wert darauf, dass unsere Produkte ausschließlich aus Olivenholz von hier gefertigt sind“, sagt Bassem. Dieses Holz ist rar. Olivenbäume, die bis zu 500 Jahre alt werden können, tragen erst im Alter reichlich Früchte. Entsprechend selten werden sie gefällt. Andere Souveniranbieter wichen daher auf billigeres Importholz aus, sagt Bassem. Oder sie böten gleich preisgünstige Fertigware aus Asien.

In der Werkstatt neben dem Ladenlokal riecht es nach Olivenholz. Dieses muss hier mindestens sechs Monate gelagert werden und trocknen, ehe es nach alter Handwerks­tradition bearbeitet wird. „Nur so ist gewährleistet, dass die kleinen Kunstwerke später nicht reißen oder sich verziehen“, erklärt Bassem. Erste Kniffe zeigte ihm sein Vater Jiries, als er zwölf war und nach der Schule kleine Schnitzarbeiten machte. Mit 18 Jahren stieg er in den Betrieb ein, den er heute führt. „Wir lassen uns immer noch von den Figuren inspirieren, die mein Großvater in den 1930er Jahren kreierte.“

Ihren Ursprung haben die Weihnachtskrippen im Frühchristentum. Damals gab es als zweidimensionales Abbild nur das Jesuskind in der Futterkrippe, den Ochsen und den Esel daneben. Maria kam als Figur erst im Mittelalter dazu, Josef noch später. Als Landschaft diente Bethlehem, allerdings so, wie es sich die Menschen jener Zeit vorgestellt haben. 

Als Begründer des klassischen Krippen-Ensembles, wie es bis heute in den weihnachtlichen Darstellungen aus Holz und Plastik gang und gäbe ist, gilt der heilige Franz von Assisi. 1223 soll er in Greccio in den Sabiner Bergen auf eine Predigt verzichtet haben. Stattdessen ließ er das Weihnachtsgeschehen von lebenden Tieren und Menschen nachstellen.

Heute ist man in mancher deutschen Region überzeugt, die traditio­nellsten, schönsten und ursprünglichsten Holzkrippen-Figuren zu schaffen: im Erzgebirge etwa, im Schwarzwald oder in Oberammergau. Eine Herkunft aber aus einem Fleckchen Erde, an dem Jesus wirklich das Licht der Welt erblickte, kann nur ein Ort bieten: Bethlehem.

Karl Horat   

29.11.2018 - Ausland , Heilige , Kunst